Forum Kunst und Literatur Literatur Gedanken unserer Dichter und Denker - Auszüge aus ihren Werken

Literatur Gedanken unserer Dichter und Denker - Auszüge aus ihren Werken

RE: Gedanken unserer Dichter und Denker - Auszüge aus ihren Werken
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Hoffentlich passen Erich Kästners Gedanken zum Januar hier auch rein?

Bilder: Karl Schmidt-Rottluff




Ein schönes Januar-Wochenende wünscht Inge
 

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Gedanken unserer Dichter und Denker - Auszüge aus ihren Werken
geschrieben von Sirona
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Heinrich Heine
Auszug aus seiner Harzreise

 
Es ist heute der erste Mai. Wie ein Meer des Lebens ergießt sich der Frühling über die Erde, der weiße Blütenschaum bleibt an den Bäumen hängen, ein weiter, warmer Nebelglanz verbreitet sich überall. In der Stadt blitzen freudig die Fensterscheiben der Häuser, an den Dächern bauen die Spatzen wieder ihre Nestchen, auf der Straße wandeln die Leute und wundern sich, dass die Luft so angreifend und ihnen selbst so wunderlich zu Mute ist; die bunten Vierlanderinnen bringen Veilchensträuße; die Waisenkinder, mit ihren blauen Jäckchen und ihren lieben, unehelichen Gesichtchen, ziehen über den Jungfernstieg und freuen sich, als sollten sie heute einen Vater wiederfinden; der Bettler an der Brücke schaut so vergnügt als hätte er das große Los gewonnen; sogar den schwarzen, noch ungehenkten Makler, der dort mit seinem spitzbübischen Manufakturwaren-Gesicht einherläuft, bescheint die Sonne mit ihren tolerantesten Strahlen, - ich will hinauswandern vor das Tor.
 

 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Gedanken unserer Dichter und Denker - Auszüge aus ihren Werken
geschrieben von Sirona
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„Mein Gott“, jammerte sie „ich habe ihn verloren!“
„Wen denn, um Gottes Willen?“
„Meinen grünen Stift!“
„Einen Moment!“, sagte ich zu meinem Klageweib, während meine Gehirnzellen heftig rotierten, „was hältst du davon es im Einkaufscenter der US-Army zu versuchen? Ich bin fast sicher, dass wir dort deinen Stift finden werden.“
„Mach dich nicht lächerlich“, erwiderte sie, aber ich war schon unterwegs. Unser Glück stand auf dem Spiel, vielleicht unsere Ehe. Vor allem aber unsere Urlaubswoche in Paris. Zunächst ging ich in den nächstbesten Frisierladen und kaufte einen einfachen grünen Stift ohne irgendeine Markenbezeichnung. Dann suchte ich einen Juwelier in der Nähe der Oper auf und bat ihn, auf die Hülle des Stiftes die Worte „Velvet Green, Maybelle of Michigan“ in goldenen Lettern einzugravieren. Der Juwelier verzog keine Miene. Er kennt seine Touristinnen. 
Um es kurz zu machen: einige Stunden später kam ich ins Hotel zurück, näherte mich der verweinteste Ehefrau von allen und überreichte ihr den Stift. Die Gute erblickte meinen Buntstift und ihr Antlitz verklärte sich. „Du Trottel“, schrie sie. „Das ist er doch! Das ist genau der, den ich überall vergeblich gesucht habe.“ Sie stürzte zum Spiegel und zog einige sehr grüne Striche um ihre leuchtenden Augen. 
Und so setzte ich mich hin und schrieb – zum Unterschied von George Gershwin, dessen Gattin vermutlich blaue Augenstifte verwendet haben dürfte – diese Rhapsodie in Grün. 


 

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