Forum Kunst und Literatur Literatur Bis die Börse wieder lächelt...?

Literatur Bis die Börse wieder lächelt...?

longtime
longtime
Mitglied

Re: Börsenspiel
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 15.11.2008, 17:19:30
Aus dem Jahr 1931, von Kurt Tucholsky.
Dieses Gedicht stand schon mal im alten ST; ich will es aber nicht vergessen!


Kurt Tucholsky:
Eine Frage



Da stehn die Werkmeister – Mann für Mann.
Der Direktor spricht und sieht sie an:
“Was heißt hier Gewerkschaft! Was heißt hier Beschwerden!
Es muß viel mehr gearbeitet werden!
Produktionssteigerung! Daß die Räder sich drehn!”
Eine einzige kleine Frage:
Für wen?

Ihr sagt: die Maschinen müssen laufen.
Wer soll sich eure Waren denn kaufen?
Eure Angestellten? Denen habt ihr bis jetzt
das Gehalt, wo ihr konntet, heruntergesetzt.
Und die Waren sind im Süden und Norden
deshalb auch nicht billiger geworden.
Und immer noch sollen die Räder sich drehn …
Für wen?

Für wen die Plakate und die Reklamen?
Für wen die Autos und Bilderrahmen?
Für wen die Krawatten? die gläsernen Schalen?
Eure Arbeiter können das nicht bezahlen.
Etwa die der andern? Für solche Fälle
habt ihr doch eure Trusts und Kartelle!
Ihr sagt: die Wirtschaft müsse bestehn.
Eine schöne Wirtschaft!
Für wen? Für wen?

Das laufende Band, das sich weiterschiebt,
liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt.
Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug
sacht eure eigne Kundschaft kaputt gemacht.
Denn Deutschland besteht – Millionäre sind selten –
aus Arbeitern und aus Angestellten!
Und eure Bilanz zeigt mit einem Male
einen Saldo mortale.
Während Millionen stempeln gehn.
Die wissen, für wen.


*

(K.T. als „Theobald Tiger“. In: Die Weltbühne, 27. Januar 1931, Nr. 4, S. 123)
pea
pea
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Re: Börsenspiel
geschrieben von pea
als Antwort auf longtime vom 27.12.2008, 09:17:34
Schade,
daß Tucho seinem Leben viel zu früh ein Ende gesetzt hat...


--
pea
majana
majana
Mitglied

Re: Börsenspiel
geschrieben von majana
als Antwort auf longtime vom 07.11.2008, 06:37:57
Das folgende Gedicht, geht schon länger durchs Netz und wird Tucholsky zugeschrieben, ist es aber wohl nicht, dennoch paßt es gut zur derzeitigen Börsen- und Wirtschaftssituation:

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen - echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft's hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und - das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

--
majana

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longtime
longtime
Mitglied

Re: Börsenspiele miit Gerusia
geschrieben von longtime
als Antwort auf majana vom 27.12.2008, 16:35:19
Die Gerusia – ein altbackenes Neuwort mit monetärem Hintergrund:

Über den sprachlichen Wert der Wortbildung kann man sich erkundigen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gerusia


Erinnert sei hier an die „Gerusia“ (als Rat der Alten einer Bank), weil ich sie in einem Ossietzky-Text fand, der „Fusionen“ heißt:

Hier nur ein Ausschnitt:

„(…) Was ist daneben Vater Staat, in dem wir alle in rebellischen Momenten einen reißenden Oger zu sehen gewohnt sind? Eine Armenkasse, ein Klingelbeutel in der Kirche einer Hungergemeinde. Und, wenn nicht alles trügt, scheint grade der Staat von der neuen Geldübermacht als Trainingsobjekt für ein paar vorbereitende Exerzitien in Aussicht genommen zu sein. Auf der düsseldorfer Tagung des Reichsverbands der Deutschen Industrie hat neulich Herr Doktor Kehl, der Jüngste in der Gerusia der Deutschen Bank, mit jener frischen Vehemenz, über die Herr Hjalmar Schacht früher verfügte, als er noch nicht so viel Weihrauch inhaliert hatte, ein Programm vom Vorrang der Wirtschaft gegenüber dem Staat eingehend erörtert. Es ist wieder große Mode, auf die öffentliche Hand zu schimpfen, gegen die vom Staat auferlegten Soziallasten zu wettern. Lang ist es noch nicht her, da war der Staat gut genug, um Subventionen herzugeben, und die ach so sieche Wirtschaft ließ sich gern von ihm goldene Prothesen bezahlen. […]“


Zuerst erschienen in: Die Weltbühne, 16. Oktober 1929. S. 499.

Auch Texte von Carl von Ossietzky sind gemeinfrei (70 Jahren nach seinem durch Gewalt verursachten Tod); dass solche Texte von kritischen Politik-Journalisten wie von O. oder K.T. nicht veralten, liegt nihct an ihrem perfiden Überlebenswillen, sondern an der Geldsucht von Herren, die von altersher als parawirtschaftliches Existenzsymptom überliefert ist:

Ein Eintrag im "Grimmschen Deutschen Wörterbuch":

GELDSUCHT, f. geldgier als krankheit gedacht (vergl. das Adj. ‚geldsiech’):
Demosthenes (...), er hat nit die halssucht, sonder geltsucht. (ALBERUS dict. ii 4a)

Oder von wem sonst Zitables zur monetären Manie?

Nein, von Goethe ist es nicht bildungsgängig tradiert.
Da darf ich als anderen Weimaraner Herdern präsentieren:

„Das liebe Mein und Dein, Neid, Kargheit, Geldsucht, Ehre.“

TIPP: „Fusionen“ - der ganze Ossietzky-Text



Horaz: Satiren
(in der Übersetzung von Wieland)

Doch, dem gilts nicht allein! Auch ihr könnt immer
herbei euch machen, mit gebührender
Bescheidenheit die Ohren hier zu spitzen,
ihr andern alle, wen der Ehrgeiz oder
die Geldsucht blaß macht, wer an Schwelgerei,
an finsterm Aberglauben, oder welchem andern
Gemütsgebrechen krank ist – allesamt
herbei, der Ordnung nach, damit ich euch beweise,
daß Wahnwitz euer aller Übel ist!

--
longtime
lotte
lotte
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Auch das ist ein
geschrieben von lotte
als Antwort auf longtime vom 19.01.2009, 10:39:24
beklagt doch Walter vn der Vogelweide bereits die macht-und geldgeilen Päpste seiner
Zeit....



Ahî, wie kristenlîche nû der bâbest lachet,
swenne er sînen Walhen seit ‚ich hânz alsô gemachet‘!
(Daz er dâ seit, des solt er niemer hân gedâht).
Er giht ‚ich hân zwêne Allamân undr eine krône brâht,
daz si daz rîche suln stœren und wasten.
Ie dar under fülle ich die kasten:
ich hân si an mînen stoc gemenet, ir guot ist allez mîn:
ir tiuschez silber vert in mînen welschen schrîn.
Ir pfaffen, ezzet hüener unde trinket wîn,
unde lât die tiutschen <....> vasten.‘


Ahi, wie christlich jetzt der Papst lacht,
wenn er seinen Italienern sagt, ‚Gut habe ich es gemacht‘!
(Das was er da sagt, das hätte er nie denken sollen).
Er sagt ‚Ich habe zwei Alemanni unter eine Krone gebracht,
damit sie das Reich zerstören und verwüsten.
Inzwischen füllen wir die Kasten:
ich habe sie an meinen Opferstock getrieben, ihr Gut gehört alles mir;
ihr deutsches Silber fährt in meinen welschen Schrein.
Ihr Pfaffen, esst Hühner und trinkt Wein,
und lasst die deutschen fasten.‘


ganz realpolitisch sieht Walter, dass es der Kirche vor allem um Bereicherung geht ..... Der Ausgang des Inverstiturstreites ( weltliche oder geistliche Vormacht) brachte dann dem Papsttum in Europa den Sieg. Für eine Weile --- politische Siege dauern immer nur eine Weile ...
longtime
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Re: Auch das ist ein
geschrieben von longtime
als Antwort auf lotte vom 19.01.2009, 11:42:59
Eine schöne Ergänzung zum Thema!

Ja, da sind noch mehr Gedichte von Walther, die heftig-polemisch sind, meist papst-kritisch!

Der Begriff „Unmutston“ ein selten blasses Wort, um nicht das Wort Empörung oder Kritik zu verwenden.
„Unmutston« folgt neuerdings wieder nach Konrad Burdach [1859-1936].

Viele von Walthers Strophen sind gegen den Papst gerichtet, denn:

1. Der Papst mischt sich in Politik ein. Walther kritisiert das.

2. Der Papst fängt an zu Bannsprüche zu verbreiten, nicht gegen diejenigen, die er dem christlichen Selbstverständnis nach sollte, sondern diejenigen, die er wollte. Walther war dagegen.

3. Der Papst dient als schlechtes Vorbild für die Laien, und die Laien folgen ihm ohne Fragen zu stellen. Der Papst wird zum Verführer des „tiutschen“ Volkes. Walther ist dagegen, er findet das unchristlich im ntl. Sinne.

4. Walthers Vorwurf: Die Kirche folgt dem Papst zum Untergang des Christentums.

TIPP:
--
longtime

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enigma
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Re: Auch das ist ein
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 19.01.2009, 14:17:18
Die Dame hat es schon im 18. Jahrhundert gewußt:

 
Über den Aktien-Handel
 
Wer Geld besitzt, dem drohen Diebe,
Er schlummert nie in Sicherheit,
Viel sichrer schläft die Zärtlichkeit
Bei Aktien der Liebe.
 
Anna Louisa Karsch
1722 - 1791

Hier nachzulesen.


Gruß

--
enigma

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