Literatur Autorinnen und Autoren raten - neue Runde

Zur Erziehung des späteren SS-Mannes Hans Stark in seiner Selbstdartellung aus:
Rudolf Hagelstange: "Lebenslauf".
(In "Alleingang. Sechs Schicksale". dtv-TB 1729. S. 26)

Der am 19. Mai 1921 Geborene fängt an zu erzählen:

"Wir wohnten in einer Siedlung am Rande der Stadt und wurden nach sehr strengen Grundsätzen erzogen. Auf dem kleinen Schreibtisch, der in unserem Wohnzimmer stand und an welchem mein Vater manchmal abends mitgebrachte Akten durcharbeitete, stand ein gerahmter Spruch: »Gelobt sei, was hart macht.« Das war auch der Leitsatz, nach dem wir Jungen erzogen wurden. Wenn die Nachbarskinder schon mit Mantel und. Handschuhen spielten, mußten wir noch ohne dieselben auskommen, damit wir uns abhärteten. Wenn wir gerufen wurden, mußten wir mit »Jawohl!« antworten und sofort kommen. »Wer nicht gehorchen kann, kann auch nicht befehlen«, sagte mein Vater. Er schlug uns sehe»; aber wenn er schlug, hatten wir eine Woche lang Striemen und blaue Flecke. Meist aber strafte er uns durch Entzug einer Mahlzeit oder des Taschengeldes, das ohnehin bescheiden war. »Wer früh verzichten lernt, wird später nichts entbehren«, sagte er dann. Wenn er guter Laune war, was fast stets mit dem Sonntag zusammenfiel, sagte er auch manchmal: »Der Mensch kann entweder Hammer oder Amboß sein. Macht eurem Namen Ehre! Ihr sollt es einmal besser haben als ich.«
Wenn wir uns zu Tisch setzten, mußten wir warten, bis mein Vater saß; erst dann konnten wir uns, möglichst gleichzeitig, setzen. Obwohl beide Eltern Hessen waren, sprach mein Vater immer wieder von preußischer Erziehung, preußischer Ordnung, Zucht, Sparsamkeit usw. Nur das Wort soldatisch kam ähnlich oft vor, und am glücklichsten schien unser Vater immer, wenn ein Kriegskamerad ihn besuchte, und wenn sie sich die gemeinsamen Erlebnisse und Erfahrungen wieder in Erinnerung brachten, Fotografien besahen oder über Kriegsbücher sprachen, die sie gelesen hatten."

Hallo Longtime,

ja, das hatte ich noch zu erwähnen vergessen, dass Hans Stark wieder einmal ein Beispiel dafür war, wie extrem eine frühkindliche (und spätere) Prägung im Elternhaus sich auswirken kann.
Die Sätze, die Du eingestellt hast, zeigen den Vater von Hans Stark ja mehr als deutlich in seinen Einstellungen und Wertvorstellungen. Und da ist kein Raum für freie Entscheidungen, für ein soziales Gewissen, für Eigenverantwortung, letzten Endes somit auch nicht für Menschlichkeit.

Gehorsam oder Befehlserteilung, das waren für ihn die Alternativen, zwischen denen es zu wählen galt, getreten werden oder selber treten.
Und ein kleines Kind richtet sich ja zunächst einmal nach den Wertvorstellungen der Eltern, die ihm am nächsten stehen.
Ein Grundstein zu einer Entwicklung zu einem selbständigen und verantwortungsvollen Menschen war mit einer solchen Erziehung, die nur auf Gehorsam abstellte, sicher nicht gelegt.
Alles klingt so absolut freud- und gefühllos.

Vielleicht hat Hans Stark das ja auch irgendwann erkannt und seine Taten bereut, wenn diese Reue nicht nur Teil einer Verteidigungsstrategie war.
Aber da will ich jetzt einmal positiv denken und hoffen (besonders auch für ihn selbst), dass er seine furchtbaren Irrwege wirklich erkannt hat und ihm bewußt wurde, dass ein erwachsener Mensch imstande ist, seine Defizite und Fehler zu erkennen und sich in gewissem Umfange zu ändern.

Es würde mich schon sehr interessieren, was nach seiner Entlassung aus der Haft mit ihm geschehen ist, wie er dann noch gelebt hat, vor allem, wie sein Verhältnis zu seiner eigenen Familie, zu Frau und Kindern, war?
Wenn Du da irgendwelche Informationen über den "realen" Hans Stark hast, würde ich die sehr gerne kennenlernen.

Übrigens habe ich nicht gewusst, dass Hagelstange diesen Lebenslauf geschrieben hat.

Gruß von Enigma