Forum Kunst und Literatur Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.06.2015, 15:19:40
Felix Mendelssohn Bartholdy

Auszüge:

Venedig, 10. October 1830

"Das ist Italien! Und was ich mir als höchste Lebensfreude, seit ich denken kann, gedacht habe, das ist nun angefangen, und ich genieße es. Der heutige Tag war zu reich, als daß ich mich jetzt des Abends ein wenig sammeln müßte, und da schreibe ich denn an Euch, und will Euch danken, liebe Eltern, die Ihr mir dies ganze Glück schenkt, und will an Euch sehr denken, Ihr lieben Schwestern, und will Dich mir herwünschen Paul, um mich an Deiner Freude über das tolle Treiben zu Wasser und zu Lande wieder zu freuen, und möchte Dir beweisen Hensel, daß die Himmelfahrt der heiligen Maria ja das Allergöttlichste ist, was Menschen malen können! Ihr seid aber eben einmal nicht da, und ich muß also mein Entzücken in elendem Italienisch am Lohnbedienten auslassen, weil er stillhält. -
Ich werde aber confus, wenn es so fortgeht, wie diesen ersten Tag, denn des Unvergeßlichen hat sich mir in jeder Stunde soviel gezeigt, daß ich nicht weiß, wo ich Sinne hernehmen soll, um es recht zu begreifen. Die Himmelfahrt habe ich gesehen; dann eine ganze Gallerie im Palast Manfrini; dann ein Kirchenfest in der Kirche, wo nebenbei der heilige Petrus von Tizian hängt; dann die Markuskirche; Nachmittags war ich auch auf dem adriatischen Meere spazieren, und in den öffentlichen Gärten, wo das Volk im Grase liegt und frißt; dann wieder auf dem Markusplatze, wo in der Dämmerung ein unglaubliches Treiben und Drängen ist; und alles das mußte gerade heut sein, weil wieder viel Neues und Anderes nur morgen zu sehen ist.

´´
Hundertmal hab ich auf der zweitägigen Reise an Dich gedacht, liebster Vater; Du wärst vor Ungeduld aus der Haut, und vielleicht auf die des Kutschers gefahren; denn wenn er bei jedem kleinen Abhang langsam absteigend langsam einhemmte, und den geringsten Hügel im Schneckenschritt herauffuhr; wenn er zuweilen nebenher ging, um sich ein wenig die Füße zu vertreten; wenn alle möglichen Fuhrwerke, mit Hunden oder Eseln bespannt, uns einholten, und vorbeifuhren; wenn der Kerl endlich an einem großen Berge sich einen Vorspann von zwei Ochsen nahm, die mit seinem Pferde in guter Eintracht zusammen zogen, so mußte ich mich zurückhalten um ihm nicht auf den Pelz zu kommen; auch that ich es zuweilen; aber dann versicherte er ernsthaft, es gehe sehr schnell, und ich konnte nicht das Gegenteil beweisen."

aus:
Reisebriefe von
Felix Mendelssohn Bartholdy
zu Mendelssohns 100. Todestag im Jahre 1947
H. C. Schaack Verlag Bonn

Clematis
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von anjeli
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.06.2015, 16:21:41
Clematis,
ein schönes Thema hast du eröffnet... schade, dass die Beteiligung bisher noch nicht so groß ist...

Rosa Luxemburg war bereits zwei Jahre im Gefängnis... sie war wegen politischer Agitation verurteilt...

Sophie Liebknecht - ihr Bruder Karl war ebenfalls inhaftiert schrieb einen Brief an Rosa Luxemburg... die Stimmung der Briefschreiberin war düster und ängstlich...

Rosa schrieb aus ihrer Zelle an Sophie Liebknecht

Sonjuscha, Liebste, seien sie trotz alledem ruhig und
heiter.
So ist das Leben und so muß man es nehmen,
tapfer, unverzagt und lächelnd - trotz alledem.


Vor Rosa Luxemburg lag und ein Jahr Haft und zwei Jahre Lebenszeit...
sie liebte das Leben, war trotz allem heiter (auch, wenn es andere Tage gab) sie kämpfte, war tapfer, ließ sich von nichts und niemanden einschüchtern.
Ihre Leidenschaft war die Politik... sie war eine große Rednerin und die Galionsfigur der Sozialisten...
für die Herrschenden war sie ein Schrecken... der Schrecken wurde dann beseitigt...
sie wurde verhaftet, geschlagen, getreten, erschossen und dann in den Landwehrkanal (Berlin) geworfen... das war 1919 (Geburtsjahr meiner Mutter) und für mich leicht zu merken...

Sie war eine Große... ganz groß...

anjeli
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Käthe Kollwitz

November 1914

"Liebe Frau Schröder und liebe Dore!
Der schöne Schal kann unsern Jungen nicht mehr wärmen. Er liegt tot unter der Erde. Er ist bei Dixmuiden als erster seines Regiments gefallen. Er brauchte nicht zu leiden.

Bei Sonnenaufgang hat das Regiment ihn begraben, seine Freunde haben ihn ins Grab gelegt. Dann sind sie an ihre furchtbare Arbeit gegangen. Wir danken Gott, daß er so sanft hinweggenommen ist vor dem Gemetzel.

Bitte kommen Sie noch nicht zu uns. Aber Dank für den Schmerz, den Sie - wir wissen es - fühlen.

Karl und Käthe Kollwitz und Hans"

aus:
Käthe Kollwitz "Aus meinem Leben"
Ein Testament des Herzens

Herder Spektrum

Clematis

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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.06.2015, 08:06:36
Ludwig van Beethoven
an
F. W. Wegeler
Auszug

Wien, 29. Juni 1801

"Mein lieber guter Wegeler!

Wie sehr danke ich Dir für Dein Andenken an mich, ich habe es so wenig verdient und um Dich zu verdienen gesucht, und doch bist Du so sehr gut und lässt Dich durch nichts, selbst durch meine unverzeihliche Nachlässigkeit nicht, abhalten, bleibst immer der treue, gute Freund; dass ich Dich und überhaupt Euch, die Ihr mir einst alle so lieb und teuer wart, vergessen könnte, das glaub ich nicht, es gibt Augenblicke, wo ich mich selber nach Euch sehne, ja bei Euch einige Zeit zu verweilen; - mein Vaterland, die schöne Gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor meinen Augen als da ich Euch verließ, kurz ich werde diese Zeit als eine der glücklichsten Begebenheiten meines Lebens betrachten, wo ich Euch wiedersehen und unseren Vater Rhein begrüssen kann.

Wann das sein wird, das kann ich Dir noch nicht bestimmen, so viel will ich Euch sagen, dass Ihr mich nur recht gross wiedersehen werdet, nicht als Künstler sollt Ihr mich größer, sondern auch als Mensch sollt Ihr mich besser, vollkommener finden, und ist dann der Wohlstand etwas besser in unserem Vaterlande, dann soll meine Kunst sich nur zum Besten der Armen zeigen, o glückseliger Augenblick, wie glücklich halte ich mich, dass ich dich herbeischaffen, dich selbst schaffen kann.

..."

aus:
Paul Nettl: Beethoven
Bücher des Wissens, Fischer 1958
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.06.2015, 08:22:17
Rainer Maria Rilke
an?

"Vielleicht ist eine Art Priestertum mir aufgetragen, vielleicht ist es mir bestimmt, manchmal, den anderen entfremdet, auf einen Menschen zuzutreten, feierlich, wie aus goldenen Türen.
Doch dann werden mich immer nur solche sehen, die bei goldenen Türen wohnen."


aus:
Alfred Schütze: Rainer Maria Rilke - ein Wissender des Herzens
Verlag Urachhaus Stuttgart 1975
wolke07
wolke07
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von wolke07
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 22.06.2015, 08:20:46
Liebe Clematis,Du hast ein wunderbares Thema aufgegriffen mit den Briefen großer Persönlichkeiten.
Leider schreiben viele Menschen keine Briefe mehr,man hat sich nichts mitzuteilen,oder das Parto ist ihnen zu teuer.
Gerade wenn man entfernt wohnt,liebe ich es,lange Briefe zu schreiben.Briefe sind Kostbarkeiten---Das Schreiben gehört wesentlich zur Freundschaft.Die Freundschaft braucht den Brief,indem ich dem Freund mitteile,was mich bewegt.Ich las in einer Zeitung folgendes,Menschen,die keine Briefe gewechselt haben,kennen einander nicht----Die Liebe die in uns ist,will Ausdruck.Der Brief ist ein bleibender Ausdruck der Freundschaft.
Franz Xaver las knieend und unter Tränen die Briefe,die ihm sein Freund Ignatius von Loyola schrieb.Solche Briefe lassen die Freundschaft lebendig bleiben.Die Briefe an Freunde sind sehr kostbar.Die Freundschaft lockt aus unseren Herzen Worte hervor,die nicht nur dem Freund gelten,sondern die das Geheimnis des Lebens und der Liebe selber beschreiben.
Briefe,die Freunde sich geschrieben haben,etwa die Briefe zwischen Dietrich Bonhoeffer und seiner Braut,stellen daher einen bleibenden Wert auch für uns dar,wenn wir sie heute lesen.

Gruss Wolke07

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Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Ich finde diese Idee auch hervorragend und auch sehr interessant Persönliches von den Größen unseres Landes zu lesen.
Wolke07 erwähnte die Briefe Bonhoeffers an seine Braut. In dem Buch (D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft) las ich folgendes, das Bonhoeffer an seinen Freund Eberhard Bethge aus der Haft schrieb:

...... Und schließlich könnte ich ja nicht anders als mit Dir auch von Maria zu sprechen. Nun sind wir fast 1 Jahr verlobt und haben uns noch nie 1 Stunde allein gesehen! Ist das nicht ein Wahnsinn? Alles, was sonst zur Verlobungszeit gehört, das Sinnlich-erotische müssen wir bewusst verdrängen, unseren ersten Kuss haben wir uns vor Roeders Augen geben müssen. Wir müssen uns über Dinge unterhalten und schreiben, die uns beiden im Grunde nicht die wichtigsten sind, wir sitzen alle Monate eine Stunde brav wie auf der Schulbank nebeneinander und werden wieder auseinandergerissen, wir wissen so gut wie nichts voneinander, haben nichts miteinander erlebt, denn auch diese Monate erleben wir ja getrennt. Maria hält mich für einen Ausbund von Tugend, Musterhaftigkeit und Christlichkeit und ich muss, um ihr Beruhigung zu verschaffen, Briefe schreiben wie ein alter Märtyrer und ihr Bild von mir wird dadurch immer falscher. Ist das nicht für sie eine unmögliche Situation? (....) manchmal denke ich, ich hätte nun eigentlich mein Leben mehr oder weniger hinter mir und müsste nur noch meine Ethik fertigmachen. Aber weißt Du, in solchen Augenblicken fasst mich ein mit nichts anderem zu vergleichendes Verlangen danach, ein Kind zu haben und nicht spurlos abzutreten – wohl auch eher ein alttestamentlicher als neutestamentlicher Wunsch. ......
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.06.2015, 08:22:17
Dass in Beethoven eine tief empfindsame Seele steckte beweist u.a. dieser Brief an Wegeler, liebe Clematis, den Du uns zur Verfügung gestellt hast.
Wegen seiner oft sehr ruppigen und abstoßenden Verhaltensweise ist er auf manchen Covern und Bildern fast wie ein Dämon mit wehenden Haaren dargestellt. Das aber entspricht keinesfalls dem Wesen Beethovens. Er war ein wunderbarer Mensch, der Standesdünkel und Hochmut über alles verabscheute. Wie anrührend sind doch seine Worte in einem Schreiben an seine Brüder, das als „Das Heiligenstädter Testament“ bekannt geworden ist. Wegen der Länge setze ich hier ein Video ein, gelesen von Werner Krauss.



Und hier hat Beethoven dieses Testament verfasst:
Wohnhaus Beethovens Heiligenstadt

Ich hoffe, liebe Clematis, dass Du auch mit Link-Eingaben einverstanden bist?
LG Sirona
wolke07
wolke07
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von wolke07
Auch die Briefe Goethes an Frau von Stein,sind wunderbar geschrieben

28.Juni 1784
Nun wird es balde Zeit,liebe Lotte,dass ich wieder in deine Nähe komme:denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen;ich fühle recht deutlich,dass ich nicht ohne dich bestehen kann.Der Ausschußtagsabschied ist signiert;nun kann es nicht mehr lange währen,ich rechne noch eine Woche,dann werde ich loskommen können.Das Wetter ist höchst elend.Man kann nicht vors Thor,und was innerhalb der Mauern von Schönheiten und Artigkeiten lebt,hat allenfalls nur einen augenblicklichen Reiz für mich und kann kaum das Regenwetter balancieren,geschweige einen so wesentlichen Mangel,als der ist,den ich von Morgen bis zu Abend empfinde.
Ja liebe Lotte,jetzt wird es mir erst deutlich,wie du meine eigene Hälfte bist und bleibst.Ich bin kein einzelnes kein selbstständiges Wesen.Alle meine Schwächen habe ich an dich angelehnt,meine weichen Seiten durch dich beschützt,meine Lücken durch dich ausgefüllt.Wenn ich nun entfernt von dir bin,so wird mein Zustand höchst seltsam.Auf einer Seite bin ich gewaffnet und gestählt,auf der anderen wie ein rohes Ei,weil ich da versäumt habe,mich zu harnischen,wo du mir Schild und Schirm bist.Wie freue ich mich,dir ganz anzugehören und dich nächstens wiederzusehen!Alles lieb ich an dir,und alles macht mich dich mehr lieben.
Der Eifer,wie du in Kochberg deine Haushaltung angreifst,von dem mir Stein mit Vergnügen erzählt,vermehrt meine Neigung zu dir,läßt mich deine innerlich thätige und köstliche Seele sehen. Lotte bleibe mir und,was dich auch interessieren ma,liebe mich über alles!
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf wolke07 vom 22.06.2015, 12:39:37
Wolke07, das muss eine unendliche Liebe gewesen
sein zwischen Goethe und der Frau von Stein.
Ich glaube, dass wir heutzutage die Tiefe eines solchen
Erlebens gar nicht mehr ermessen können.

Er schreibt doch in einem Gedicht, dass sie vielleicht
in einem anderen Leben seine Schwester war. (so ähnlich.)

Sirona, ich freue mich über Links, die das Thema
unterstreichen und weiterführen.
Danke Dir.

Clematis

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