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Literatur Heute etwas Poesie

eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von eleonore
als Antwort auf Medea vom 19.01.2011, 12:22:49
Warten

Letzter Atemzug
Des Winters
Es schneit verzweifelt

Die Vögel strafen
Es Lügen
Trällern und zwitschern

Zweige zeigen
Ein zarten
grünen Flaum
Knospen wachen auf

Krokusse stecken
Neugierig blinzelnd
Erste Blätter
Aus der gefrorene Erde

Alles wartet.

© J.B. alias eleonore, die so frei war, es reinzustellen
Medea
Medea
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Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von Medea
als Antwort auf eleonore vom 19.01.2011, 12:27:13
Todeslied der Bojaren

Leg in den Sarg mir mein grünes Gewand,
Trubor! Trubor!
Sporen zu Füßen, den Jagdspieß zur Hand,
Trubor! Trubor!
Fütt´re die Rüden, ich hab sie geliebt,
Streichle mein Rößlein, es steht so trüb!
Mach mir die Grube acht Fuß in dem Grund,
Trubor! Trubor!
Streich aus einander das Erdreich rund,
Trubor! Trubor!
Primel entblüchen dem Rasen im Mai,
Achtlos jaget der Tartar vorbei!

(Carl Immermann)


M.

longtime
longtime
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von longtime
als Antwort auf Medea vom 19.01.2011, 13:00:55
Eine kleine Kostbarkeit von der Busta!

Christine Busta:
Ritornell vor dem Einschlafen

Was hat mich heut so froh gemacht?
Die Schale mit Primeln,
sie steht am Fenster:
eine Lampe voll Frühling
vorm Antlitz der Nacht.

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von eleonore
als Antwort auf longtime vom 19.01.2011, 16:42:48
A little Madness in the Spring
Is wholesome even for the King,
But God be with the Clown --
Who ponders this tremendous scene --
This whole Experiment of Green --
As if it were his own!

Emily Dickinson
cecile
cecile
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von cecile
als Antwort auf eleonore vom 19.01.2011, 17:12:26

Eleonore, dann will ich es auch mal wagen, hier ein englisches "Primel-Gedicht" einzusetzen
Ich weiß nicht, ob es eine deutsche Uebersetzung gibt - ich habe jedenfalls keine gefunden.




John Clare (1793-1864)

Evening Primrose

When once the sun sinks in the west,
And dewdrops pearl the evening's breast;
Almost as pale as moonbeams are,
Or its companiable star,
The evening primrose opes anew
Its delicate blossom to the dew;
And, hermit-like, shunning the light,
Wastes its fair bloom upon the night,
Who, blindfold to its fond caresses,
Knows not the beauty it possesses;
Thus it blooms on while night is by;
When day looks out with open eye,
Bashed at the gaze it cannot shun,
It faints and withers and is gone.







enigma
enigma
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Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von enigma
als Antwort auf cecile vom 19.01.2011, 17:34:40
Nikolaus Lenau hat die „Primula veris“ besungen.
Bei Gutenberg sind gleich zwei Gedichte auf die Frühlings-Schlüsselblume zu finden mit der zusätzlichen Angabe (1822-25).
Ich nehme an, dass diese Angabe den Zeitraum bezeichnet, in dem sie entstanden sind.

Primula veris

1

Liebliche Blume,
Bist du so früh schon
Wiedergekommen?
Sei mir gegrüßet,
Primula veris!

Leiser denn alle
Blumen der Wiese
Hast du geschlummert,
Liebliche Blume,
Primula veris!

Dir nur vernehmbar
Lockte das erste
Sanfte Geflüster
Weckenden Frühlings,
Primula veris!

Mir auch im Herzen
Blühte vor Zeiten,
Schöner denn alle
Blumen der Liebe,
Primula veris!


2

Liebliche Blume,
Primula veris!
Holde, dich nenn ich
Blume des Glaubens.

Gläubig dem ersten
Winke des Himmels
Eilst du entgegen,
Öffnest die Brust ihm.

Frühling ist kommen.
Mögen ihn Fröste,
Trübende Nebel
Wieder verhüllen;

Blume, du glaubst es,
Daß der ersehnte
Göttliche Frühling
Endlich gekommen,

Öffnest die Brust ihm;
Aber es dringen
Lauernde Fröste
Tödlich ins Herz dir.

Mag es verwelken!
Ging doch der Blume
Gläubige Seele
Nimmer verloren.

Nikolaus Lenau

Ich finde beide sehr schön.

Enigma

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cecile
cecile
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Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von cecile
als Antwort auf enigma vom 19.01.2011, 17:50:56
Ich mag die beiden Gedichte auch, Enigma - obwohl mir der erste Teil besser gefällt.


Kennst du das Gedicht Das Koppenblümchen "Habmichlieb" von Hoffmann von Fallersleben?

Irgendwo habe ich gelesen, dass es sich beim Koppenblümchen um die Zwergprimel handelt ...


Hier der Link zum Koppenblümchen



nasti
nasti
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von nasti
als Antwort auf cecile vom 19.01.2011, 18:08:29
Die abende sind schrecklich kalt,
Die ruhelose Vinde blasen,
Von unsichtbaren Schriften hallt
Ein beben heftig druch die Straßen.

Der kalte Strich des Abendrots
Gemahnt an nahes Leid und Bangen
Das unfehlbare Zeichen droht:
Wir gehn im Kreis, wir sind gefangen.

Alexander Blok

der schöne Mann


enigma
enigma
Mitglied

Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von enigma
als Antwort auf cecile vom 19.01.2011, 18:08:29
Hallo Cécile,

mir gefällt fast das zweite Lenau-Gedicht besser, vielleicht weil die Primel sich so vertrauensvoll trotz des Frostes geöffnet hat.

Ja, mit Deiner Vermutung hast Du Recht: Das Koppenblümchen ist die Zwergprimel, guck mal hier.

Sie sieht auch hübsch aus, blüht aber später, erst im Juni/Juli.

Jetzt hatte ich noch ein Gedicht von Rückert gefunden, das auch die "Primula Veris" preist.

Hier ist es:

Primula veris
Goldne Himmelsschlüsselchen
Erschließt den Blumenhimmel jetzt!
Mit thaugefüllten Schüsselchen
Werde der Frühlingstisch besetzt!

Mit thaugefüllten Schüsselchen
Ist besetzet der Frühlingstisch;
Bienen tauchen die Rüsselchen
In das saftige Duftgemisch.

Wie die Bien' ihr Rüsselchen,
Tauch' ich mein Herz in Liebesduft;
Goldne Himmelsschlüsselchen,
Schließet mir auf der Liebe Gruft!
Friedrich Rückert

Herzliche Grüße
Enigma
longtime
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Re: Heute etwas Poesie
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 19.01.2011, 18:26:37
In dem folgenden Text, den ich erst mal als Rätsel einstellen will, geht es nicht um Primeln, sondern beispielhaft um Krokusse.

Vor 75 Jahren wurden der Anblick und die Funktion der Natur und anderer Auffälligkeiten eines Schlossparks..., auch der Uralt-Platanen von einem reisenden Journaliisten beschrieben, einem Schweizer, der auf der Durchreise nach Berlin war:

Mit der Weihnachtsleküre gefunden und hier wiedergegeben zum Nachlesen und Nachdenken… - dass man es nicht mehr vergessen sollte: Baum-Riesen mit "himmelgreifenden Kronen" vor einem Bahnhof:

(…) „Den ersten Abend verbringe ich im Schloßpark zu ...: riesenhaft ragen die unzählbaren Platanen, uralte und himmelgreifende Kronen, die noch laublos sind; und ringsum dehnen sich die großzügigen Rasenflächen, die mancherorts mit blühendem Krokus überraschen.
Rilke sagte von solchen vereinzelten Blümchen, die kindlich und schüchtern wirken, sie stünden auf und sagten: blau.
Und im Hintergrund erkennt man die Umrisse eines schmucken, alten Schlosses, das nach seinen Brand noch nicht wieder aufgebaut ist, jetzt gerade von Abendsonne übergoldet und hinter einem Netz von knospenden Zweigen.
Vor meiner Bank liegt ein dunkelgrüner Teich, darin die Schwäne schwimmen, und im stillen Wasser spiegeln ihre Hälse wie lange, gerade und weiße Kerzen.
Und ein schlanker Turm überragt alles und steht rostrot in die Abendstille: dort oben hauste tagelang die Stadtreinigung, als die Revolution des Zweiten Reiches war; aber eine Kirche ist es nicht, sondern das Schönste und Höchste, was unsre Zeit schafft, gehört zum Bahnhof, übrigens zum besten Bahnhof in Deutschland.“(…)


Ja, als Abschluss der Abend-Betrachtung formulierte der Schreiber, der Architekt werden wollte, etwas Jahrhundert-Mutiges: Er bezeichnete d i e s e n Bahnhof als „besten Bahnhof in Deutschland“.

Im Frühjahr 1935 erlebt und beschrieben.

Welcher Autor besah sich hier Schloss, Park, Blumen, Baum-Riesen und den welchen Bahnhof (zu einer Zeit, als noch nicht der Mercedes-Stern auf dem Bahnhofsturm rotierte)?

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