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Literatur Literatur-Nobelpreis für Hertha Müller

miriam
miriam
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von miriam
als Antwort auf clara vom 01.11.2009, 18:35:26
Liebe Clara,

vorweg vielleicht dies: ich betrachte Herta Müller als eine sehr gute Schriftstellerin - und trotzdem war ich nicht ganz einverstanden mit der Vergabe des Nobel-Preises für Literatur an diese Autorin.

Für mich ist der Nobel-Preis für Lit. eine Auszeichnung die an einem Werk vergeben werden sollte, welches man als Weltliteratur bezeichnen kann - dazu gehört von den Autoren die gehandelt wurden in erster Linie Philip Roth oder António Lobo Antunes - bzw. auch Amos Oz.

Die Nestbeschmutzung bezieht sich auf die kritische Betrachtungsweise von Herta Müller auf das fast schon inzestuöse Milieu der Banater Schwaben.
Einen Link über die Niederungen findest du weiter unten.

Was die Veränderung der Mentalität oder der Sichtweise meines früheren Kreises betrifft: wir alle gehörten seinerzeit in Rumänien, Minderheiten an. Hier aber waren einige (eben die Banater Schwaben bzw. Deutsche), plötzlich in ihrer eigentlichen Heimat.
Dies meine Interpretation zu den damals festgestellten Veränderungen.

Liebe Grüße

Miriam


clara
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von clara
als Antwort auf miriam vom 01.11.2009, 23:49:14
Liebe Miriam,

Deine Ausführungen sind interessant und beantworten größtenteils meine Fragen. Der Link bestätigt meine Eindrücke.

Das, was Du bei den Banat-Schwaben als Ankunft in der Heimat bezeichnest, stellt Müller in Herztier dann doch eher als fremde Heimat dar. Plötzlich ist alles anders und "schöner", aber wo die Großmutter begraben liegt, im kleinen, dumpfen Dorf, da ist trotz allen Schreckens die eigentliche Heimat. Gerade las ich von ähnlichen Schwierigkeiten bei vielen Russlanddeutschen.
Aber natürlich ist es in Deutschland für Volksdeutsche gegenüber anderen Auswanderergruppen und Migranten doch noch am einfachsten.

Zu Deinen Bemerkungen, den Nobelpreis betreffend, kann ich wenig sagen. Von den genannten Preisträgern habe ich bisher nichts gelesen. Problematisch sind m.E. Übersetzungen, weil sie oft nichts über die eigentliche Sprachqualität eines literarischen Werkes aussagen.
Nach welchen bevorzugten Kriterien ein Literaturnobelpreis verliehen wird, müsste ich mal nachlesen, könnte mir denken, dass es neben sprachlichen Gesichtspunkten auch auf die Thematik ankommt, und da liegt H. Müller doch nah an dem lange Zeit ganz Osteuropa belastenden Thema Diktatur. Ein weltweites Thema.
Ähnlich sehe ich die Vergabe an Böll und Grass, die die vorherige Diktatur aufarbeiteten.

Lieben Gruß, Clara
miriam
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von miriam
als Antwort auf clara vom 02.11.2009, 15:07:32
Liebe Clara,

die Neuigkeiten Rund um Herta Müller, reißen nicht ab. Als ich erst die Nachricht vernahm, fragte ich mich ob das wirklich nötig gewesen ist?

Herta Müller wurde am Sonntag in der Paulskirche mit dem Franz-Werfel-Preis für Menschenrechte, ausgezeichnet.
Klingt schön, aber: dieser Preis wird vom Bund der Vertriebenen vergeben.

Persönlich ein Verein, den ich eher als nicht-Friedens-stiftend betrachte, auch durch seine Vorsitzende Erika Steinbach.

Doch Herta Müller wäre nicht Herta Müller, wenn sie die Veranstaltung nicht in ihrem Sinne gestaltet und dadurch aus dem Rahmen den wir beim Bund der Vertrieben kennen, umgemodelt hätte.

Ich zitiere:


"Was aber nach diesem Tag haften blieb, waren nicht die Worte der Vorsitzenden, sondern die radikal aufrechten der Herta Müller. Diese hatte ihrem Laudator für seine bewegenden Worte gedankt und ging dann zum Angriff über. Der richtete sich hauptsächlich gegen die heutige politische Landschaft Rumäniens, die ihre Vergangenheit nicht aufarbeite, sondern in der Gegenwart fortsetze. Niemals sei die Geschichte der Judenverfolgung in Rumänien aufgearbeitet worden, auch nicht in Ungarn. Aber auch die deutschen Minderheiten haben ihre eigene Verstrickung in den Judenmord bis heute nicht thematisiert. Eine gemeinsame Verdrängungsleistung, da der Haß ihrer Landsleute und der Haß der Regierung „Hand in Hand“ gingen."

Zitat Ende.

Siehe auch Link

Liebe Grüße

Miriam


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clara
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von clara
als Antwort auf miriam vom 02.11.2009, 17:42:00
Liebe Miriam,

diese Neuigkeit ist mir entgangen!

Das hat sich der Bund der Vertriebenen sicher anders vorgestellt. Mir sind Erika Steinbachs verschiedenen unversöhnlichen Äußerungen auch bekannt, zuletzt ihre später zurückgezogene Nominierung für den Stiftungsbeirat Flucht, Vertreibung, Versöhnung, leider nicht allen Parteien genehm.
Der BfV hatte sicher nicht mit solch einer Reaktion Müllers gerechnet, bzw. die Preisträgerin für sich vereinnahmen wollen.

Neu für mich und erschreckend - ich wusste eben nichts über die Autorin - ist auch die Haltung der evangelischen Kirche, die einiges gut zu machen hat.

Linkzitat: Kaum hat man die Preise, werden an die Nobelpreisträgerin auch schon Forderungen gerichtet. Mit diesen kann Herta Müller sicher sehr souverän umgehen. Ihre klare Position in der Frankfurter Paulskirche war eine Sternstunde für aufrechte Literaten.

Nach dem, was ich bisher von Müller gelesen habe, kann ich mir das gut vorstellen. Jetzt bin ich gespannt, ob eine Reaktion aus Rumänien erfolgt und/oder eine Stellungnahme des BfV.

Das Buch Atemschaukel wird nun Pflichtlektüre für mich. Ich werde immer neugieriger. Das folgende Zitat bestätigt meine im vorigen Beitrag genannte Vermutung über den Grund der Nobelpreisverleihung:

Darüber hinaus hat dieses Buch auch große Bedeutung für die Millionen in den Gulag Deportierten anderer Völker. Es macht eindringlich deutlich, daß auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Menschenrechte in weiten Teilen Europas keine Heimstatt hatten.

Dem Wunsch schließe ich mich an, Zitat:... wir würden uns also wünschen, daß Herta Müller in ihrer geschichtlichen Aufarbeitung der Rumäniendeutschen eine Generation zurückgeht und deren genannten Verstrickungen in die Politik der Nationalsozialisten auf die Spur geht. Für ein solches Buch wird sie sicher keinen Preis eines Zentrums für Vertreibung gewinnen, dessen Unterstützerin sie nie gewesen sei, wie Herta Müller klar zum Ausdruck brachte, aber ein solches Buch ist schon lange überfällig.


Lieben Gruß, Clara


miriam
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von miriam
als Antwort auf clara vom 03.11.2009, 16:33:53
Der Beitrag von Kulturzeit (3sat) zur Vorlesung von Herta Müller:

Herta Müllers "Nobelvorlesung"

Kurz vor Entgegennahme des Literaturnobelpreises hat die Schriftstellerin Herta Müller mit stillen Tönen an die Folgen von Unterdrückung, Erniedrigung und Isolierung für einzelne Menschen in Diktaturen erinnert. Die Berlinerin mit rumänischem Geburtsschein bekommt den berühmtesten Literaturpreis der Welt am 10. Dezember 2009 von Schwedens König Carl XVI. Gustaf überreicht.

In der traditionellen "Nobelvorlesung" vier Tage vor der Verleihung im Stockholmer Börsenhaus berichtete Müller unter dem Titel "Jeder weiß etwas vom Teufelskreis" über prägende Erfahrungen aus ihrem Leben als Angehörige der deutschen Banater-Minderheit im kommunistischen Rumänien.


Siehe Link für den vollständigen Text von Kulturzeit.

--
miriam
clara
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von clara
als Antwort auf miriam vom 08.12.2009, 17:57:03
Ich danke Dir, Miriam für den Link mit verschiedenen Hinweisen zu Herta Müller.
Ich muss mich aber noch genauer damit befassen, was momentan aus Zeitgründen nicht geht.

Aus der Rede picke ich mal heraus, weil es so typisch für die Schriftstellerin ist:
Kann es sein, dass die Frage nach dem Taschentuch seit jeher gar nicht das Taschentuch, meint, sondern die akute Einsamkeit des Menschen?"


Nun, nachdem ich ihre Atemschaukel gelesen habe, kann ich zunehmend die Bedeutung dieser mir ursprünglich sonderbar erscheinenden Begriffe verstehen.

Jetzt erstmal viele Grüße von
Clara

Und die Verleihung live auf Phoenix nicht vergessen!

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clara
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von clara
Hallo,

da ich kein neues Thema eröffnen möchte, an dieser Stelle ein Hinweis: Wer NDR Kultur (Radio) empfangen kann, kann heute Abend, 20.00 Uhr ein Hörspiel nach dem Roman von Herta Müller, "Atemschaukel" verfolgen. Es handelt sich um die 2010 produzierte Ursendung.

Ich habe das Buch gelesen und bin gespannt, ob und wie die Umsetzung in ein anderes Medium gelingt.

Wer also mal nur was für die Ohren tun will...

Clara
clara
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Re: Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
geschrieben von clara
als Antwort auf clara vom 07.04.2010, 18:38:19
Und wieder etwas zum Hören: Für Interessierte, die NDR Kultur empfangen können:

Heute Abend, 23.05 Uhr kann man Hertha Müller im Gespräch erleben.


Clara

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