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Literatur Gedichte verschiedene

yankee
yankee
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Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
Um das Thema wieder zu beleben, möchte ich mit dem Bonzenblues von Erich Mühsam starten.

Der Bonzenblues

Sei dankbar, Volk, den Edlen, die dich leiten,
der Obrigkeit, die stets dein Heil bedenkt.
Willst du dir selber dein Geschick bereiten,
bald wär die Karre in den Sumpf gelenkt.
Was weißt denn du, was für dein Wohlsein nötig ist?
Das Volk gehorche, weil es brägenklötig ist.
Der höhern Einsicht füge dich beizeiten,
und frag nicht lang, warum der Staat dich henkt

Vertraue, Volk, den Bonzen der Parteien,
geborgen ist dein Glück in ihrem Schoß.
Wenn du sie wählst, wolln alle dich befreien,
wenn sie gewählt sind, melken sie dich bloß.
Stell dir doch vor, wenn niemand dich regieren soll,
wovon dein Bonze dann noch existieren soll.
Der ganze Landtag müßt vor Hunger schreien.
Selbst die Abortfrau wäre arbeitslos.

Sie haben nichts im Kopf als die Paragraphen.
Die Bonzen sind, o Volk, die Jungs im Skat,
verhängen Steuern über dich und Strafen,
und wenn du aufmuckst, dann ist's Hochverrat.
Sie merken nie, wenn alles auf der Kippe steht,
sie merken immer, wo noch eine Krippe steht,
doch du, o Volk, du kannst geruhsam schlafen.
Bonzen wachen, ja es wacht der Staat

--
yankee
pilli
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von pilli
als Antwort auf yankee vom 07.09.2007, 17:22:31
An mich

Wenn dir ein Schaden am Leibe frißt,
Jammre nicht, sondern handle;
Und wenn du glücklich gewesen bist,
Nimm dein Bett und wandle.
Ärgert dein Aug dich,
so reiß es aus,
Sonst ärgert es dich an beiden;
Und keift dir ein schlimmes Weib zu Haus,
So geh und lasse dich scheiden.
Und wird dir das Beten und Fasten zu dumm,
Richte, schlichte, verzichte;
Und haranguiere das Publikum
Nicht erst durch Weltschmerzgedichte.

Frank Wedekind

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pilli
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf pilli vom 07.09.2007, 20:00:57
Von Frank Wedekind hab ich auch noch eins.

Schweig und sei lieb!

Als du, mein Held, zum ersten Male mir
Im lichterfüllten Saal entgegentratest
Und lächelnd, fast mit kindlichem Gezier,
Um einen Walzer mich verlegen batest,
Weißt du, was in des Morgens Dämmerstunden,
Eh’ dich mein Traum von neuem mir verbunden
Ich in mein Tagebuch errötend schrieb?

Schweig und sei lieb!

Und als du gestern mir mit raschen Schritten
Nachjagtest – zum Befehl ward mir dein Ruf;
Als Kind hätt’ ich ihn nie so streng gelitten,
Da stets nur Trotz er mir im Herzen schuf
Ahnst du, weshalb in fieberheißem Beben,
Weshalb ich rettungslos dir preisgegeben,
Weshalb ich stracks wie angekettet blieb?


Schweig und sei lieb!

Von Wahnsinnsstürmen ward mein Sinn umhallt,
Mein Stolz erstarb, der sonst so siegesfrohe
Begreifst du die dämonische Gewalt,
Mein Held? Begreifst du, welch empörte Lohe,
Daß sie nicht sengend Herz und Hirn verzehre,
Mich dir mein Glück, mein Leben, meine Ehre,
Mich dir mein Alles hinzugeben trieb?

Schweig und sei lieb!

--
yankee

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 10.09.2007, 09:37:00
Ballade von den guten Absichten

Liebt, wen ihr wollt und wie ihr könnt,
Treibt's wild auf Feiern und auf Festen,
Am Ende werdet ihr schon sehn,
Ihr holt euch einzig blutge Köpfe;
Die Liebe narrt selbst bessre Herrn:
Ein Salomo schob Götzendienst,
Der starke Simson wurde blind.
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

Der sanfte Spielmann Orpheus, einst
Bespielte er Schalmein und Flöten,
Er floh voll Angst, in Todespein
Vor vierköpfigen Höllenkötern;
Narziss, ein wirklich schöner Kerl,
Der fiel in einen Brunnen tief,
Weil seine Liebe überlief.
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

Sardanapal, ein Ehrenmann,
Der Kretas König niederstreckte,
Zog gerne Frauenkleider an,
Beim Spinnen er die Mägde neckte;
Großkönig David war Prophet,
Bis er ein Weib beim Baden sah
Und alle Gottesfurcht vergaß.
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

Und Amnon, dieses wilde Tier,
War träge, doch er backte Kekse,
Um's Schwesterchen zu defloriern
Im wenig ehrbaren Inzeste;
Herodes hat sein Kind begehrt:
Er ließ Johann, den Täufer, köpfen
Für Sang und Tanz, hüpfende Zöpfe.
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

Ich, Armer, kann auch was erzähln:
Man hat mich bis auf's Blut verdroschen,
Ganz nackt dazu, kann's nicht verhehln.
Ihr fragt euch, wer die Suppe brockte?
Katherine war's, die ich heiß begehrt!
Mein Freund Noël schlug hart und fest
Bei diesem schönen Hochzeitsfest.
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

Soll'n junge Hüpfer besser meiden
Den Spaß mit jungen Hüpferinnen?
Nein! Selbst wenn sie wie Hunde leiden,
Ein jeder soll nur jede minnen.
Von süßen Düften sanft betört,
Muss Mann im Wahn auf Weiber baun;
Ob sie nun weiß sind oder braun,
Das Glück kennt nur, wen gar nichts stört!

François Villon


--
enigma
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 10.09.2007, 11:28:54

Hallo Enigma und Pilli,
hoffe es geht euch gut.

Ständchen

Zögernd leise
In des Dunkels nächt'ger Stille
Sind wir hier;
Und den Finger sanft gekrümmt,
Leise, leise,
Pochen wir
An des Liebchens Kammerthür.

Doch nun steigend,
Schwellend, schwellend,
Mit vereinter Stimme, Laut
Rufen aus wir hochvertraut;
Schlaf du nicht,
Wenn der Neigung Stimme spricht!

Sucht' ein Weiser nah und ferne
Menschen einst mit der Laterne;
Wieviel seltner dann als Gold
Menschen, uns geneigt und hold?
Drum, wenn Freundschaft, Liebe spricht
Freundin, Liebchen, schlaf du nicht!

Aber was in allen Reichen
Wär' dem Schlummer zu vergleichen?
Drum statt Worten und statt Gaben
Sollst du nun auch Ruhe haben.
Noch ein Grüßchen, noch ein Wort,
Es verstummt dir frohe Weise,
Leise, leise,
Schleichen wir uns, ja, schleichen wir uns wieder fort!


Franz Grillparzer
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yankee
longtime
longtime
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von longtime
als Antwort auf yankee vom 10.09.2007, 17:51:10
Greating Gott in die Rund der Poesie-Kundigen:

Hanah Fingley:

- übersetzt von John Fingley-Mouth -

Gesang der Fliegenden

Die Hände ans Spitzenmaul
des Psalmes vom Schneesturm gelegt,
in den Stock von greisen Bienen,

schwören Menschen Liebe,
tauschen sie Küsse,
Küsse, Küsse, Zuckungen:
knalle, note, geele, taue -
ach, phalle, rote, gelbe, blaue,
Frauen imitierend.
Priesterliche
drücken sich
aus auf Lein
und Stein
und Knabenbein.

Über den Lehen
der Armen
heben sich diese Menschlein,
küssenden Seelen gleich,
und vereint in der Verkleidung,
erstarrte Bernsteinfliegen
ehedem Schmetterlinge,

von keinem Strahl
des Geistes
durchbohrt.
*
(Edited: H. F.: Songs and Poems. Boston. “The New Harvard Guide to Women's Health”. 1996)

--
longtime

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yankee
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Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf longtime vom 11.09.2007, 08:11:17
Erich Mühsam

Erziehung
Der Vater zu dem Sohne spricht:
Zum Herz- und Seelengleichgewicht,
zur inneren Zufriedenheit
und äußeren Behaglichkeit
und zur geregelten Verdauung
bedarf es einer Weltanschauung.

Mein Sohn, du bist nun alt genug.
Das Leben macht den Menschen klug,
die Klugheit macht den Menschen reich,
der Reichtum macht uns Herrschern gleich,
und herrschen juckt uns in den Knöcheln
vom Kindesbein bis zum Verröcheln.

Und sprichst du: Vater, es ist schwer.
Wo nehm ich Geld und Reichtum her?
So merk: Sei deines Nächsten Gast!
Pump von ihm, was du nötig hast.
Sei's selbst sein letzter Kerzenstumpen -
besinn dich nicht, auch den zu pumpen.

Vom Pumpen lebt die ganze Welt.
Glück ist und Ruhm auf Pump gestellt.
Der Reiche pumpt den Armen aus,
vom Armen pumpt auch noch die Laus,
und drängst du dich nicht früh zur Krippe,
das Fell zieht man dir vom Gerippe.

Drum pump, mein Sohn, und pumpe dreist!
Pump anderer Ehr, pump anderer Geist.
Was andere schufen, nenne dein!
Was andere haben, steck dir ein!
Greif zu, greif zu! Gott wird's dir lohnen.
Hoch wirst du ob der Menschheit thronen!


--
yankee
enigma
enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 11.09.2007, 15:14:31


Hallo Yankee,

ja, danke, es geht ganz gut, Dir hoffentlich auch?

Dann will ich auch wieder etwas beisteuern:

Heinrich Seidel
Die Mittelmässigen

Die Musik ist heutzutage
Wohl der Menschheit grösste Plage:
Schauervolles wird erreicht,
Wenn der Mensch die Geige streicht,
Oder um die Abendröthe
Zwecklos bläst auf einer Flöte.
Und ich hege die Vermutung,
Dass auch der Posaune Tutung
Manchem wohl bei Tag und Nacht
Keine grosse Freude macht.
Dieser schlägt mit viel Gebimbel
Grausamlich das Klavezimbel
Jener aber gnadenlos,
Kneift das Cello - Gott ist gross!
Seine Langmuth ist unendlich,
Treibt's der Mensch auch noch so schändlich.

Andre wieder, wie wir wissen,
Sind der Poesie beflissen,
Kochen zu der Menschheit Schauer
Tag für Tag ihr Herz in Sauer,
Wandeln auf geblümter Au.
Viele Trauer-, Lust- und Schau-
Spiele fliessen zäh wie Leder
Aus der öden Dichterfeder,
Und es rinnt die trübe Fluth
Ohne Ende! - Gott ist gut,
Dass er solches lässt geschehn,
Ohne ins Gericht zu gehn!

Andre, zu der Menschheit Qualen,
Legen wieder sich aufs Malen
Und beschmieren ohne Ende
Viele schöne Leinewände
Und viel herrliches Papier,
Zum Erbarmen ist es schier! -
Wär' mit Rosen und Kamillen
Ihre Schmierwuth nur zu stillen
Nein, sie wagen frech und wild
Sich an Gottes Ebenbild,
Und sie pinseln und sie kratzen
Süsslich, wabblich ihre Fratzen,
Dass die liebe Sonne weint,
Wenn sie solchen Schund bescheint.
Und so reiht sich Bild zu Bilde
Unermesslich! - Gott ist milde,
Denn er warf noch nie mit Feuer
Unter solche Ungeheuer!

Doch, wenn mal ein grosser Geist
Sich empor zum Himmel reisst
Und vom ew'gen Born der Klarheit
Nieder bringt das Licht der Wahrheit,
Muss man sehen diese Ekel,
Diese krummgebeinten Teckel
Wie sie ihn herunter reissen
Und ihn in die Waden beissen,
Denn sie schätzen jeder Frist
Nur, was ihres Gleichen ist!








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enigma
pilli
pilli
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von pilli
als Antwort auf yankee vom 10.09.2007, 17:51:10
danke für deine nachfrage; es geht mir gut und ich wünsche dir eine gleich gute zeit!

...

gestöbert habe ich in den "Klassischen Foren" und habe dort zu Erich Mühsam und anderen erinnernswertes gelesen und meine, das folgende von marina eingestellte gedicht passt zum gedenken an den 11.09.:

Marina antwortete am 30.07.06 (21:18):

Enigma, du machst mich dauernd mit neuer Gastarbeiterliteratur bekannt. Das finde ich gut, die kenne ich kaum.
Jetzt habe ich ein Gedicht gefunden, das eigentlich zum 11. September geschrieben war. Ich finde es sehr wichtig, weil es zeitlos gültig für alle Anschläge oder Kriege, auch für den aktuellen Israel-Libanon-Krieg, ist. Und so lese i c h es zur Zeit.
Da ich von dir, Enigma, gelernt habe, habe ich den Autor um Genehmigung gebeten, er hat sie mir freundlicherweise sofort erteilt. Danke an Reinhard Lehmitz.

Ewige Anklage
und ewige Hoffnung

Menschen beschließen
Dass Menschen sterben müssen
Weil sie anders sind
Der Wahnsinn wird zum Sinn

Auch Andersdenkende müssen sterben

Und wieder beschließen Menschen
Dass Menschen sterben müssen
Weil sie anders sind
Und wieder grinst der Wahnsinn

Wieder sterben auch Andersdenkende

Gibt es Hoffnung?
Die Andersdenkenden hätten ja gesagt!

Reinhard Lehmitz
geschrieben von Reinhard Lehmitz


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pilli
yankee
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf pilli vom 12.09.2007, 10:10:03
Hallo Pilli,
hab mich von längerer ST-Abstinenz erholt und schau öfter mal wieder rein (zum Leidwesen einiger ganz frommer)

Liebe

Es hielten die menschlichen Triebe
Einst einen großen Kongreß.
Sie stritten sich um die Ehre,
Wer wohl der Stärkste wäre,
Denn niemand wußte es.
Die Liebe war nicht zugegen.
Und als dies alle entdeckt,
Da schrien die menschlichen Triebe:
»Herrje, wo bleibt nur die Liebe!
Nein, wo die Liebe nur steckt.«

Ein geiziges Weib trat zum Altar.
Dort stand ein Misanthrop.
Und als sie zusammenkamen,
Sie sprachen Ja und Amen,
Der Pfarrer die Händ' erhob.

Die Liebe hatte die beiden
Von allen Trieben befreit.
Zurück blieb einzig die Liebe,
Drum hatten die anderen Triebe
Auch so viel übrige Zeit.

Sie hockten noch immer beisammen
Und hielten großen Kongreß.
Nun ward die Vernunft erhoben,
Sie sei als die Stärkste zu loben,
Doch niemand glaubte es.

Frank Wedekind

--
yankee

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