Forum Kunst und Literatur Literatur Eine kurze Zwischenbemerkung...

Literatur Eine kurze Zwischenbemerkung...

miriam
miriam
Mitglied

Eine kurze Zwischenbemerkung...
geschrieben von miriam
Kennt Ihr das auch? Man beschreitet des Öfteren neue Wege, indem man sich erst einmal zu einem Bezugspunkt (oder Orientierungspunkt) begibt, um von dort aus einen neuen Weg zu gehen.

Wenn ich Albert Camus lese, dann habe ich immer den Eindruck, dass mein Weg beim "Mythos des Sisyphos" anfängt, um dann dem Autor auf seinem neuen Weg zu folgen. Auch mein Weg durch seinem Roman "Die Pest" beginnt eigentlich beim Absurden (Sisyphos) – und führt dann weiter durch die Pestjahre des Zweiten Weltkrieges, durch das Grauen der KZs, oder aber die Kriegserlebnisse aus der Perspektive der Belagerung der Stadt Oran (Algerien - Geburtsland des Schriftstellers).

Dadurch ist eigentlich die Pest eine Metapher – und sollte nicht wörtlich verstanden werden. Wie so oft, verbirgt sich hinter der Metapher (Pest), viel mehr als nur ein Krankheitsbild.

Für mich persönlich ist Albert Camus einer der ganz großen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, "Die Pest" eines der wichtigsten Werke der zeitgenössischen Literatur.
Dies alles sehr kurz gefasst – da ich mir nicht sicher bin, ob das Thema von Interesse ist.

Es galt aber auch Einiges richtig zu stellen, was im Thread über Albert Camus m.E. so nicht stehen bleiben sollte.

Gruß von Miriam
miriam
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Mitglied

Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von miriam
als Antwort auf miriam vom 15.12.2009, 23:41:48
Nochmals Einiges zu Albert Camus. Ich habe nun das Buch "Philosophische Vitamine" von Theo Roos aufgeschlagen beim Kapitel über Albert Camus – und fand da diese wunderbare Anmerkung, die die Verbindung zu Descartes herstellt. (Über Descartes schrieb ich heute schon kurz beim Thema "Nur ein Zitat...").

Theo Roos nennt Albert Camus einen Cartesianer des Gefühls. Vielleicht macht mir dies Camus so sympathisch und ist eigentlich mit der Grund über ihn hier einiges zu schreiben.
Denn Camus bleibt in alldem was er im Zusammenhang mit dem Absurden beschreibt, eigentlich auf der emotionalen Ebene.


"Was Descartes dem Verstand abfordert, das "Clara et distincta" der Begriffe, erspürt Camus auf der Ebene des Gefühls. Durch klare und deutliche Empfindungen erfahren wir mehr von uns selbst und der Welt als durch klare und deutliche Kategorien des Denkens. Nicht durch das "Ich denke also bin ich" sondern durch das "Ich empfinde, also bin ich" nähere ich mich dem Selbst und den Dingen." (Theo Roos).

Auch wenn ihn in seinem ganzen Werk der Gedanke des Absurden immer wieder beschäftigt, ist "Der Mythos von Sisyphus" sicherlich die Quintessenz seiner Philosophie.

Ich möchte nun doch auch kurz einige der biographischen Daten des Schriftstellers hinzufügen:

Albert Camus wurde in Algerien (Mondovi) in 1913 geboren. In seinem Werk befasst er sich wiederholt mit der Absurdität der menschlichen Existenz. Durch sein ganzes Werk erkennt man sein inneres Bedürfnis gegen Gewalt, gegen Despotismus, und auch gegen die Absurdität die man in der menschlichen Existenz andauernd erkennt, anzukämpfen. Dabei lehnte er Sartres Existenzialismus als zu doktrinär ab.

Zu seinen bedeutendsten Werken zählen: "Die Pest", "Der Fremde", "Der Fall" (dieses Buch wäre eine Empfehlung von mir), "Der Mythos von Sisyphos" - ein philosophisches Essay. Camus schrieb auch Theaterstücke ("Caligula") und Tagebücher (Carnets).
Er starb in Januar 1960, absurd, in einen Autounfall.


"Das Gefühl der Absurdität kann einen beliebigen Menschen an einer beliebigen Straßenecke anspringen. Es ist in seiner trostlosen Nacktheit, in seinem glanzlosen Licht nicht zu fassen." (Aus "Der Mythos von Sisyphos" )

Dazu schreibt Theo Roos:

Wenn dieses Gefühl des Absurden sich einstellt, wird plötzlich das Gewohnte fremd. "Die Mechanik des Lebens wird sichtbar...Die Bewegungen verlangsamen sich oder sind extrem beschleunigt...Der Alltag ist wie hinter Glas..."

Man erkennt bei Camus, dass genau dies der Anfang des Bewusstwerdens ist, bzw. dass Philosophie genau hier entsteht - also aus diesem Gefühl des Absurden.

Lohnt sich unter diesen Gesichtspunkt das Leben, oder nicht? Dies scheint für Camus die einzige gültige philosophische Frage, alles andere, das Kategorisieren der Wirklichkeit, die abstrakten Begriffe die dabei eingesetzt werden, eigentlich nur eine der Möglichkeiten, oder der Versuch, dem Gefühl des Absurden auszuweichen. (Wie oft begegnet einem im Alltag doch dieser Versuch, sich ins Rationale zu flüchten...)


"Was Descartes dem Verstand abfordert, das "Clara et distincta" der Begriffe, erspürt Camus auf der Ebene des Gefühls. Durch klare und deutliche Empfindungen erfahren wir mehr von uns selbst und der Welt als durch klare und deutliche Kategorien des Denkens. Nicht durch das "Ich denke also bin ich" sondern durch das "Ich empfinde, also bin ich" nähere ich mich dem Selbst und den Dingen." (Theo Roos).


Camus bleibt ein Leben lang geprägt von Algerien, von der mediterranen Umgebung in der er aufgewachsen ist, und von den körperlichen Erfahrungen die er da machte: das Licht, das Meer, der Rhythmus der diese Welt auch ausmacht.
Dabei scheinen ihm die Abstraktionen gewisser Philosophen nebensächlich. Zwar kommt auch die Welt des Wissens und der Abstraktion später in seinem Werk vor, aber primär ist diese Körperlichkeit die ihn in frühen Jahren geprägt hat.

(Fortsetzung folgt)

Miriam


clara
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von clara
als Antwort auf miriam vom 16.12.2009, 14:24:13
Hallo Miriam, Deine Ausführungen habe ich mit Interesse gelesen. Lange ist es bei mir her, dass La Peste im Französischunterricht behandelt wurde. Ich meine auch, mich zu erinnern, dass auf die Metapher, also das, wofür der Titel steht, hingewiesen wurde, und es ist ja auch nicht schwer, das Buch so aufzufassen.
Ich sehe gerade, dass der Roman 1992 verfilmt wurde.
Bin gespannt, wie Deine Fortsetzung ausfällt.

Gruß, Clara

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miriam
miriam
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von miriam
als Antwort auf clara vom 16.12.2009, 16:54:49
Liebe Clara,

hier erst ein Beitrag der nicht gerade die Fortsetzung meines Textes ist, der aber erklären sollte wieso Albert Camus bzw. "La peste" bei mir, in meinem Alter, noch so gegenwärtig ist.

Natürlich ist es hauptsächlich meine große Bewunderung, nein - eher Liebe zu Camus, aber es gab da auch noch ein kleines/großes erneutes Vertiefen seines Werkes, hauptsächlich des Romans "La Peste", vor ca. 25 Jahren.

Ich habe zwei Töchter - die aus gewissen Gründen die gleiche Klasse besuchten - (nein, es war keine sitzengeblieben, aber wir hatten 4 Jahre in Holland gelebt - eine meiner Töchter wurde dann zurückgestuft, um ins Gymnasium aufgenommen zu werden.

Als dann die Oberstufe kam, hatten sie eine miserable Französischlehrerin die mit den Schülern ... deutsch sprach. Die Klassenarbeiten mussten aber in Franzosischer Sprache geschrieben werden.

Als dann die Wahl der Leistungsfächer erfolgte und ich dachte, dass mein Nachhilfeunterricht endlich zu Ende geht, teilten mir diese lieben Geschöpfe mit, dass sie sich für Französisch eingeschrieben hatten. Ich sagte mit meinem besten bestimmenden Ton, sie sollten zurück zur Schule - und dies direkt ändern. Sie waren darauf vorbereitet - und klärten mich auf: eine Änderung sei ausgeschloßen.

Also hatte ich das Vergnügen, nach meiner vollen Berufswoche, Französisch zu büffeln.

Dann kam die Vorbereitung auf das Schriftliche im Abitur. Wir wurden informiert, dass es dabei u.a. um "La Peste" gehen wird.

So. Jetzt büffelte ich im Wochenende "La Peste" - und verfasste die entsprechenden Texte.
Am Ende waren es 70 (siebzig) handgeschriebene Seiten. Dann aber fiel mir ein, dass ich eigentlich noch einen veränderten Text schreiben müsste, da es doch zwei waren...
Daraufhin wurde ich krantig und beschwerte mich bei den beiden.

Meine jüngere Tochter hatte Mitleid mit mir - und sprach den unvergessenen Satz aus: "Nein Mama! Wir teilen uns den Text einfach auf: ich die erste Seite, meine Schwester die zweite, dann ich die dritte, sie die vierte..."

Nun, angesichts einer solchen Perspektive, schrieb ich natürlich 140 Seiten!

Liebe Grüße

Miriam
Medea
Medea
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von Medea
als Antwort auf miriam vom 16.12.2009, 17:51:32
Verstehe ich nicht - DU solltest doch dein Abitur nicht wiederholen, sondern Deine Töchter ihres machen - wieso hast DU dann diese Arbeiten angefertigt?
Wäre das nicht Sache der Töchter gewesen, die diese Aufgabe gestellt bekamen? Muttern kann da hilfeleistend einspringen, aber gleich 140 Seiten lang? - sfg -



clara
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von clara
als Antwort auf miriam vom 16.12.2009, 17:51:32
So ist das also, Miriam! Jetzt versteh' ich auch Dein Engagement für und Dein Wissen über Camus.
Da ist ja allerhand hängen geblieben von "Deiner" Abiwiederholung. Hoffentlich haben es die Töchter zu würdigen gewusst!

Gruß, Clara

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miriam
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von miriam
als Antwort auf clara vom 16.12.2009, 18:29:20
Sie wussten es wirklich zu würdigen Clara - und haben es auf ganz anderer Weise, also auf ihrer Weise, bis zum heutigen Tage mir immer wieder auch bewiesen.

Heute sagen beide, dass das pädagogisch ... falsch gewesen sei. Aber es war eine wahre Verkettung: es fing so zu sagen harmlos an, mit der Wahl der Leistungsfächer - was daraus noch erfolgen würde, hat keine von uns so ganz klar gesehen. Das größte Handicap war die Französischlehrerin, die nicht Französisch sprach.

Was mich persönlich betrifft, bleibt mir die Erinnerung an dieses Phänomen welches wir wahrscheinlich alle kennen: die Wiederbegegnung mit einem Schriftsteller nach vielen Jahren, und das Staunen über die Art wie man ihn nach langer Zeit plötzlich (anders?) empfindet oder begreift.

Medea - wie streng du doch plötzlich urteilst, wegen einer Geschichte, die ich eher wegen ihrer komischen Seite hier erzählt habe! Wäre jemand wirklich zu Schaden dabei gekommen, hätte ich natürlich geschwiegen - dafür kenne ich ja das Forum schon gut genug.

Liebe Grüße

Miriam

Morgen lege ich hier wahrscheinlich den letzten Teil meiner Abiturprüfung über Camus ab, in der Hoffnung sie zu bestehen!
Medea
Medea
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze...
geschrieben von Medea
als Antwort auf miriam vom 16.12.2009, 18:55:59
Nimm es mir nicht krumm, Miriam -
aber dein Verhalten hat mich halt zu dieser kleinen Erwiderung gereizt - allein wichtig ist, daß das Abitur reibungslos über die Bühne deiner beiden Mädchen ging - später kräht kein Hahn mehr danach.
Und ich weiß, wozu Mütter manchesmal fähig sind ....


"Die Pest", "Der Fremde" und "Der Mythos von Sisyphos"
stehen auch noch irgendwo in meinem Bücherschrank.
Mir ist immer noch der Satz in Erinnerung "Ein Schicksal ist keine Strafe" und "wichtig ist nicht, gesund zu werden, sondern mit seinen Krankheiten zu leben". Mit zunehmendem Alter gewinnt dieser Satz an Bedeutung.
Nichts für ungut, Miriam.
Grüßle von mir.
M.

miriam
miriam
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Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze..Zwischenbemerkung....
geschrieben von miriam
als Antwort auf Medea vom 16.12.2009, 19:44:33
Am Ende dieses Versuchs Einiges über Albert Camus zu schreiben, kehre ich nochmals zurück zur Figur des Sisyphos.

"Es sind Vorstellungen, die das Absurde verstellen, Vorstellungen, die das Konkrete und die Gegenwart ständig transzendieren, Vorstellungen, die Mittel und Zweck in Trennung halten. Sisyphos erfährt die "verschwiegene Freude" als rollender Stein, wenn er die Vorstellung, den Gipfel erobern zu können, aufgibt und begreift, daß das Rollen und der Fels sein Schicksal sind und daß dieses Schicksal ihm gehört. Nicht der Gipfel, der Fels ist seine Sache. In der Konzentration auf den Stein und das Rollen kommt er in seine Gegenwart." (Theo Roos)

So rollen wir ja alle unseren Stein. Und Sisyphos ist laut Camus ein glücklicher Mensch, wenn er akzeptiert, dass dieses absurde Rollen des Steins und der Fels, sein Schicksal sind.
Da kommt auch noch etwas dazu: der Moment der freien Wahl: entweder man entscheidet sich seinen alten Stein weiter zu rollen, oder aber man wählt einen anderen Stein den man rollt. Aber rollen werden wir in jeden Fall, nur die Wahl des Steins steht uns frei.

Was uns in erster Linie als absurd erscheint, hat auch seine positiven Seiten. In diesem Licht sehen wir manches besser als unter den Aspekt des Absoluten, das ein zu hoher Anspruch bedeutet, oder wie Roos es definiert, das
"grelle Licht des Absoluten" welches alles ständig überstrahlt. Unter der winzigen und schwacheren Beleuchtung des Absurden nehmen wir erst das wahr, was für Camus das entscheidende ist: die Gegenwart, jener "herrliche und vergängliche Stoff".

Miriam



nasti
nasti
Mitglied

Re: Vielleicht etwas mehr als nur eine kurze..Zwischenbemerkung....
geschrieben von nasti
als Antwort auf miriam vom 18.12.2009, 21:49:05
Aus Buch zitiert, diese Erkenntnisse gefallen mir irgendwie:

„Mit der Zeit habe ich erkannt, dass selbst diejenige, die besser sind als andere, es heute nicht vermeiden können zu töten oder täten zu lassen, weil das in der Logik liegt, in der sie leben, und das wir in diesem Welt keine Bewegung machen können, ohne dabei Gefahr zu laufen, den Tod zu bringen…..ich habe gelernt, dass wir alle in dem Pest sind, und ich habe den Frieden verloren……
Deshalb kann diese Epidemie mich auf nichts lehren, außer dass ich sie an ihrer Seite bekämpfen muss……“

Nachdem in das unbedeutenden und hässlichen Stadt Oran weichte das Pest Seuche weg, das ganze Außenwelt war abgeschnitten, hat sich der Stadt positiv verändert. Der Leser bekommt eine Lehre, dass Mut, Willenskraft und Nächstenliebe auch ein scheinbar unabwendbares Schicksal meistern können.

Nasti





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