Literatur Glossen

welling
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Der rechte Weg
geschrieben von welling
als Antwort auf longtime vom 15.05.2009, 13:43:57
Den folgenden Text habe ich auch als Blog unter "Vorsicht Satire" eingestellt. Er mag auch als Glosse durchgehen. Und wenn ich bedenke, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit nicht mal wusste, was ein Blog ist, scheint sich da schon eine Entwicklung anzudeuten, vielleicht bin ich auf einem guten, dem rechten Weg. -:))

Der rechte Weg

"Dem Höhepunkt des Lebens war ich nahe, da mich ein dunkler Wald umfing und ich, verirrt, den rechten Weg nicht wieder fand"
(Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie", Erster Gesang)

Neulich, bei einer persönlichen, eher ländlichen Begebenheit: "Gehen Sie diesen Weg ein gutes Stück geradeaus, dann gabelt er sich, nehmen Sie den rechten, von dort aus sind es noch 5 Minuten."

Dante im Kopf, Ratgeber im Rücken, Ziel vor Augen - 5 Minuten - 10 Minuten - 15.... , Ziel offenbar woanders. Dabei hatte ich den rechten gewählt. Rechts und links, soweit es Raum und Örtlichkeiten betrifft - kein Problem. Politisch? Problematisch!
Konturen verschwimmen zusehends. Spricht da ein rechter Linker oder ein linker Rechter? Kann ich ihm trauen? Entlarvt bei der Verdoppelung dieser Richtungswörter, also ein rechter Rechter oder ein linker Linker, mich die Frage nach Vertrauen schon als Naivling? Wo ist die Mitte? Ist sie noch golden? Ich grüble: Hat je ein Linker gesagt: Wir sind auf dem rechten Weg? Müsste man Dante posthum raten, das Wörtchen "rechten" durch "richtigen" zu ersetzen? Er hat seinen Irrling in den "dunklen Wald" gelenkt. Da sind selbst Hänsel und Gretel noch einigermaßen klargekommen. Aber wohin haben die, denen die Lenkenden dieser Welt irre getraut haben, uns fehlgelenkt? Tun Schwarze, Rote, Gelbe, Grüne, Mittige, Vorstände, Aufsichträte, Produzenten, Konsumenten, Sparer, Verschwender und alle übrigen Täter das Richtige, um Irrungen und Wirrungen zu bewältigen?

Der rechte Weg - wie immer er aussieht: Er ist mit Fragen gepflastert.

Gepflastert? Da fällt mir ein: Kommen dann die, die ihre unschuldigen Schäfchen wieder ins Trockene bringen werden, vielleicht noch schneller voran? Und da der Weg dann der rechte ist, können sie auf ihm ja nichts Unrechtes tun. Oder wie?

Welling
longtime
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Re: Der rechte Weg
geschrieben von longtime
als Antwort auf welling vom 02.06.2009, 20:08:01
Ja, wem das Rechte einfällt, der die richtigen Worte findet, der befindet sich schon auf dem richtigen Weg der Glosse!

Danke, Welling!

**

Was Sprachlich-Historisches:

RICHTIG (Adj.), Ableitung von recht, zu dem es sowohl in der Bedeutungsentwickelung als auch in den meisten Gebrauchsweisen auf das genaueste stimmt (ahd. rihtig, mhd. rihtec).
*

S. das superkluge Grimmsche Wörterbuch, dem die rechten Wortbeispiele der gesamten schriftlichen deutschen Sprache zur Verfügung stehen:





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longtime
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Glosse: Von Herr und Hund
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 02.06.2009, 23:01:30
Hundeschaft (Nom., fem.):


Naiv hundegläubig:
Friederike Kempner:
Nero


In den Augen meines Hundes
liegt mein ganzes Glück,
all mein Inneres, Krankes, Wundes
heilt in seinem Blick.


Psychologisch ernsthaft:
Franz Kafka:

(…)
„Es ist ja, wenn ichs bedenke - und dies zu tun habe ich Zeit und Lust und Fähigkeit -, mit der Hundeschaft überhaupt wunderbar bestellt.“
(Aus: Franz Kafkas Parabel „Forschungen eines Hundes“. 1922)


Hier mag ich, bevor ich weiter mich als imaginierter, sprechender, denkender, im prosaischen Ich vorerzähler, zu verstehen suchender Menschen-Hund-Nachleser, d.h. als kafkaesker Mensch-Hund erprobe, mich – als Mensch in Begleitung oder Gesellschaft eines Hundes – ein halbes Jahrhundert prae Kafka zurücklesen:

In den Realien zu Hause:
Iwan S. Turgenjew (1818 bis 1883):
Mein Hund und ich:


(...) Wir sind unser zwei im Zimmer: mein Hund und ich. (…) Draußen heult ein fürchterlicher Sturm.
Der Hund sitzt mir gegenüber und blickt mir in die Augen. Auch ich blicke ihm in die Augen.
Es ist, als wolle er mir etwas sagen, etwas nicht Wiederholbares.
Er ist stumm, er verfügt nicht über Worte, er vermag sich selbst nicht zu verstehen.
Ich aber, ich verstehe ihn wohl.

Ich verstehe, dass in diesem Augenblick in ihm und in mir ein und dasselbe Gefühl lebt, daß es zwischen uns keinerlei Unterschied geben könnte.

Wir sind beide gleich; in uns beiden brennt und leuchtet dasselbe zuckende Flämmchen: Einmal kommt es herbeigeflogen, als der Tod, schwingt seine eisigen, gewaltigen Fittiche. Und es ist ein Ende als Unbeginn!

Wer vermöchte dann wohl zu entscheiden können, welches Flämmchen in ihm und welches in mir geglüht hat?
Nein, nicht Mensch und Tier tauschen diese Blicke. … Es sind zwei gleiche Augenpaare, die aufeinander gerichtet sind.
Und in jedem dieser Augenpaare, in dem des Tieres und in dem des Menschen – schmiegt sich ein und derselbe Lebenstrieb, bebend sich an den anderen drängend.

(Behutsam sprachlich korrigiert, nach der Übersetzung von F.M. Balte. In: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Hrsg. v. Otto Buck und Kurt Wildhagen. Bd. 5. Leipzig 1910-1914. S. 340)

Das Naiv-Tröstliche, das Infantil-Religiöse - das Hundliche des Herrleins; s. das Gedichtlein der wunderlich reimenden Dame Kempner!

Reime, gläubig, tröstlich

Realistisch: das Reale, das Reelle:
Turgenjew konnte noch als sensibel-kritischer Realist leben; Sein Werk ist gehandelt und wurde klassisch-realistich geschrieben; auch das Religiöse und Tierische, von dem er erzählte:
In dieseer Tiergeschichte die genaue Beschreibbarkeit der Unterschiede zwischen dem durch die Flammen des Jenseitigen geängsteten, aber mit ihnen vertrauten Menschen und dem geselligen Tier, das sich am Blick des „Herrchens“ orientiert.

Tiefenpsychologisch interessiert: Kafka geht den Schritt weiter: Er tritt ein in die Psyche des ihm animalisch ver- und zertrauten Menschen und erkennt und analysiert mitteilend die Hundeschaft, das Hündische.
Was die Leser seiner Zeit und seines, Kafkas, Vorlesens wohl als Gelegenheit zur Unterhaltung, insbesondere zum Lachen akzeptierten, aber nicht als Anlass zur Erkenntnis und Kritik des bürgerlich gepflegten Salonmenschen und seines präjudizierenden Anstands begreifen wollten - es ist das Psycho-Tierische im Menschen.

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Re: Glosse: Von Herr und Hund
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 03.06.2009, 11:18:42
Eine Glosse, die noch eine ziemlich neue, aber schön geschwätzige Redensart verarbeitet: "... so'n Hals haben oder kriegen":


Diese Kolumne als „Wörterbericht“ fand ich in "DIE ZEIT", 04.06.2009 Nr. 24:

Peter Kümmel: So 'n Hals

Wenn früher ein Mensch in Zorn geriet, beschrieben die Zeugen den Vorgang mit Ehrfurcht: Penthesilea rast! Moor schäumt! Hamlet ist toll geworden! Stets war Respekt zu spüren vor dem Rausch, in den der Rasende sich hineinsteigerte. Die Zuschauer sahen einen heiligen Vorgang, die Verwandlung eines Menschen in einen Vulkan. Der Wüterich schien unerreichbar, Gott oder dem Teufel nahe, er ging durch die Flammen der Gerechtigkeit. Außer sich und außerhalb der Gesellschaft, war er, für einen Moment, frei. Heutzutage ist der Zorn nicht mehr Vorschein der Freiheit, er ist ein Symptom, eine Entstellung. Wenn ein Mensch in Wut gerät, schluckt er, frisst’s in sich hinein, lässt sich nichts anmerken, was aber doch alle merken, denn kaum hat er den Raum verlassen, sagen seine Kollegen: Der Kurt hat wieder so ’n Hals. War es nicht mal das Herz, in dem wir den Sitz der Seele vermuteten? Jetzt sind andere Zeiten, Halszeiten.

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