Forum Kunst und Literatur Literatur Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern

Literatur Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern

longtime
longtime
Mitglied

Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern
geschrieben von longtime
Zur Anregung, zum Mitschreiben...?


Hat jemand Lust, sich mit diesem besonderen Gedicht von Carl Zuckmayer zu beschäftigen, das so einfach undkonkret zu sein scheint?
Wer fühlt sich angesprochen durch die klare Sprache, die Natürlichkeit, den Wunsch nach Licht und Aufklärung, die nachvollziehbare Empathie?

(Ich werde auch einige Angaben beitragen, ohne Recht haben zu wollen.)


Carl Zuckmayer:
Ein nie vorher gesehener Stern

Manchmal des Nachts, wenn ich die Öfen schürte,
Sah ich durchs Fenster, nah und weltenfern,
So jäh, als ob mich eine Hand berührte,
Den nie vorher gesehenen Stern.

Er sprang und zuckte grün in kaltem Feuer -
So groß war nie ein Licht, und kein Planet.
Mein Blick war blind davon, und ungeheuer
Erschrak mein Herz, und fand nicht zum Gebet.

Hob dann die Lider ich, war er verschwunden.
War es ein Zeichen? War's ein Ruf des Herrn?
Ich frage nicht. Doch hält mich tief gebunden
Der nie vorher gesehene Stern.


*

Das Gedicht, das als Weihnachtsgedicht im Internet häufig angeführt und in Weihnachts-Anthologien nachgedruckt wird, erwähnt Anlass, Umstände und Motive der genau erkennbaren Weihnachtlichkeit überhaupt nicht.
Und trotzdem hat man ein suggestives Gefühl des Einverständnisses; nicht nur mit dieser Winterzeit, wo es kalt war für den, der sich hier als Schreibender und Handelnder „Ich“ nennt; nachts besondere Aufgaben hat; der Öfen, die er in seinem Haus versorgt, schüren muss und nahe mit oder in der Natur, ja mit den Sternen lebt.

Was für ein "besonderer Stern" mag das Himmelslicht gewesen sein für einen deutschen Dichter, der 1944 in Emigration in den USA leben musste?

hl
hl
Mitglied

Re: Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern
geschrieben von hl
als Antwort auf longtime vom 04.01.2010, 16:57:52
Ich bekomme eine Gänsehaut beim Lesen (habe es nie zuvor gelesen).

"Er sprang und zuckte grün in kaltem Feuer -
So groß war nie ein Licht, und kein Planet.
Mein Blick war blind davon, und ungeheuer " ..

Assoziation beim Lesen: Das grüne Licht der Raketen auf .. / Bilder, die man im TV sah, Hiroshima und Nagasaki (1945)
enigma
enigma
Mitglied

Re: Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern
geschrieben von enigma
als Antwort auf hl vom 04.01.2010, 17:39:27
Guten Morgen,

ich habe mir das Zuckmayer-Gedicht jetzt auch durchgelesen, zweimal sogar. Und ich bin sehr gespannt darauf, Longtime, welche Gedanken Du dazu äußern wirst.

Ich muss sagen, dass ich persönlich ähnlich wie hl empfinde und ihrer Assoziation zu Raketen oder noch Schlimmerem gefühlsmäßig folgen kann.
Jedenfalls bin ich auch der Meinung, dass der “nie vorher gesehene Stern” und das Licht für mein Empfinden etwas Bedrohliches haben, auch für Zuckmayer gehabt haben könnten, so wie er sie beschrieben hat?

Jahre später hat er ja auch ein Drama “Das kalte Licht” geschrieben, in dem er die Geschichte von Klaus Fuchs thematisierte. Das war allerdings wesentlich später.

Fuchs hat, soweit mir bekannt ist, Anfang der vierziger Jahre in den USA geforscht, und vielleicht hat Zuckmayer Kenntnis davon gehabt, worauf sich diese Forschungen konzentrierten?

Außerdem hat er doch in den Jahren vor 1945 Berichte für den amerikanischen Geheimdienst geschrieben über Geschehnisse und Leistungsträger im damaligen Deutschland.

Und schon Jahre vor Kriegsende hatten die Deutschen ja fleißig an Raketen gebastelt. Das konnten wir in Peenemünde in der ehemaligen Versuchsanstalt mal besichtigen.

Vielleicht hat Zuckmayer da auf Klarheit und die richtige Eingebung gehofft und mit seinem Gewissen gerungen?

Aber vielleicht bin ich auch auf dem ganz falschen Dampfer und letztlich weiß ich es nicht, alles sind nur vage Annahmen.
longtime
longtime
Mitglied

Re: Ein Weihnachtsgedicht! Zuckmayers auffaelliger Text vom besonderen Stern
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 05.01.2010, 07:29:03
Dank an die Mitleserinnen:

Und tatsächlich, das habe ich erkundet:

Die Entstehungszeit, aber nicht die begrenzende zeitlich oder gedanklich Aussage des Gedichts ist der Winter 1944, als Carl Zuckmayer – nach der im Jahr 1938 geglückten Flucht aus Österreich – in den Vermonter Bergen in den USA lebte, zusammen mit seiner Frau Alice Herdan-Zuckmayer, den Tieren des Hauses und den Naturbedingungen:

Als er sich in seiner Existenz als Künstler in den USA bedroht sah, pachtete er dort ab 1941 eine kleine Farm, die er bis Kriegsende bewirtschaftete. Einer besonderen Aufgabe kam er nach – er, der unverdächtigte Exilant und Demokrat: Ab 1943 schrieb er für das Office of Strategic Services (OSS), den ersten amerikanischen Auslandsgeheimdienst, Dossiers über deutsche Künstler, die im Hitlers Reich geblieben und zu meist gut von Hitler, Goebbels und Co. zu leben verstanden: Schauspieler, Regisseure, Verleger und Journalisten, die während der Zeit des „Dritten Reiches“ in Deutschland erfolgreich waren.

Er führte, mit dem Material, das ihm die Amerikaner aus der Weltpresse und aus Geheimberichten zur Verfügung stellen, die unterschiedlichen Verhaltensmöglichkeiten in einer Diktatur vor Augen: von der Anpassung bis hin zu zeitweiligen oder fortwährend-schweigenden Renitenz anhand von 150 exemplarischen Lebensläufen sichtbar. Diese Dossiers wurden erst 2002 als „Geheimreport“ veröffentlicht.

Informationen über diesen Zuckmayerschen „Geheimreport“:

Von Zucks fleißig-anständiger Geheimarbeit

Für die „Frankfurter Anthologie“ interpretierte Silke Scheuermann am 05.12.2009 Zucks Gedicht "Ein nie vorher gesehener Stern“ unter dem Titel „Vom Land leben, den Stern sehen“.

Sie resümiert die ländlich-konventionellen Erfahrungen des Neu-Farmers als wackeren Naturburschen, der in seiner Lebenschronik “Als wär’s ein Stück von mir“ vom finsteren Jahr 1944 schrieb und von bäuerlich-rustikaler Selbstversorgung berichtet, wenn er das Schlachten von gut gefütterten Hähnen für die Kochtopf-Versorgung politisch deklariert und die Suppen- und Fleischversorgung stimmungsvoll anreichert als eigenhändige "Siege" über Nazis: „Wir hatten Ribbentrops, mehrerer Himmlers, zwei Brüder Goebbels (Paul und Joseph).“

Silke Scheuermann endet mit diesem Satz:
"'Mein Blick war blind davon, und ungeheuer / Erschrak mein Herz, und fand nicht zum Gebet': Im Jahre 1946 konnte er in seine Heimat zurückkehren. Er hatte nicht gebetet - aber sein Gebet wurde erhört."

Ich glaube zum "Gebet": Zuck hat nicht weihnachtlich-friedlich seine Stimmung charakterisieren wollen, sondern ausdrücken, dass er - wie alle friedlich bereite Welt - auf den Krieg gegen das "Un-deutsche Reich" setzen musste, um dessen Terror und Weltbeherrschung verhindern zu können.

*

Zucks Atom-Drama "Das kalte Licht" ist ein aufschlussreicher Hinweis von enigma auf die damalig diskutierten und kriegsmäßig praktizierten Atomwaffen.
Ob der Dramatiker schon so früh - vor Kriegsende - an Ideen oder Konzepten für „Das kalte Licht“ (1955) saß, das einen Fall von Atomspionage auf die Bühne brachte, weiß ich aber nicht.

Herzlich dankt fürs Mitinterpetieren
Antonius R.!



Anzeige