Forum Kunst und Literatur Literatur Klaus Harpprecht wird 80.

Literatur Klaus Harpprecht wird 80.

Klaus Harpprecht wird 80.
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Klaus Harpprecht wird achtzig, schreibt die "ZEIT":

Ich erinnere heute an Klaus Happrecht mit seinem "alten" Artikel, den ich Christen und Juden und Deutschen und "anderen" ins Gedächtnis rufen möchte, egal zu welchen Stichwörtern.

Klaus Harpprecht:

"Plötzlich wird unsere Trauer, die sich ein halbes Jahrhundert nach der Katastrophe so merkwürdig verdichtet hat, von einer Botschaft aufgerissen, die fast den Atem stocken ließ. In einer Studie von Nathan Stoltzfus in der Zeitschrift «Geschichte und Gesellschaft» ist zu lesen, in den Jahren des Dritten Reiches seien nur sieben Prozent der jüdisch-christlichen Mischehen geschieden worden. Sieben Prozent. Dies heißt, daß dreiundneunzig von hundert dieser Gemeinschaften dem Druck der Rassengesetze, dem infernalischen Haß der Parteibonzen, dem Konformismus der Nachbarn und Kollegen, der Feigheit vieler Freunde, der Kälte mancher Familienmitglieder - daß sie vor allem der Zermürbung durch eigene Angst standgehalten haben. -
Wer könnte von sich sagen, daß er vor jenen Pressionen nicht kapituliert hätte? Wieviel Tapferkeit verbirgt sich hinter der Ziffer. Welches Maß an Anstand, der nicht selbstverständlich war in einer Epoche, die keine moralische Norm respektierte. Welche Treue. Welche Liebe. Aus ihr nährte sich ein Widerstand, der wohl mehr zählt als jede politische Rebellion. Lang schützten die gemischten Ehen die jüdischen Partner vor der Deportation. Zu Beginn des Jahres 1943 aber wurden auch sie in die Todeslager verschleppt. Nach der Verhaftung von etwa zweitausend Menschen in Berlin sammelten sich die Angehörigen zu einem Protest in der Rosenstraße: der ersten, der einzigen Demonstration seit dem Konflikt mit den Kirchen in den Anfangs Jahren des Regimes. An die sechstausend der Angehörigen, meist Frauen, forderten beharrlich die Freilassung ihrer Männer, ihrer Väter: bis die Schergen (im Schatten von Stalingrad) nachgaben. Dreizehntausend der jüdischen Partner, berichtet Nathan Stoltzfus, überlebten: Zeugen einer Hoffnung, für die wir dankbar sind. Der Mut der Frauen von der Rosenstraße aber war die Ausnahme.
Die Trauer entläßt uns nicht."
*
(Glosse in der Schweizer "Weltwoche"; am 27. Juli 1995, von Klaus Harpprecht; aus: K.H: Nicht auszudenken. Reinbek bei Hamburg 1997. S. 40f. - Der Text soll auch daran erinnern, dass Harpprecht mit seiner Frau Ursula, die Auschwitz überlebte, seit 20 Jahren in Frankreich lebt.)

Dass Harpprecht der große Zeuge der Ära Brandt war, ist allgemein bekannt. - Und z.B. über den Revolutionär Georg Forster eine Biografie schrieb, aus der ich erst erfuhr, dass Forsters Vater, Johann Reinhold F., als Pfarrer, Naturforscher und Bürgerrechtler für die ausgewanderten Deutschen in Russland (besonders im Wolga-Gebiet) bei der liberalen Zarin Katharina und ihren faulen Beratern so viele rechtliche Regelungen erreichte, dass die Beruf-Russlanddeutschen in ihren Traktaten und politischen Forderungen Vater samt Sohn auf Ewigkeit vergaßen.




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elfenbein
Re: Klaus Harpprecht
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.04.2007, 18:52:00
Klaus Harpprecht schreibt über die

Epochenwende in Paris

Bei der wichtigsten Wahl in Frankreich, seit Mitterand über Giscard siegte, geht es auch um uns.

Die Präsidentschaftswahl in Frankreich, deren erster Akt an diesem Sonntag über die Bühne geht, elektrisierte das Land wie kaum eine der großen Entscheidungen seit 1981, als François Mitterrand, der Neusozialist von rechts, den liberalen Aristokraten Giscard d'Estaing aus dem Élysée verscheuchte. Die Leidenschaften brandeten in der bataille à trois dieses Jahres heftiger auf als seit Menschengedenken, obschon die Passionen zwischen den Protagonisten Nicolas Sarkozy, Ségolène Royal und François Bayrou kaum politisch motiviert sind.

Auch die Anteilnahme von Frankreichs Nachbarn, zumal die der Deutschen, ist lebhafter, als wir's erinnern. Spätestens seit dem Nein zur EU-Verfassung - auch wenn damals vor allem die eigene Regierung bestraft werden sollte - haben wir begriffen, dass die Franzosen auch für uns ihre Wahl treffen. Die europäische Integration, zumal im französisch-deutschen Kern der Union, duldet keine isoliert nationalen Prozesse mehr.
Die sogenannte Souveränität, die wir artig respektieren, ist in Wirklichkeit zur Schimäre geworden.

Forts. s. Tipp:

(© DIE ZEIT, 19.04.2007 Nr. 17)


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elfenbein

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