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Literatur Heute etwas Poesie

Milan
Milan
Mitglied

Heute etwas Poesie
geschrieben von Milan
Primel

Lerche zu des Frühlings Ruhme
Hat ihr Erstlingslied gesungen,
Blumenerstling Schlüsselblume
Hat sich goldnem Kelch entrungen.

Blümchen, bist zu früh gekommen!
Mitternacht haucht noch so kalt.
Hast den Schnee nicht wahrgenommen?
Feucht ist noch der Eichenwald.

Schließ die goldnen Äuglein wieder,
Birg dich in der Mutter Schoß,
Eh der Reif dir mitleidslos
Starren macht die zarten Glieder.

Unsre Tage Falterstage,
Morgen Leben, Mittag sterben.
Ganzem Herbst ich gern entsage,
Einen Lenztag zu erwerben.

Willst den Freunden Kränze bringen,
Oder der Geliebten dein?
Wirst aus meiner Blüt; ihn schlingen,
Soll´s der Kranz der Kränze sein.

Unterm Gras, in wildem Hain
Keimtest du, geliebte Blume,
Klein an Wuchs, an Glanze klein,
Darfst du späh´n nach solchem Ruhme?

Wo sind deiner Schönheit Pfänder,
Wo der Tulpe stolzer Bund?
Wo der Lilie Lichtgewänder,
Wo der Rose Brust so rund?

Will zum Kranze dich verflechten,
Doch woher so viel Vertaun?
Freunde und Geliebte, möchten
Sie auch huldvoll auf dich schaun?

Glaub´s, der Freund heißt mich willkommen,
Mich, des jungen Frühlings Engel,
Glanz nicht mag der Freundschaft frommen,
Schatten liebt sie wie mein Stengel.

Ob ich wert der Liebsten Hände,
Sag´s Marie, du himmlisch hehre!
Für der Erstlingsknospe Spende
Wird mir, ach! nur eine Zähre.

Adam Mickiewicz
longtime
longtime
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von longtime
als Antwort auf Milan vom 18.01.2011, 19:32:03
Danke für diese schöne "Primel". - Gibt es irgendwo eine Möglichkeit, den Übersetzer festzustellen.
*
Wie viele Primel-Gedicht mag es wohl geben?
Hier ist ein Beispiel von Goethe:


Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832):
Frühling übers Jahr


Das Beet, schon lockert
Sich's in die Höh,
Da wanken Glöckchen
So weiß wie Schnee;
Safran entfaltet
Gewalt'ge Glut,
Smaragden keimt es
Und keimt wie Blut.

Primeln stolzieren
So naseweis,
Schalkhafte Veilchen,
Versteckt mit Fleiß;
Was auch noch alles
Da regt und webt,
Genug, der Frühling,
Er wirkt und lebt.

Doch was im Garten
Am reichsten blüht,
Das ist des Liebchens
Lieblich Gemüt.
Da glühen Blicke
Mir immerfort,
Erregend Liedchen,
Erheiternd Wort,

Ein immer offen,
Ein Blütenherz,
Im Ernste freundlich
Und rein im Scherz.
Wenn Ros und Lilie
Der Sommer bringt,
Er doch vergebens
Mit Liebchen ringt.
*
Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 1, Berlin 1960 ff, S. 509-510.

pilli
pilli
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von pilli
als Antwort auf longtime vom 18.01.2011, 19:59:24
Christian Morgenstern:


"Die Primeln blühn und grüßen
so lieblich mir zu Füßen,
die Amsel singt so laut.
Die Sonne scheint so helle -
nur ich weiß eine Stelle,
dahin kein Himmel blaut."

- Feins Kind, musst nicht so sagen!
Es bringt der Himmelswagen
auch deiner Brust den Tag.
Es wird auch deine Seele
der lieben Vogelkehle
gleichtun mit lautem Schlag.

"Die Primeln blühn und grüßen
so lieblich mir zu Füßen,
die Amsel singt so laut.
Die Sonne scheint so helle -.
Mein freundlicher Geselle,
mir ward viel Leid vertraut."


entnommen der seite: DCMA


--
pilli

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enigma
enigma
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von enigma
als Antwort auf pilli vom 18.01.2011, 20:24:05
Zwei lila Primeln

Zwei lila Primeln stehn auf der Fensterbank
Und blühen, als haben zwei Menschen verliebt denselben Gedank'.
Vor den Wolken draußen, die hochgeschwungen,
Stehen die Blumenbündel dunkel gedrungen,
Als wachsen zwei Schatten wild aus zwei Töpfen,
Als platzt hier die Sehnsucht aus Blumen wie aus zwei Köpfen.
Es stehen finster trutzig im Fensterrahmen
Die Zwei, die zu einem Gedanken kamen.

Max Dauthendey
Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Milan vom 18.01.2011, 19:32:03


Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte,
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land,
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!

Liebe Milan, mir fiel sofort dieses sicher bekannte Gedicht von Eduard Mörike ein.
enigma
enigma
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von enigma
Primel

Nimmer will ich höher streben,
denn ich lieb mein schlichtes Kleid.
Glaub, das höchste Glück im Leben
liegt in der Zufriedenheit.

Rainer Maria Rilke
(Aus: Die Sprache der Blumen):

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gabilie
gabilie
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von gabilie
als Antwort auf enigma vom 19.01.2011, 08:36:27
Burns, Robert (1759-1796)

Schneeglöckchen und Primeln,
Sie schmückten die Au.
Es baden die Veilchen
sich morgens im Tau.
"



miriam
miriam
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von miriam
Robert Gernhardt - aus "Herz in Not" (2004)

Am Morgen der Operation
Bei so schönem Wetter
sollte man eigentlich
im Freien operieren,
auf blühender Wiese,
die Stirnen umkränzt
von Blüten: "Schwester -
binden Sie doch mal bitte die Primel hier ab!"

pilli
pilli
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von pilli
Rudolf Presber (1868 - 1935)
Aus Traum und Tanz . 1. Auflage 1908

Mathematisches

Von allem, was ich überstanden,
War Mathematik die größte Qual.
Die Gleichung mit zwei Unbekannten
War stets vor andern mir fatal.
Mit düstrem Nebelflor umhüllt mich
Auch die Analysis Euklids,
Mit höchster Wurschtigkeit erfüllt mich
Der Inhalt eines Rhomboids.
Und lockten draus die sommerhellen
Verliebten Tage zum Genuß,
Wie flucht' ich dann auf die Tabellen
Auf Tangens und auf Cosinus!

Und lehrt das Leben Ernstes, Weises,
Und stimmte milder mich die Zeit,
Die Radiuslänge eines Kreises
Erschien mir ohne Wichtigkeit.
Wer vollends finster sich zu quälen,
Wenn draus im Busch der Sprosser singt,
Die bunten Blumen erst zu zählen
Begehrt, die ihm der Frühling bringt,
Wer jedes Primelchen im Grase,
Eh's registriert, zu brechen scheut,
Dem lach' ich lustig an die Nase
Und pflücke sorglos, was mich freut.

Ich denk', sah ich beim Textgekrittel
Der Bibel die Gelehrten all,
Ein Zusatz fehlt noch dem Kapitel
Von unsrer Ahnen Sündenfall:
Als die verbotne Apfelnahrung
Zerstört den Paradiesestraum,
Hing die verfluchte Offenbarung
Der Zahl an dem Erkenntnisbaum.
Den ersten Menschen, die sich sonnten,
Erblühte herrlich Edens Strauß;
Doch als die Kerle rechnen konnten,
Trieb sie des Himmels Ärger aus.

Sie aber zeterten und flennten,
Als sie zur Flucht der Engel mahnt,
Als hätten sie der Dekadenten
Verwerflich Zahlenspiel geahnt;
Als hätten schaudernd sie's erfahren
Von peinlicher Vision gequält:
Daß einst in tausend, tausend Jahren
Ein Enkel gar die Küsse zählt,
Daß fern im Westen ein Verruchter
Durch des Euklides Kunst gewitzt
Einst über Listen frech gebuchter
Verliebter Stunden brütend sitzt.

O Edenskinder, die ihr küßtet,
Im Garten, drin die Schlange schlief,
Wenn ihr in euren Gräbern wüßtet,
Wie wir gesunken sind so tief!
Wie uns die Weisheit schließt hermetisch
Von Freuden ab, die euch geblüht,
Und unser Scharfsinn arithmetisch
Verscheucht die Träume im Gemüt.
Ihr wolltet nimmer euch entringen
Der Erde mitleidsvollem Schoß,
Wenn eure Hügel überklingen
Einst die Posaunen Jerichos.


gedichte eu


--
pilli

Medea
Medea
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von Medea
als Antwort auf enigma vom 19.01.2011, 08:36:27

Primel

Lerche zu des Frühlings Ruhme
Hat ihr Erstlingslied gesungen,
Blumenerstling Schlüsselblume
Hat sich goldnem Kelch entrungen.

Blümchen, bist zu früh gekommen!
Mitternacht haucht noch so kalt.
Hast den Schnee nicht wahrgenommen?
Feucht ist noch der Eichenwald.

Schließ die goldnen Äuglein wieder,
Birg dich in der Mutter Schoß,
Eh der Reif dir mitleidslos
Starren macht die zarten Glieder.

Unsre Tage Falterstage,
Morgen Leben, Mittag sterben.
Ganzem Herbst ich gern entsage,
Einen Lenztag zu erwerben.

Willst den Freunden Kränze bringen,
Oder der Geliebten dein?
Wirst aus meiner Blüt; ihn schlingen,
Soll´s der Kranz der Kränze sein.

Unterm Gras, in wildem Hain
Keimtest du, geliebte Blume,
Klein an Wuchs, an Glanze klein,
Darfst du späh´n nach solchem Ruhme?

Wo sind deiner Schönheit Pfänder,
Wo der Tulpe stolzer Bund?
Wo der Lilie Lichtgewänder,
Wo der Rose Brust so rund?

Will zum Kranze dich verflechten,
Doch woher so viel Vertaun?
Freunde und Geliebte, möchten
Sie auch huldvoll auf dich schaun?

Glaub´s, der Freund heißt mich willkommen,
Mich, des jungen Frühlings Engel,
Glanz nicht mag der Freundschaft frommen,
Schatten liebt sie wie mein Stengel.

Ob ich wert der Liebsten Hände,
Sag´s Marie, du himmlisch hehre!
Für der Erstlingsknospe Spende
Wird mir, ach! nur eine Zähre.

(Adam Mickiewic)


M.


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