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Literatur In der BRD wenig gelesen

Milan
Milan
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In der BRD wenig gelesen
geschrieben von Milan
Des reichen Mannes Frühlingstag

Es ging ein reicher und glücklicher Mann
im leuchtenden Frühling den Bergwald hinan.
Er rief: "O Blüten und Sonnenschein!
Man braucht so wenig, um glücklich zu sein!"

Es begegnete ihm ein altes Weib,
hochauf bepackt, mit gekrümmten Leib.
"Siehst du nicht all das Glück ringsumher?"
"Ich kann nicht aufsehn. Die Last ist zu schwer."

Er sah einen Mann am Sägeband,
dem der Schweiß auf Nacken und Stirne stand.
"Siehst du nicht ringsum die blühende Welt?"
"Ich kann nicht wegseh'n. Es kostet mich Geld."

Er traf einen Mann, der kam aus dem Schacht.
Der ging durch den hellen Glanz wie die Nacht.
"Siehst du die Welt nicht, so hell und froh?"
"Ich kann nichts sehen. Es blendet mich so."

Ein Landstreicher schlich die Straße herauf.
Dem hing der Kopf, als schlief' er im Lauf.
"Siehst du dich nicht an der Schönheit satt?"
"Ich kann nichts seh'n. Bin vor Hunger zu matt."

Da blieb der Reiche nachdenklich stehn:
Ich begreife nicht, daß sie alle nicht sehn!
Das sind doch Menschen wie ich es bin.
Es fehlt ihnen allen vielleicht ein Sinn!"

Und als er zurückkam in die Stadt,
stand einer, der keine Arbeit hat.
"Siehst du nicht die blühende Herrlichkeit?
Du kannst doch genießen! Du hast doch Zeit!"

Da lächelte nur der Mann und sprach:
"Ich hab' keine Zeit, denn ich denke nach,
warum der arme Teufel die Welt
nicht genießen kann, wie es ihm gefällt.
Es fehlt ihm ein kleiner Teil nur dazu
vom Reichtum der Welt. - Doch den hast du!
Du hast dir genommen, was ihm gehört!
Du hast dem Armen die Welt zerstört!
Weißt du, wann unsereins glücklich ist?
Erst an dem Tage, wo du nicht mehr bist!"

Der reiche Mann ging schnell in sein Haus.
Die Sonne sah plötzlich unheimlich aus.
Er rief seinem Diener: "Schließ ab das Tor!
Von heute ab doppelte Schlösser davor!"

von Erich Weinert
Tina48
Tina48
Mitglied

Re: In der BRD wenig gelesen
geschrieben von Tina48
als Antwort auf Milan vom 28.02.2017, 15:45:43
In der BRD auch wenig gelesen :

IM KREML IST NOCH LICHT



Wenn du die Augen schließt, und jedes Glied
und jede Faser deines Leibes ruht -
dein Herz bleibt wach; dein Herz wird niemals müd;
und auch im tiefsten Schlafe rauscht dein Blut.

Ich schau’ aus meinem Fenster in der Nacht;
zum nahen Kreml wend ich mein Gesicht.
Die Stadt hat alle Augen zugemacht.
Und nur im Kreml drüben ist noch Licht.

Und wieder schau’ ich weit nach Mitternacht
zum Kreml hin. Es schläft die ganze Welt.
Und Licht um Licht wird drüben ausgemacht.
Ein einz’ges Fenster nur ist noch erhellt.

Spät leg’ ich meine Feder aus der Hand,
als schon die Dämmrung aus den Wolken bricht.
Ich schau’ zum Kreml. Ruhig schläft das Land.
Sein Herz blieb wach. Im Kreml ist noch Licht.

Erich Weinert

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