Literatur Böhmisches Blut Philip Kerr
In diesem in der zweiten deutschen Auflage bereits 2014 erschienenen historischen Kriminalroman verbindet Philip Kerr deutsche und europäische Geschichte der Jahre 1941/42 mit einigen mysteriösen Kriminalfällen in Berlin und Prag. Der Polizeigeneral und Reichsprotektor für Böhmen und Mähren (Reinhard Heydrich) beauftragt den kompetenten Berliner Polizeikommissar Bernie Gunther, in Prag als Leibwächter für seine Sicherheit zu sorgen und schließlich auch einen Mord an einem seiner SS-Adju-tanten aufzuklären. Der von seinen Erlebnissen an der Ostfront traumatisierte Ich-Erzähler Bernie Gunther, der bei Massakern an Juden auch eigene Schuld auf sich geladen hat, obwohl er das NS-Regime ablehnt, erweist sich als moralisierender Zyniker, der vor allem die Atmosphäre und das Verhalten von Trägern des NS-Systems akribisch analysiert und seine Verachtung für diese kriminellen Personen deutlich zum Aus-druck bringt - auch mit vielen ironischen und prägnanten Formulierungen. Dabei gelingt es ihm sehr gut, die historisch tatsächlich belegbare Doppelmoral vieler NS-Täter, die zwischen Selbstmitleid, Imponierge-habe, Machtbewusstsein, Sadismus und politischer Verblendung schwankten, kritisch zu beleuchten. Die Perspektive von Opfern vor allem aus dem Umkreis tschechoslowakischer Widerstandskämpfer wird eben-falls eindrucksvoll erfasst. Dass seine deutsch-tschechische Geliebte Arianne Tauber für den tschechi-schen Widerstand arbeitet und ihre Liebe zu Bernie Gunther vielleicht nur weitgehend vortäuscht, erfährt der zeitweise selbst inhaftierte Bernie Gunther auf tragische Weise. Er kann mit seinen wohlüberlegten Aus-sagen ihr Leiden nur geringfügig erleichtern und ihren Tod im KZ nicht verhindern. Bernie Gunther kann zwar Erfolge im Dienst Heydrichs aufweisen,verliert aber endgültig das Vertrauen Heydrichs, der ihn wieder nach Berlin zurückschickt – was Bernie Gunther aber auch unbedingt wollte, um sich dem extrem kriminel-len Umfeld Heydrichs zu entziehen.
Obwohl man kritisieren kann, dass der Roman etliche Längen aufweist vor allem hinsichtlich der Charakteri-sierung von Trägern des NS-Regimes und sich vor allem auf ausgewählte historische Aspekte konzentriert bzw. andere nicht unwesentliche Fakten ausklammert, ist er eine eindrucksvolle und spannende Darstel-lung von Aspekten des NS-Regimes aus der Sicht eines tragischen und zynischen Anti-Helden, der klare und fundierte historische Werturteile zum Ausdruck bringt. Gut finde ich auch, dass im Schlusskapitel herausgestellt wird,wie etliche Haupttäter nach dem Krieg bestraft wurden.