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Literatur von Frauen (oder auch von Männern)
geschrieben von longtime

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Die Lienzer Gasse in Salzburg: Aufgang zu dem früheren Zweig-Haus: Kapuziner Gasse  - © -A.St.. Reyntjes

An Stefan Zweig geschrieben - ein Brief von einer Unbekannten:

Der erste Brief an Stefan Zweig, geschrieben von der (späteren)  Friderike von Winternitz
Friderike Maria von Winternitz, geb. Burger (Wien 4.12.1882 – Stamford/Conneticut 18.1.1971)


Das Wetter. Wien, 24·Juli. Der Luftdruck hielt sich tagsüber lavierend zwischen 750 und 751 Millimetern. Es trat teilweise Ausheiterung ein, doch wurde das Gewölke sehr gewitterdrohend und nachmittags war das Wetter dunstig schwül. Die Temperatur hatte sich auf 27-4 gegen 22.2 Grad gestern erhoben und das Wärmemittel war mit 22·5 um 4Grad höher als jenes des Vortages.


Aus Bad Ischl wird uns berichtet: Der Kaiser fuhr heute um 6 Uhr abends allein auf die Pirsch. (Neue Freie Presses, Wien 24·7· I9I2)

Friderike von Winternitz, die im niederösterreichischen Luftkurort Gars am Kamp zur Sommerfrische war, fuhr am 24. Juli nach Wien und verbrachte den Abend in dem von Beamten, Offizieren, Ärzten und Dichtern gern besuchten Gasthaus „Riedhof“ in der Josefstadt, Wickenburggasse 15.

An diesem Abend saß Stefan Zweig am Nachbartisch von Friderike von Winternitz. Sie übernachtete in der Wohnung ihres Schwiegervaters Jakob von Winternitz, Kochgasse 29, und fuhr am nächsten Tag zurück ins Kamptal.

Umgehend schrieb sie einen – unsignierten, aber kenntlich gemachten - Brief an Herrn Stefan Zweig,

Wien VIII (Josefstadt), Kochgasse 8.

Datiert: 25. Juli 1912

Lieber Herr Stefan Zweig,
vielleicht bedürfte es nicht der Erklärung, weshalb es mir leicht fällt, das zu tun, was die Leute »unschicklich« nennen. Weshalb es mir sonst nicht ungeheuerlich erscheint, das gehört nicht hierher. Ich war gestern auf einen halben Tag und eine Nacht in Wien, kam aus meiner sanften Landschaft, aus meiner Mühle, wo Wald und Wasser um mich ist und keine Stadtkultur. - Und da geschah solch ein lieber Zufall. - Ich habe Sie vor paar Jahren an einem Sommerabend beim Stelzer, wo Girardi Abschied nahm, gesehen. Jemand sagte: das ist der Stefan Zweig. Ich hatte eben eine Novelle von Ihnen gelesen, und Sonette las ich (ob ich sie damals schon kannte, weiß ich nicht), deren Klang mir nachlief'. Es war ein hübscher Abend damals. Sie saßen, glaube ich, mit Freunden, und es war oder schien eine Begeisterung unter ihnen. Es war damals so eine Art Wendezeit in meinem Leben. Spät abends fuhren wir dann in einem schönen, raschen Wagen nach Wien. Und gestern saßen Sie im Riedhof neben mir, und ein Bekannter brachte mir die „Hymnen an das Leben“. Ich las sie heute zum Räderrollen [des Zuges], als ich früh morgens wieder in meine Sommerheimat fuhr. Draußen lagen die Felder in der freudigsten Sonne. Und da erschien es mir nicht unnatürlich, Ihnen einen Gruß zu senden. Die Hymnen sind so schön! Einige kannte ich. »Das Wort« liebe ich sehr. Ich las es mir schon aus dem Insel-Almanach mehrmals laut vor. Und als ich gestern neben Ihnen war, fiel mir so ein: Es ist nicht einerlei, ob man sein Leben lang Péladan und Strindberg oder Shaw - oder Verhaeren übersetzt. Sage mir, wen Du übersetzt, und ich sage Dir, wer Du bist. Und wie Du übersetzt wohl auch! »Nachdichtungen«, das ist das Herrliche! Ich dichte auch. Vielleicht haben Sie in den vergangenen Tagen etwas von mir gelesen, oder darüber weggeschaut.
Sendete Ihnen gerne einmal etwas zum Gruß - aus meiner liebsten Welt. Warum sind Sie in der Stadt? Man sollte fast nie in der Stadt sein. Bei mir hier ist es so schön. Hätten Sie es doch auch so wundervoll. Ich weiß Ihre Adresse von jemandem, der mir einmal etwas von Ihrer Veranda erzählte, als er meine Weihnachtsbücherliste sah, auf der der „Tersites“ stand. Ich glaube, Sie werden niemandem über diesen dummen Brief etwas zu sagen haben. Ich schreibe auch nicht, damit Sie mir etwas erwidern, obwohl es mich freute. Und wenn Sie irgend Lust hätten dazu, schreiben Sie an Maria von W, postl. Rosenburg am Kamp."

Viele Grüße!

Anmerkungen:
Das eigene Werkchen: „Sommerbriefe“ - Er erschien erst am 4.8.1912 im Wiener „Fremdenblatt“.
Stefan Zweig: Das Wort


Veröffentlichungen

  • Stefan Zweig – Wie ich ihn erlebte. F.A. Herbig Verlag, Berlin 1948.
  • Stefan Zweig – Eine Bildbiographie. Kindler Verlag, München 1961.
  • Spiegelungen des Lebens. Lebenserinnerungen. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt a.M. 1985, Erstausgabe: Deutsch-Verlag, Wien 1964.
  • Jeffrey B. Berlin, Gert Kerschbaumer (Hrsg.): Stefan Zweig – Friderike Zweig. „Wenn einen Augenblick die Wolken weichen“. Briefwechsel 1912–1942. Fischer, Frankfurt am Main 2006. S. 7 – 12.
*
Zweig, Friderike Maria: Warum ...? : Ein Brief von Friderike Maria Zweig zum Tode Stefan Zweigs. - Source: Aufbau, Jg. 8. 1942, Nr. 10 (06.03.1942), S. 19, Spalte c    
V. C. [d.i. Craener, Vera]: Literarische Welt : Brückenbauer des Friedens. - Source: Aufbau, Jg. 16. 1950, Nr. 26 (30.06.1950), S. 8, Spalte a  
Der Brief hatte seine vorbedachte Wirkung.
Ein coup de foudre? Ach, muss man dieses Wort der französischen, der höchsten Lebenslust übersetzen?
*
 

longtime
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RE: Literatur von Frauen (oder auch von Männern)
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 03.01.2019, 12:12:19
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RE: Literatur von Frauen (oder auch von Männern)
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 07.01.2019, 17:26:34
Mörike Münze.jpg
geschrieben von longtime

Eduard Mörike:
Erstes Lied
eines Mädchens
Was im Netze! schau einmal!
Aber ich bin bange, -
Greif ich einen süßen Aal?
Greif ich eine Schlange?

Lieb’ ist blinde
Fischerin;
Sagt dem Kinde,
Wo greifts hin?
Schon schnellt mirs in Händen,
Ach Jammer! o Lust!
Mit Schmiegen und Wenden
Mir schlüpfts an die Brust!

Es beißt sich, o Wunder!
Mir keck durch die Haut,
Schießt's Herze hinunter -
O Liebe, mir graut!

Was thun? Was beginnen?
Das schaurige Ding -
Es schnalzet da drinnen
Und legt sich im Ring.

Gift muß ich haben!
Hier schleicht es herum, -
Thut wonnelich graben,
Und bringt mich noch um!


E. Mörike: HKG. Gedichte. Bd. 10, 222ff.
(Nach der Fassung im Brief an Ernst Friedrich Kauffmann. 7. Juli 1828; an die Adresse „Seiner Wohlgeboren / Herrn Realschullehrer Kauffmann / zu / Ludwigsburg.“; mit späteren Änderungen, hauptsächlich in der Interpunktion, unter dem Titel „Erstes Liebeslied eines Mädchens“, in Gedichte. Erste Auflage 1838)


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longtime
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RE: Literatur von Frauen (oder auch von Männern)
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 07.01.2019, 17:48:03
Mörike-Museum-Clever.JPGEduard Mörike: Museum in C l e v e r s u l z b a c h

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Anmerkungen zu:

Zum Text, zum Kontext – ad res amatorias1

Mörikes Brief an E. F. Kauffmann:

Im Schloss Weissenau bey Ravensburg
                                   D. 7. Julius 1828

Mein bester K.! Dieses fremde Datum könnte Dich zu allerlei falschen Ahnungen verleiten. - entweder, daß ich desertiert oder katholisch geworden, oder Waisenhaus-Inspektor in der Gegend oder sonst was Neues sey – Gott bewahre!

Ich bin im Grund noch was ich von jeher gewesen, nemlich ein guter hoffnungsvoller Jüngling, ein Kerl, der seine Pfeif Tabak eben überall lieber raucht, als auf dem Vicariat - Kurzum, ich bin derzeit auf allen Flanken von Oberschwaben herum und zwar seit einiger Zeit alleweil auf d. Reise mit meinem Onkel Prokurator, als dessen Gesellschafter u. SEKRETÄR. Da komm' ich gestern zum ersten mal in die schöne Gegend von Weingarten; Wie mir nun die Kirchenkuppel und das goldene Kreuz im schönsten Sonnenschein entgegenglänzte, so übernahm mich die Erinnerung an Dich dergestalt, daß mir die Eingeweide brannten und [sc. ich] mich ungeduldig auf meinem Sitz herumdrehte. Darfsts glauben, dies war, ohne Übertreibung, der Effekt. Ich las auch neulich in der Zeitung einen definitiven Reallehrer angezeigt; und das gab auch den Effekt. - Lieber, guter K!!! Sieh, das sind nur so drey Ausrufungszeichen, PUNCTAEXCLAMATIONIS, - aber es liegt erstaunlich viel darinn; Reflexionen wie z. B. Was doch die Zeit hingeht! Wie doch die Freunde auseinanderkommen! Und wie man zum Heirathen kommt u. dergl. Das leztere ist das lustigste und traurigste von Allem.

Ich freue mich nur darüber, in sofern es für Dich lustig ist und weil MARIE LOHBAUER „die Parthie“ ist. Gelt? das ist schön gesagt? Ein langes und breites Hochzeitlied schick ich Dir nicht, aber ein Liebesliedchen, das ich gestern auf der Steige von Weingarten vor mich hinbrummte und zwar, vom 3ten Vers an nach der MELODIE »Was zieht mir das Herz so«. Sez es in Musik, gib Ihr am BrautMorgen einen Kuß und frag Sie, wenns sie's nun absingt, ob das Lied nicht, auf ein Haar, alle die Seeligkeit ausdruckt, die Sie in den ersten Tagen Eurer Liebe empfunden.
Wenn das seine Richtigkeit hat, so thu ich mir was drauf zu gut.
____________________

Ich werde in etwa 14 Tagen auf einige Monate nach STUTTGARDT kommen, vielleicht auch auf länger - SUB TITULO eines Hofmeisters bei meinem Onkel. Schreibe mir aber bald nach BUCHAU am Federsee. Lebwohl! Grüße MARlEN [sic] Grüße Alle und - wenn Du kannst küsse den RUDOLF tausendmal in meinem Namen.
                                                         Dein  EDUARD.
 
1 Mörike an Mährlen: „In Rebus amatoriis hic multum, at nequaquam periclitando, profeci“. Albius Tibullus - “Potiorem esse, in rebus amatoriis, e. potiori loco haberi, praeferri alicui(...)“? Oder angelehnt an „sapiens in rebus amatoriis“ - contradictio ad: in rebus adversis..
Vielleicht auch „
bonae res“: Leckerbissen.
    longtime
    longtime
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    RE: Literatur von Frauen (oder auch von Männern)
    geschrieben von longtime
    als Antwort auf longtime vom 03.01.2019, 12:12:19

    ZWE'IG_STARTBILD.jpgEn neues Magazin, initiiert von der Stefan-Zweig-Gesellschaft, Salzburg
    +

    Zweigs Briefe an Friderike Maria von Winternitz aus den Jahren ihrer Annäherung sind leider verschollen. Er begann allerdings im September 1912 Tagebuch zu schreiben - »Dokumente seines inneren Lebens«.


    Am 23. September notierte Stefan Zweig:

    Nachmittags bei Frau von Wi. Das nun ein gutes Gespräch mit einer wahrhaft sensiblen Frau, die wohl das Zarteste ist was man sich erdenken kann aber mit einer Energie der seelischen Aufrichtigkeit, die sie groß macht. Wie sie das sagte, es sei tragisch, die Kinder immer nur von einem Manne zu bekommen - wie kühn wie edel das auszusprechen. Es ist mir in solchen Momenten selig zu wissen, dass dies meine höchste Lebensgabe ist, Menschen aufzuschließen, in ihnen durch eine Aufrichtigkeit über alle Scham hinaus (ich bin da ganz frei) ein Bedürfnis zu erwecken, auch ihrerseits einen verborgensten Gedanken zu sagen. Wie herrlich das ist,so ein Gedanke, von dem man fühlt dass er sich zu einem für das erste Mal ins Wort wagt und ganz glückselig ist,wie ein Vogel der sich zum erstenmal in die Luft wirft und aufschreit vor Lust, weil ihn die Schwingen tragen. Ich weiß, dass ich in Frauen aber auch Mannern oft etwas befreie. Nur hüte ich mich, dies erotisch auszunützen, vielmehr ich erzeuge diese Freiheit erst durch eine ungesprochene erotische Ablehnung. Was hier ja leicht ist, einem so fragilen zarten Wesen gegenüber, die aber doch rührend, unsäglich rührend war wie sie das blasse kranke Kind*] im Arm hielt und sich zu ihm niederbeugte. In diesen Bewegungen liegt eine wundervolle Zartheit und ich spüre sie wie Musik. Sie ist voll Takt; wie dann ihr Gatten**] kam, irgendwie peinlich berührt, was ich recht gut zu überwinden mich beeilte, kam's wie kalte Luft ins Zimmer. Sie scheint in einem Zwischenzustand zwischen dieser noch mädchenhaften Schönheitssehnsucht und ihrer mütterlichen Ruhe zu sein, ihr Gatte dazwischen ein Pendel, der weder die eine noch die andre Glockenschale erreicht und zum Schwingen bringt. Abends dann dumpf im Übersinnen. Café, dieses unnötige Finale, das ich mir abgewöhnen will.

    *] Ihre Tochter Susie litt an Stoffwechselstörungen
    **] Dr. Felix von Winternitz. - Die Ehe wurde bald darauf geschieden;; die Heirat zwischn ihr und F. Z. wurde 1920 vollzogen.


     

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