Forum Kunst und Literatur Literatur Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus

Literatur Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus

qilin
qilin
Mitglied

Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von qilin
- Glaube und Vernunft in einer säkularen Gesellschaft

Zuerst mal zur Klärung - dies ist kein Buch über den Fundamentalismus, sondern eine Streitschrift gegen den 'institutionellen Fundamentalismus' der katholischen Kirchenleitung - der Untertitel ist also etwas irreführend - wie er sich besonders unter der Ägide von Benedikt XVI. Darstellt. Da es mehrfach auf dessen Rücktritt Bezug nimmt, ist es offenbar unter Zeitdruck geschrieben worden - und das fällt auch auf. Leicht verwirrende Satzkonstruktionen, manchmal auch etwas fragwürdige Worthülsen machen das Lesen nicht immer einfach, gängige Termini wie 'Positivismus' oder 'Objektivität' bekommen eine spezielle Bedeutung, die man im Kopf behalten muss, wenn man dem Faden folgen will. Dieser Faden ist jedoch durchaus interessant - der fundierte Fachmann und sein immenses Engagement in der Sache sind unübersehbar, und ihre Wichtigkeit ebenfalls - allerdings auch, dass er, wie er selbst schreibt, einen innerkirchlichen Standpunkt vertritt, und damit Zugänge von außen zwar nicht unbeachtet lässt, aber doch nicht ganz ungefärbt darstellt - ein gewisser 'Stallgeruch' ist nicht zu verkennen. Unter dieser Rücksicht ist das Buch sicherlich wichtig - nicht nur für Katholiken.
"Man kann den Fundamentalismus - christlicher oder muslimischer, nationalistischer oder rationalistischer Prägung immer auch als eine Geschichte der Verdrängung, der Angst vor dem Andern, der Denkfaulheit oder schlicht als Instrument des eigenen Machterhalts begreifen. Dass er so gesehen immer auch zur Versuchung aller anderen wird, die sich dem F. weit überlegen fühlen, bedarf keiner eigenen Begründung. Deshalb entzieht dem F. nur wirksam den Boden, wer sich den Beziehungen, dem Andern öffnete, bevor fundamentalistisches Denken überhaupt zum ersten Mal an die eigene Tür klopft."
Das kann ich teilweise ja nachvollziehen - es schließt allerdings IMHO eine 'Bekehrung des Fundamentalisten' aus - ob das wirklich so gemeint ist?
Interessant auch die Herleitung einer immanenten Gewaltbereitschaft des F. aus der Kehrseite eines Satzes der Bergpredigt, als 'innerer Fundamentalismus', und auch der Gegensatz zwischen dem 'F. von oben' der Catholica und dem 'F. von unten' der meisten anderen weltanschaulichen Richtungen hat durchaus was für sich.
"Wenn ich mich den komplizierten Herausforderungen meiner Lebenswelt entziehe, führt mich die neue Weltdeutung schnell zu Simplifizierung und Weltverklärung... Die Glaubensgewissheit wird zur risikofreien Sicherheit und zu einem Dualismus, der sich immer auf der guten Seite weiß" scheint mir eine treffende Zusammenfassung aller Fundamentalismen.
"Um diesen für die Kirche lebensbedrohlichen Zustand zu durchbrechen, bleibt den reformorientierten Kräften nur übrig, der Kirchenleitung den Gehorsam zu verweigern. Denn eine Kirchenleitung, die prinzipiell den Geist der Freiheit und ihre Solidarität mit der Gegenwart verweigert, verfehlt die Aufgabe, derentwegen sie ihr Amt ausführt." - eine schöne Vorlage für die österreichische Pfarrerinitiative, aber: inwieweit ist dieser Zustand auch außerhalb der Kirche(n) wirklich 'lebensbedrohlich'? "Denn letztlich geht es nicht um die Frage, wer Recht bekommt, sondern ob das Wort von der Versöhnung und Gewaltfreiheit zu einer überzeugenden Weltbotschaft wird." - auch falls die Kirche(n) sich in den nächsten Jahrzehnten dazu aufraffen sollte(n) - wie sieht es denn dann mit ihrer Glaubwürdigkeit aus? Evtl. ist bis dahin die überzeugende Weltbotschaft bereits ganz ohne sie angekommen - oder es gibt evtl. gar keinen Adressaten mehr... Gegen Ende des Buches konzentriert sich die Argumentation noch mehr auf den innerkirchlichen Zustand und seine mögliche Lösung, um dann aber doch mit dem Schriftwort zu schließen "'Fürchtet euch nicht.' Wenn es gelänge, den Menschen und den Völkern die Angst voreinander zu nehmen, hätte der Fundamentalismus, religiös oder politisch motiviert, wohl seinen Nährboden verloren. Es liegt an den mächtigen Nationen der Welt, mit dieser politischen und mentalen Entgiftung zu beginnen. Erst dann lösen sich die tödlichen Zirkel auf."

Was ich persönlich am meisten erhellend gefunden habe war der Absatz
"Die Moderne legt zwischen die Wirklichkeit selbst und deren Interpretation (religiös oder nicht) eine Schicht der Reflexion. Sie fragt also immer: Stimmt das wirklich? Ist das Gesagte Wirklichkeitsempirie oder Wirklichkeitsinterpretation, unmittelbare Erfahrung oder Projektion, tiefere Wahrheit oder sublimere Täuschung? Ich werde vor eine Wahl gestellt, die vormoderne Epochen noch nicht kennen. Darauf kann ich kreativ oder durch Verweigerung reagieren. Die religiöse Herausforderung dieser Rückfrage besteht jetzt nicht mehr darin, dass ein Glaubenssatz durch einen anderen ersetzt wird, sondern dass Glaubenssätze überhaupt noch gelten."
- als Gegenbewegung zu meiner Auffassung von religio als 'Hinterfragen der Wirklichkeit der Wirklichkeit', für die der Autor sehr treffend Max Feigenwinter zitiert:
"Ich glaube, dass tief in uns eine Sehnsucht ist, die uns sagt, dass es mehr gibt, als wir zählen und messen können. Das Suchen nach dieser Kraft ist für mich ein religiöser Akt. Ich wünsche mir, dass suchende Menschen aufeinander zugehen, miteinander ins Gespräch kommen, voneinander lernen; habe aber alle Mühe mit Institutionen, die Antworten geben auf Fragen, die man gar nicht gestellt hat, vorschreiben, was man glauben muss, als ob man dies könnte."
circe
circe
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von circe
als Antwort auf qilin vom 26.04.2013, 16:52:40
kannst du dich nicht etwas kürzer fassen???
qilin
qilin
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von qilin
als Antwort auf circe vom 26.04.2013, 16:55:28
Du kannst die Rezension auch kürzer haben, wenn Du alle Zitate weglässt - auch meine persönliche Anmerkung am Schluss ist nicht lebensnotwendig...

(Erinnert mich etwas an die Situation, wo ich vor vielen Jahren einem Theologen ein bestimmtes Buch empfahl und die Antwort bekam: "Können Sie mir den Inhalt nicht kurz zusammenfassen?" Als ich ihm sagte, dazu brauche er ja nur den Klappentext zu lesen, meinte er: "Ja, können Sie mir vielleicht den kurz zusammenfassen?")

P.S. Bei Amazon steht bereits eine (kürzere) Rezension des von mir sehr geschätzten Roland Ropers - seine Meinung dazu ist allerdings etwas verschieden von der meinen.

Anzeige

circe
circe
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von circe
als Antwort auf qilin vom 26.04.2013, 16:52:40
ich habe mich bemüht, ob ich es verstanden habe sei dahin gestellt. Die Kirche lasse ich mal weg und denke es geht um das Aufeinanderzugehen, das bemühen Umeinander ! So, und da könnte ich dir viele Beispiele aufschreiben, bei denen letzten Endes herauskommt --- Familie ist und bleibt in dieser Zeit alles! Jedenfall in unserer Generation, eine Generation die vor fast 23 Jahren zusammengefunden hat, aber die ihre unterschiedlichen Vergangenheiten und Entwicklungen nicht wirklich verarbeiten kann! Ich höre mal auf wegen der Länge!
qilin
qilin
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von qilin
als Antwort auf circe vom 26.04.2013, 17:22:37
Beste Circe,
es geht hier um die Rezension eines Buches, das - wie ich geschrieben habe - ziemlich ausschließlich von der Kirche handelt. Wer welche Beispiele wofür aufzählen kann, ist hier eher offtopic, und von Familie ist nirgends die Rede... Wenn Dir die Rezension schon zu lang und kompliziert ist, wird auch das (relativ anspruchsvoll geschriebene) Buch wahrscheinlich für Dich eher uninteressant sein...
loretta
loretta
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von loretta
als Antwort auf qilin vom 26.04.2013, 16:52:40
Irgendwie sehe ich heute hier alles doppelt.

qilin, warum hast du das hier nicht in deinen Fred von gestern gepackt?

Fundamentalismus

loretta

Anzeige

miriam
miriam
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von miriam
als Antwort auf circe vom 26.04.2013, 17:22:37
Die Kirche lasse ich mal weg...


Richtig - eine gute Lösung, gerade zu dieser Tageszeit: nimm lieber nur den Hering!

Miriam
myrja
myrja
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von myrja
als Antwort auf qilin vom 26.04.2013, 17:50:14
Hoppla, was ist das denn für eine unfreundliche Antwort?!

Da versucht jemand auf Deinen ellenlangen Beitrag einzugehen, aber Pustekuchen, Du meinst sofort "Thema verfehlt. Setzen. Sechs!"

Und außerdem, wie Loretta auch schrieb, das Thema gibt es doch schon!

Myrja
Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Hermann Häring
Versuchung Fundamentalismus
In seinem Vorwort schreibt Hermann Häring, es ist meine Kirche, für deren Erneuerung ich auch hier eintrete. Meine These lautet, das Rom unter Benedikt XVL der Versuchung des Fundamentalismus erlegen war, die dort schon auf eine Tradition von einhundertfünfzig Jahren zurückblicken kann.

Auch ich habe auch als Testleser dieses Buch vom Gütersloher Verlagshaus gewonnen. Hatte mich aber leider vorher nicht bei Google schlau gemacht, wer das Buch geschrieben hat.
Wie schreibt qilin so treffend, es ist ein anspruchvolles Buch.

Ich habe mit Interesse das Buch gelesen, da ich aber Laie bin und über keine Fachtheologischen und weit reichenden Geschichtskenntnisse verfüge, war es für mich schwierig dieses Buch zu lesen. Hermann Häring hat mir viele Fragen beantwortet, aber zugleich für mich noch mehr Fragen aufgeworfen.

Es ist ein Buch das meiner Meinung mehr für Fachleute oder aber für theologisch gebildete Leser geschrieben wurde.
Lara
qilin
qilin
Mitglied

Re: Häring, Hermann: Versuchung Fundamentalismus
geschrieben von qilin
als Antwort auf loretta vom 26.04.2013, 17:55:12
Hallo Loretta, es ging ja um die hier von Karl bzw. Bianca gewünschte Rezension, und hier gehört sie dann auch 'rein, denke ich, wenn sie von Bianca gefunden werden soll. Diese Rezensionen sind scheint's für den Verlag gedacht, deswegen bin ich auch auf die Thematik näher eingegangen und habe mich nicht auf eine Kurzmeldung beschränkt, wie mir das Buch gefallen hat.

() qilin

Anzeige