Literatur Peter Rühmkorf +

longtime
longtime
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Peter Rühmkorf +
geschrieben von longtime
Eines meiner Rühm-Korf Lieblinge:


Der Mond ist aufgegangen.
Ich, zwischen Hoff- und Hangen,
rühr an den Himmel nicht.
Was Jagen oder Yoga?
Ich zieh die Tintentoga
des Abends vor mein Angesicht.

Die Sterne rücken dichter,
nachtschaffendes Gelichter,
wie's in die Wette äfft -
So will ich sing- und gleißen
und Narr vor allen heißen,
eh mir der Herr die Zunge refft.

Laßt mir den Mond dort stehen.
Was lüstet es Antäen
und regt das Flügelklein?
Ich habe gute Weile,
der Platz auf meinem Seile
wird immer uneinnehmbar sein.

Da wär ich und da stünd ich,
barnäsig, flammenmündig
auf Säkels Widerrist.
Bis daß ich niederstürze
in Gäas grüne Schürze
wie mir der Arsch gewachsen ist.

Herr, laß mich dein Reich scheuen!
Wer salzt mir dort den Maien?
Wer sämt die Freuden an?
Wer rückt mein Luderbette
an vorgewärmte Stätte,
da ich in Frieden scheitern kann?

Oh Himmel, unberufen,
wenn Mond auf goldenem Hufe
über die Erde springt -
Was Hunde hochgetrieben?
So legt euch denn, ihr Lieben
und schürt, was euch ein Feuer dünkt.

Wollt endlich, sonder Sträuben,
still linkskant liegen bleiben,
wo euch kein Scherz mehr trifft.
Müde des oft Gesehnen,
gönnt euch ein reines Gähnen
und nehmt getrost vom Abendgift.
*

In der FAZ wird Peter der FRECH-Rühmende als "Nationaldichter" aho-postrophiert; nur die BILD fehlt noch mit Adoration. (Eine SS-Vergangenheit kann man ihm nicht hochrechnen.)

Dass MRR ihn dort so hoch und vergeb- und vergesslich verehrt, hat den kurzweiligen Grund, dass Rühmkorf von sich und ohne Not und ohne dass er sich die Zunge verdarb, ihm zu seinem letzten GROß-Geburtstag ein verzeihendes Gedichtlein zukommmen ließ.

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longtime
enigma
enigma
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Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 10.06.2008, 11:06:28
Ja, ich hab`s gestern auch im Radio gehört.

Seine Lyrik jedenfalls hat mir fast immer gefallen.

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enigma
pilli
pilli
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Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von pilli
als Antwort auf longtime vom 10.06.2008, 11:06:28
ein "Mann mit provokantem Humor", der "gerne auf polemische Angriffslust setzte" siehe auch seinen letzten gedichtband: "Paradiesvogelschiß" dennoch "Ein empfindsamer Poet" und Vertreter des "grotesken Humors" der wie ein "Ein Bänkelsänger des Widerstands...aüfmüpfig, wunderbar ironisch, stilvoll, nachdenklich schrieb!"

nur eine kleine auswahl der zitate aus den nachrufen auf der seite longtime,

die du dankenswerterweise angeboten hast.

Bettina Röhl schreibt einen sehr persönlichen nachruf in der "Welt online", zu dem ich im link verweisen möchte; hier nur ein ausschnitt:

...Ich erinnere einen Geburtstag, ich glaube, es war dein sechzigster auf einem Schiff auf der Elbe und da waren all die großen Namen des Literaturbetriebs, in der Mitte saß auf einem Platz Günter Grass und rauchte seine Pfeife. Ich spielte Mäuschen und lauschte den erlauchten Worten und den Flirtereien und den Abschleppaktionen der Alten. Und die Koketterien mit dem Alter war auf dieser Veranstaltung etwas ganz besonderes. Immer wenn eine neue intellektuelle Eminenz oder Durchlaucht an die Bar kam, wurde gefrotzelt: ach du lebst auch noch? Wie siehst Du denn aus, wer hat Dir Deine Haare geklaut? Du siehst aus der Tod. Ja, so fühle ich mich auch. Ich wusste gar nicht, dass man lebendig so alt aussehen kann usw. Das Ganze hatte schon irgendwie Klasse...

geschrieben von Bettina Röhl


seine art zu zeichnen, auch die darf erinnert werden wie so manch anderes:

Erinnert werden nämlich nur die lyrischen 'Evergreens', die 'Smash-Hits', die 'Lyrik-Hammer', die durch Parodie Teil der "Umgangspoesie" geworden und dadurch ins "Volksvermögen" eingegangen sind. "Was du ererbt von deinen Vätern hast", heißt es im "Faust", "erwirb es um es zu besitzen". Rühmkorf zeigt, dass die "Lästerschule" eine besonders "lustvolle Kür" ist, wenn es darum geht, vom Erlernten Zeugnis abzulegen. In seinem poetischen Werdegang habe er der Spottlust immer freien Lauf gelassen. Schon seine ersten nachweisbaren Schreibproben seien gereimte Gedichtchen gewesen, und früh habe er sich begeistert, das Liedgut der Nazibarden zu malträtieren. Begeistert habe er als Fünfzehnjähriger Feindsender gehört und fiktive Tauschangebote in die Zeitung gesetzt: "Biete Memoiren eines Marineleutnants. Suche Sense zwecks Eintritts in den Volkssturm." Auch habe es eine "noch ganz andere Lesersozialisiation" gegeben, als jene, von der Martin Walser zu berichten wisse: "Sein scheinunschuldiges Spiegel-Gespräch mit Rudolf Augstein schien mir die pure Heuchelei. Es sei denn, dass er sich schon damals in der Kunst des Wegsehens / Weghörens geübt hat."

Rühmkorfs eigene Gelegenheitslyrik verrät echte Könnerschaft, und zwar von der ersten Zeile an. Die ersten Postkartengrüße gelten Werner Riegel, dem früh verstorbenen Mitstreiter beim "Studentenkurier". Riegel war es, der 1955/56 den Kontakt zwischen Peter Rühmkorf und Arno Schmidt hergestellt hat. Beide Autoren hatten viele Gemeinsamkeiten, darunter die Ablehnung Martin Walsers ("Gott hat ihn für Kritik und Literaturgeschichte prädestiniert. Weniger für eigene Produktion") und das Gespür für komische Wirkungen. Aus der freundschaftlichen Verbindung wurde später auch eine geschäftliche, wie Frank Schäfer in seiner schmalen Studie "Lichtenberg - Schmidt - Rühmkorf" darstellt. Als Lektor von Rowohlt versuchte Rühmkorf Ende der 50er Jahre, im eigenen Verlag für eine "Schmidt-Hausse" zu sorgen. Als dies nicht gelang, vermittelte er Schmidts Texte an die Zeitschrift "konkret".

Dafür gibt es jetzt eine Rühmkorf-Hausse im Hause Rowohlt. "Gar nicht schlecht, Herr Specht", möchte man ausrufen, wenn man seine opulenten "Postalien und Versendungsvermerke" in Händen hält. "Die Barbara aus Wislawa", schreibt Rühmkorf im August 1955 an Werner Riegel, "die gönnt mir keine Ruh, / sie zeigt mir halb Warszawa / und dann noch was dazu". Der Dichter scheut sich nicht, auch einmal deutlicher zu werden - und malt uns die Möse der Souffleuse ("Verfluchtes Sommerloch"). Rühmkorf aquarelliert und kalligrafiert auf hoteleigenes Briefpapier, schnell, dynamisch und mit deutlich mehr Ausdruck als sein Kollege Grass: "Jinterchen und Peterchen / sich doch jut verstehterchen / Fast wie Arsch und Hinterchen / Peterchen jrießt Jinterchen". Rühmkorf schreibt Texte zu Bildern oder malt Bilder zu Texten, tütet das ganze ein oder verschickt selbstgestaltete Postkarten. Man sieht, wie die Postwertzeichen teurer werden - und wie die Selbstportraits reifen. Ihm gelingt sogar der Pegasus mit Rühmkorf-Physiognomie.

Dichter, Jazz-Musiker, Maler und komischer Zeichner - der Mann ist vielfach begabt und hat ein Auge. Horst Janssen ist mit Gewißheit eines seiner Vorbilder. In einer Fotografie Alfred Döblins erblickt er den jungen Klaus Staeck, und die Ähnlichkeit ist in der Tat verblüffend. Rühmkorf versteht es zudem, seine spöttisch-scharfe Zeichnerei - wie einst E. T. A. Hoffmann - mit politischer Satire zu verbinden. Beneidenswert der Adressat, der den ultimativen Kommentar zur Friedenspreisrede Martin Walsers zugeschickt bekommt: "Kinder, spricht der Onkel Walser, / Preisbörsianer, Allumhalser, / unser einst zu schmales Land / ist jetzt ein normales Land, / wo man wieder schreibt und sagt / was uns an uns selbst behagt. / Schaut euch um, doch nicht zurück: / Ravensburg statt Ravensbrück; / Meßkirch, auch sehr hübsch gelegen, / traulicher als Esterwegen. / Dachau? Flossenbürg? Ah, geh! / Bodensee - nicht Plötzensee. / Und so weiter dergestalt, / dass sich jeder ohne Reue / unserer Nazion erfreue: / Westerwald! - statt Buchenwald."

geschrieben von CH. Beck/Lutz Hagestedt


Verjuxt, veralbert und ins Komische gewendet


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pilli

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angelottchen
angelottchen
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Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf longtime vom 10.06.2008, 11:06:28
..zu schade, gegen ihn war Henry Miller oft ein Waisenknabe ... was er da in seinem letzten Buch "Paradiesvogelschiß" als schon angeschlagener , alter Mann noch für pralle Verse schrieb ... grossartig ...

Aus einer NDR-Buchbesprechung:
Eine Ballade vorweg, fünfunddreissig Gedichte hintendran und in der Mitte achtzig Seiten Einzeiler, Zweizeiler, Dreizeiler, Vierzeiler aus der Werkstatt: Verse, vollkommen unvollkommen. "Und es knattern wie eh die Poengten", das ist Peter Rühmkorfs beste Zeile. "Was irgendwo gedichtet wird und nirgendwo gelesen", das ist Peter Rühmkorf resigniert (oder realistisch?). "Alter, kleb die Zähne fest, und dann wird losgebissen", das ist Rühmkorf-Ironie pur.


Ironie hat diesem Paradiesvogel unter den deutschen Poeten immer geholfen, jetzt erst recht... seine eigene Zustandsbeschreibung: "Morgens auch nicht gerade auferstanden." -

"Paradiesvogelschiß":
In diesem Gedichtband bei Rowohlt ist Peter Rühmkorf melancholisch (das war er immer), lästerlich-komisch (auch das ist nicht neu), voller Einfälle (ohne sie ging es nie) und ohne Selbstmitleid (da hilft die Ironie, siehe oben). "Paradiesvogelschiß" ist ein hinreißendes Buch und quicklebendig, auch solcher Verse wegen: „Vielleicht sich einfach noch mal durch ein paar Meter / Bücher hindurchlesen / und dabei hoffen, / dass du auf der andern Seite mit Engelsflügeln / wieder hervortrittst."

Welch herrliche Vorstellung, wie er und sein alter Kumpane Horst Janssen sich da irgendwo im Jenseits treffen, weiter saufen und herumschweineigeln ... sinnieren und lästern ..

sein Grabesspruch aus o.g. Buch:

Schaut nicht so bedeppert in diese Grube.
Nur immer rein in die gute Stube
Paar Schaufeln Erde und wir haben
ein Jammertal hinter uns zugegraben.


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angelottchen
cecile
cecile
Mitglied

Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von cecile
als Antwort auf angelottchen vom 10.06.2008, 14:01:17
Ein kleines, nachdenkliches Gedicht von Peter Rühmkorff, das ich sehr mag:


Auf was nur einmal ist
Für Heinrich Maria Ledig-Rowohlt

Manchmal fragt man sich: ist das das Leben?
Manchmal weiß man nicht; ist dies das Wesen?
Wenn du aufwachst, ist die Klappe zu.Nichts eratmet, alles angelesen,
siehste, das bist du.

Und du denkst vielleicht: ich gehe unter,
bodenlos und fürchterlich -:
Einer aus dem großen Graupelhaufen
nur um einen kleinen Flicken bunter,
siehe, das bin ich.

Aber dann, aufeinmalso, beim Schlendern,
lockert sich die Dichtung, bricht die Schale,
fliegen Funken zwischen Hut und Schuh:
Dieser ganz bestimmt Schlenker aus der Richtung,
dieser Stich ins Unnormale,
was nur einmal ist und auch nicht umzuändern:
siehe, das bist du.


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cecile
longtime
longtime
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Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von longtime
als Antwort auf cecile vom 11.06.2008, 01:22:18
Ein Nachruf von Durs Grünbein:

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longtime
miriam
miriam
Mitglied

Re: Peter Rühmkorf +
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 12.06.2008, 10:07:38
Hochseil

Wir turnen in höchsten Höhen herum,
selbstredend und selbstreimend,
von einem Individuum
aus nichts als Worten träumend.

Was uns bewegt - warum? wozu? -
den Teppich zu verlassen?
Ein nie erforschtes Who-is-who
im Sturzflug zu erfassen.

Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes, Verirrtes.
Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.

Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier,
vierfüßig - vierzigzehig -
Ganz unten am Boden gelten wir
für nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Die Loreley entblößt ihr Haar
am umgekippten Rheine...
Ich schwebe graziös in Lebensgefahr
grad zwischen Freund Hein und Freund Heine.

Peter Rühmkorf

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miriam

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