Literatur Glossen

welling
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Glossen
geschrieben von welling
Vielleicht habt ihr Lust, hier hin und wieder eine Glosse einzustellen. Sie ist eine journalistische Text- und Stilform, meist im Feuilleton untergebracht, und gilt als schwierig. Im Gegensatz zum eher unpersönlich-sachlichen Kommentar ist sie subjektiv. Sie greift an, alltägliche Ereignisse werden anschaulich. Ironie und Übertreibung sind üblich. Der Leser gewinnt Erkenntnisse, oft erkennt er sich selbst wieder.

Ich beginne mit einer Glosse aus dem Feuilleton der Zeit Nr. 19 vom 30.04.2009:

Das Letzte

DGB-Chef Michael Sommer und Frau Professor Gesine Schwan sprechen von sozialen Unruhen, die bald in Deutschland ausbrechen werden. Was ist bei sozialen Unruhen zu beachten? Bekanntlich kann jeder Bürger an sozialen Unruhen teilnehmen, solange er sich ruhig verhält und den Anweisungen der Ordnungskräfte Folge leistet. Wer sich an sozialen Unruhen beteiligt, sollte dafür rechtzeitig Vorkehrungen treffen. Wichtig ist festes Schuhwerk, um das weiträumig abgesperrte Areal, auf dem die sozialen Unruhen planmäßig ausbrechen, blasenfrei zu erreichen. Sollten Sie nicht genau wissen, wo die sozialen Unruhen stattfinden, wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an Ihre nächstgelegene Polizeidienststelle oder fragen Sie das Bürgertelefon 115 ("Haben Sie einen Augenblick Geduld. Sie werden gleich verbunden"). Teilnehmer an sozialen Unruhen achten bitte auf einen gültigen Fahrausweis und dürfen nach Beendigung der Aufläufe bequem mit dem Taxi nach Hause fahren. Das Taxi bitte vorbestellen. Soziale Unruhen können in Deutschland sehr lange dauern, manchmal bis zu zwei Stunden. Informieren Sie deshalb vorher Ihren Arbeitgeber, Ihre Schwiegermutter sowie Frau und Freundin. Auch Ihr Sozialversicherungsträger ist für einen Hinweis dankbar. Personalausweis, Meldebescheinigung und Impfpass sind stets unaufgefordert mit sich zu führen. Auch ein gepflegtes Äußeres ist angezeigt. Weibliche Teilnehmer wollen bitte bei sozialen Unruhen auf das Tragen von DDR-grauen Rentnerkampfjacken verzichten; sie könnten sonst als Berufsrevolutionärinnen betrachtet werden, die sie nicht sind. Sollte der Herr ein lila Einstecktuch in Kombination mit einer charmanten Krawatte tragen, achte er bitte darauf, dass beide in unterschiedlichen Farben gehalten sind, sonst entsteht leicht der Eindruck, er hätte die Accessoires preiswert als Schnäppchen-Set bei Lidl gekauft. Hier noch ein Tipp: Programmieren Sie vor dem Besuch von sozialen Unruhen Ihren Videorecorder für die Aufzeichnung des abendlichen Champions-League-Spiels. Bevor Sie nun das Haus verlassen, gönnnen Sie bitte den schwar-rot-goldenen Kaiserbuntbarschen zwecks Vermeidung von sozialen Unruhen im Aquarium etwas Futter. Anschließend bringen Sie unfallfrei den Müll runter und verabschieden sich persönlich von Ihrer lieben Nachbarin. Vielen Dank! Nun können Sie mit den sozialen Unruhen beginnen.

Finis

Gruß
welling
longtime
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Re: Glossen
geschrieben von longtime
als Antwort auf welling vom 05.05.2009, 21:59:37
Das Thema "soziale Unruhen" ... hat auch die Karikaturisten aufgestört:

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enigma
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Re: Glossen
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 05.05.2009, 22:41:31
Titanic-Magazin:

Die Opel-Flucht- und Rettungspläne sind da!
Hier,

auch als E-Postkarte zu verschicken.

Gruß

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enigma

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enigma
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Re: Glossen
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 06.05.2009, 07:57:15
Gerne teile ich auch mal Axel Hackes vielfältige Befürchtungen und Resümees über Geschehnisse in unserer Zeit, die er freimütig im SZ-Magazin der Süddeutschen Zeitung preisgibt.

Über einige der zahlreichen Gefahren unseres Lebens warnt er
hier:
)

Gruß und tschüss....

--
enigma
longtime
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Re: Glossen
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 06.05.2009, 08:56:50
Schonungslose, aber für uns Heutige beruhigende Erinnerungen an frühere, schlechte Zeiten, sprich: soziale Revolutionen:

TIPP:
Auf diesem Kupferstich eines unbekannten Meisters (um 1480) sind bäuerliche Familien dargestellt.

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longtime
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Re: Glossen
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.05.2009, 10:12:27
Kunde vom "revolutionären Proletariat" - in dem Drama von Ernst Toller: "Masse Mensch".

Revolutionspotential


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longtime
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Re: Glossen
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.05.2009, 10:16:26
Erkundung und Nachhilfe zu Kurt Tucholskys politischen Auffassungen über Hass, Gewalt und Faustrecht:


Originalzitat aus »Wir Negativen«:

"Es wird uns Mitarbeitern der »Weltbühne« der Vorwurf gemacht, wir sagten zu allem Nein und seien nicht positiv genug. Wir lehnten ab und kritisierten nur und beschmutzten gar das eigene deutsche Nest. Und bekämpften – und das sei das Schlimmste – Haß mit Haß, Gewalt mit Gewalt, Faust mit Faust."

Kurt Tucholsky: »Wir Negativen«, in: Die Weltbühne, 13.3.1939, S. 279.

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Re: Glossen
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.05.2009, 10:24:23
Ergänzung zu der kürzlichen Einnerung an den Dichter und europäischen Denker Novalis:

"Es sind viele antirevolutionäre Bücher für die Revolution geschrieben worden. Burke hat aber ein revolutionäres Buch gegen die Revolution geschrieben."

(Aus: Novalis' "Blütenstaub". Fragmente. 1797-1798)

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longtime
enigma
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Re: Glossen
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 06.05.2009, 10:28:56
Ein aktuelles Angebot: “Schweinegrippe Gratis”, Cartoon des Satire-Magazins “Eulenspiegel” ,
hier:


Gruß

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enigma
welling
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Re: Glossen
geschrieben von welling
als Antwort auf enigma vom 06.05.2009, 11:02:20
Kindle

Kindle spricht man Kindel, das klingt für deutsche Ohren nach Kindchen, sehr nett, sehr niedlich, auch wenn sich hinter dem englischen Begriff ein kalter Computer verbirgt. Kindle ist ein Lesegerät für Bücher und neuerdings sogar für Zeitungen. Kindle ist aber noch mehr, Kindle ist eine Anmaßung. Denn übersetzt heißt das Wort anzünden, anfachen. Das Gerät behauptet also, es sei so etwas wie der Grillanzünder der Bücherwelt. Ohne Kindle sind literatische Texte nichts als kalte Kohlen. Erst wenn sie auf seinem Bildschirm aufscheinen, erwachen sie zum Leben, beginnen sie zu leuchten und können ihre ästhetische Hitze entwickeln. Allein Kindle sei Dank können wir uns an Büchern entzünden! Erst die Technik gebiert den Geist!Es zündelt also mächtig im Wörtchen Kindle. Alle alten Ideen vom Buch aus Papier lässt es in Flammen aufgehen. Und lang wird's nicht mehr dauern, dann nennen wir das Weihnachtsbuchgeschäft nur noch Christkindlemarkt.
(Hanno Rautenberg, Die Zeit Nr. 20 vom 07.Mai 2009)
Gruß
Welling
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