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Literatur Priester und Un-Priester

longtime
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Priester und Un-Priester
geschrieben von longtime
Geistliche, Priester - Kapläne, Priore, Bischöfe – Renegaten, Laisierte, des Amtes Enthobene, Davongejagte, Karikaturen von Seelenhirten - aber nicht nur Jammergestalten oder Dogmatiker oder weltabgewandte Existenzen!

Ich habe einige, fast nur evangelisch-protestantische Priestergestalten in literarischen Kontexten gefunden, die ich für interessante, geistige und geistliche Figuren halte.

Wer Beispiel für ähnliche oder ganz andere, kirchliche Geistesfiguren beitragen kann, ist herzlich eingeladen, da wir hier im ST immer wieder interessante Themen-, Motivs- oder Figurensammlungen erreicht haben.

An theoeretisch, religiös dramatischer Theorie liegt mit bei diesem Anliegen nicht viel.


Ich setze eine Einleitung von Heinrich Heine voran – und werde in einigen Beiträgen etliche Priesterfiguren als Rätselfragen anbieten, die ich auch in ihrem Romanzusammenhang würdigen möchte (zumeist deutsche Literatur):

H. H.:
„(…) Unter den protestantischen Geistlichen finden wir nicht selten die tugendhaftesten Menschen, Menschen vor denen selbst die alten Stoiker Respekt hätten. Man muß zu Fuß, als armer Student, durch Norddeutschland wandern, um zu erfahren, wie viel Tugend, und damit ich der Tugend ein schönes Beiwort gebe, wie viel evangelische Tugend, manchmal in so einer scheinlosen Pfarrerwohnung zu finden ist. Wie oft, des Winterabends, fand ich da eine gastfreie Aufnahme, ich ein Fremder, der keine andere Empfehlung mitbrachte, außer daß ich Hunger hatte und müde war. Wenn ich dann gut gegessen und gut geschlafen hatte, und des Morgens weiter ziehen wollte, kam der alte Pastor im Schlafrock und gab mir noch den Segen auf den Weg, welches mir nie Unglück gebracht hat; und die gutmütig geschwätzige Frau Pastorin steckte mir einige Butterbröde in die Tasche, welche mich nicht minder erquickten; und in schweigender Ferne standen die schönen Predigertöchter mit ihren errötenden Wangen und Veilchenaugen, deren schüchternes Feuer, noch in der Erinnerung, für den ganzen Wintertag mein Herz erwärmte.“

Aus: Heinrich Heine: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. - Erstes Buch (1,3)

*
Pastor im Text 1:

Hier geht es um einen Baron und seinen befreundeten Pfarrer, kurz der 1900er Jahreswende in einem Roman:

Diese Lieblingsgestalt des alten Romanciers ist der hochbetagte Baron - ein Mann von unbeirrbar realistischem Sinn für das Wirkliche und für das Wahre und das Politische, erfüllt von lebensnaher, ein wenig spöttischer Weisheit - wie der Dichter selber.

Als der Landadelige sich auf den Tod vorbereitet, weil er sein Ende nahen fühlt, empfängt er nur noch einen Menschen, einen Pastor, „seinen" Pfarrer, den einzige, mit dem er sich unterhalten mag.
Der Baron wundert sich: „Anfangs habe ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte, ja so ein Talar- und Bäffchenmann, der muss das doch schließlich wissen. Der hat doch sein drei Jahre studiert, und eine Probepredigt gehalten; und ein Konsistorialrat, oder gar ein Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet, und ihm und noch ein paar anderen gesagt: ‚Nun gehet hin und lehret alle Heiden!’“

„Sonderbar", sinniert der alte weise, philosophisch-kauzige Baron: „dieser (Mann) ist eigentlich gar kein richtiger Pastor. Er spricht nicht von Erlösung und auch nicht von der Unsterblichkeit, und ist beinah, als ob ihm so was für alltags wie zu schade sei...".

Damit hat der Baron einen äußerst sympathischen Wesenszug dieses Pfarrers getroffen: seine Zurückhaltung, seine Vertrautheit, seine freundschacftliche Nähe.
Nie sagt er ein Wort, das zu herrschaftlich, zu groß wäre. In dem wenigen aber, das er vorbringt, lebt er ganz und offenbar.

Der kranke Baron macht sich Sorgen um den Lebensweg seines Sohnes. Aber der Pastor, der ihn erzogen hat, beruhigt und tröstet den Vater.
„Er legte seine Hand auf die Hand [des alten Vaters] und streichelte sie, wie wenn er des Alten Sohn gewesen wäre."

Kein anderer Mensch dürfte das wagen. (...)

**

Wer ist der Autor des Textes; wer der Baron; wer der Pastor?

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longtime
miriam
miriam
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Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 09.11.2009, 11:46:41
Schönes Thema - Longtime!

Es Handelt sich hier um Theodor Fontanes "Der Stechlin" - der Baron heißt Dubslav von Stechlin - einen solchen Namen vergisst man ja nicht!
Der Name des Pastors ist Lorenzen - aber dafür musste ich nachblättern.

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miriam
longtime
longtime
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Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von longtime
als Antwort auf miriam vom 09.11.2009, 12:18:40
Treu und wahr gesprochen, miriam!

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Vielleicht noch einige Sätze, zwischen Baron und Pastor gesprochen:

Also noch einige Sätze…?

Lorenzen lächelte.
»Herr von Stechlin, Ihre Seele macht mir, trotz dieser meiner Vernachlässigung, keine Sorge, denn sie zählt zu denen, die jeder Spezialempfehlung entbehren können. Lassen Sie mich sehr menschlich, ja für einen Pfarrer beinah lästerlich sprechen. Aber ich muß es. Ich lebe nämlich der Überzeugung, der liebe Gott, wenn es mal soweit ist, freut sich, Sie wiederzusehen. Ich sage, wenn es soweit ist. Aber es ist noch nicht soweit.«
»Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben. Jedenfalls aber befind ich mich in meinem derzeitig erträglichen Zustande nur mit Hilfe der Buschen, und ob mich das nach obenhin besonders empfehlen kann, ist mir zweifelhaft. Aber lassen wir die heikle Frage. Erzählen Sie mir lieber etwas recht Hübsches und Heiteres, auch wenn es nebenher etwas ganz Altes ist, etwa das, was man früher Miszellen nannte. Das ist mir immer das liebste gewesen und ist es noch. Was ich da so in den Zeitungen lese, voran das Politische, das weiß ich schon immer alles, und was ich von Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig – natürlich nur vom alleregoistischsten Zeitungsleserstandpunkt aus – ein wahres Glück, daß es Unglücksfälle gibt, sonst hätte man von der Zeitungslektüre so gut wie gar nichts. Aber Sie, Sie lesen auch sonst noch allerlei, mitunter sogar Gutes (freilich nur selten), und haben ein wundervolles Gedächtnis für Räubergeschichten und Anekdoten aus allen fünf Weltteilen. Außerdem sind Sie Fridericus-Rex-Mann, was ich Ihnen eigentlich am höchsten anrechne, denn die Fridericus-Rex-Leute, die haben alle Herz und Verstand auf dem rechten Fleck. Also suchen Sie nach irgendwas der Art, nach einer alten Zieten- oder Blücheranekdote, kann meinetwegen auch Wrangel sein – ich bin dankbar für alles. Je schlechter es einem geht, je schöner kommt einem so was kavalleristisch Frisches und Übermütiges vor. Ich spiele mich persönlich nicht auf Heldentum aus, Renommieren ist ein elendes Handwerk; aber das darf ich sagen: ich liebe das Heldische. Und Gott sei Dank kommt dergleichen immer noch vor.«
»Gewiß kommt so was immer noch vor. Aber, Herr von Stechlin, all dies Heldische...«
»Nun aber, Lorenzen, Sie werden doch nicht gegen das Heldische sein? Soweit sind Sie doch noch nicht! Und wenn es wäre, da würd ich ernstlich böse.«
»Das läßt Ihre Güte nicht zu.«

»Sie wollen mich einfangen. Aber diesmal glückt es nicht. Was haben Sie gegen das Heldische?«
»Nichts, Herr von Stechlin, gar nichts. Im Gegenteil. Heldentum ist gut und groß. Und unter Umständen ist es das Allergrößte. Lasse mir also den Heroenkultus durchaus gefallen, das heißt, den echten und rechten. Aber was Sie da von mir hören wollen, das ist, Verzeihung für das Wort, ein Heldentum zweiter Güte. Mein Heldentum – soll heißen, was ich für Heldentum halte –, das ist nicht auf dem Schlachtfelde zu Hause, das hat keine Zeugen oder doch immer nur solche, die mit zugrunde gehn. Alles vollzieht sich stumm, einsam, weltabgewandt. Wenigstens als Regel. Aber freilich, wenn die Welt dann ausnahmsweise davon hört, dann horch ich mit auf, und mit gespitzterem Ohr, wie ein Kavalleriepferd, das die Trompete hört.«
»Gut. Meinetwegen.

*

Wenn jemand ein weiteres Beispiel bringt - stelle ich morgen erst einen neuen Text ein.

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longtime

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miriam
miriam
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von miriam
als Antwort auf longtime vom 09.11.2009, 12:33:48
Ich versuche es mal – auch wenn in meinem Beispiel eigentlich die Priester keine zentrale Rolle spielen, sondern Teil des Gesamtbildes eines Winzerdorfes sind. Dieses ist zwar sprichwörtlich geworden, befindet sich aber nicht in Deutschland.

Ein Teil der Handlung spielt sich um einen Pissoir ab – einer der Höhepunkte des Romans ist (wenn ich mich richtig entsinne), die Einweihung dieses sehr kontrovers diskutiertem Bauwerks.

Die Priester die hier vorkommen, sind alles andere als enthaltsam, so wie es der katholische Glaube von ihnen verlangt. Also machen sie oft von der sehr humanen Möglichkeit der Beichte gebrauch, was sie von Zeit zu Zeit eine Reise ins Nachbardorf kostet, zum dortigen Priester.

Als dies aber zu mühselig wird, werden Beichte und Absolution gegenseitig schriftlich erledigt.

Leider hat mir jemand das Buch geklaut – pardon, vergessen zurückzugeben - anders hätte ich auch einen Auszug hier eingesetzt.

Der Roman, geschrieben in den 20. Jahren des vorigen Jahrhunderts ist aber so bekannt, dass man ihn eigentlich hier leicht erraten kann.
Und wer ihn zufällig nicht kennt, für demjenigen ist es eine gute Buchempfehlung.



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miriam
Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf miriam vom 09.11.2009, 13:10:25
Das kann eigentlich nur das da unten sein (s. Link)
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marina
Medea
Medea
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von Medea
als Antwort auf miriam vom 09.11.2009, 13:10:25
Tippe wie Marina auf Clochemerle - gelesen vor mehr als 30 Jahren ......

Die Jungfrauen des Ortes, zur Ausbildung im Kloster, wurden immer schnell von den begleitenden Nonnen an diesem "Ärgernis" im Laufschritt vorbeigeführt.
- gg -

Medea

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miriam
miriam
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von miriam
als Antwort auf Medea vom 09.11.2009, 13:52:46
Marina und Medea - Ihr habt die richtige Antwort gegeben!

Ein wunderbares Buch - welches wahrscheinlich auch nicht in Vergessenheit geraten wird.

Wer erinnert an den nächsten Priester bzw. Geistlichen?

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miriam
enigma
enigma
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von enigma
als Antwort auf miriam vom 09.11.2009, 13:59:14
Da habt Ihr ja toll geraten.

Ja, dann mache ich auch mal mit und stelle etwas ein.

Mir gefällt ein Gedicht von jemandem, der im 20. Jahrhundert lebte und drei Berufe hatte, u.a. den eines Priesters.

Hier der Text:

„Die Reinheit des Leibes
die Reinheit der Hände des Herrn Vorsitzenden
die Reinheit der Idee
die Reinheit des Schnees der vor Kälte weint
des Wassers das nackt herumläuft
die Reinheit dessen was am einfachsten ist
das alles ist für die Katz
ohne Liebe“


Der Text ist vielleicht nicht zu ergooglen, aber genau weiß ich es nicht.
Wenn nicht, wird schon jemand draufkommen, vermute ich ganz stark.

Gruß


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enigma
longtime
longtime
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von longtime
als Antwort auf enigma vom 09.11.2009, 15:42:28
Nein, diese gedichtete Reinheitsorgie ist nicht die gesuchte.

Ich setze sie nur hierher; um zu zeigen, dass man keinen Text bestimmen hat, wenn man nicht die nötigsten Angaben zu Autor, Entstehungszeit, Personen und Umständen (Milieu, Kontext, Handlungsenwicklung ...) angezeigt bekommt.

„Es war ihr so, als wäre sie von allen Fesseln befreit, als hätte sie ein Wundbett verlassen, auf dem sie nur mit knapper Not dem Tode entronnen.
An eine Rückwand der Kajüte gelehnt, schien sie mit offenen Augen zu schlafen. Ihre immer noch erregten Sinne gingen ins Uferlose hinein. Erst allmählich brachte sie sie wieder auf die richtige Fährte. Sie holte sie ein und hielt die große Heerschau über die letzten Tage und Stunden. Sie dachte sachlicher, abgeklärter darüber. Sie freute sich ihres Rettungswerkes und ihrer hilfreichen Werktätigkeit. Jedenfalls, sie hatte nicht vergebens gelebt, sondern war vollauf berechtigt, für ein Quentchen Abwegigkeit ein großes und edles Gegengewicht in die Schale zu werfen. Aber die Erregung des Blutes hielt an. Sie sah und hörte noch immer. Alle Ereignisse traten ihr lebhaft vor Augen. Sie vernahm verworrene Stimmen, die die Ewigkeit aufsuchten, das Schäumen und Schüttern des Wassers, das Gurgeln aus der Tiefe heraus, das Bellen unter den verlorenen Planken, das Stammeln und Beten auf den umbrandeten Bänken: »Herr, du mein Jesus, erbarme dich unser!« Sie sah das graue Phantom des eilig dahinziehenden verlorenen Kahnes, dessen Bordwände sich immer tiefer neigten, sich immer unaufhaltsamer ins Bodenlose versenkten. Und Opfer bei Opfer.
Nur wenige verstanden es noch, sich über Wasser zu halten. »Herr, erbarme dich unser!« Nur einer stand aufrecht – mit fliegendem Haar, in schwarzer Soutane – ein Priester, das Kruzifix in den Händen, ein Gottesstreiter, ein Kapitän seines Herrn und Erlösers – und dieser Priester war Klemens.
»War Klemens,« stammelte sie dumpf vor sich hin, »und sein Bruder heißt Reiner ... und dieser Reiner hat mich vor Gott und den Menschen ...«
Sie riß sich zusammen. Jeden Fetzen des stolzen Niederrheins raffte sie auf, umkleidete damit ihren reinen Körper, ihre keusche Seele, so daß jedermann sah: sie war wieder Jakobine Hemskerk geworden.
Und Jakobine warf sich zurück in ihrer ganzen jungfräulichen Herbe und Schönheit. Nichts haftete ihr mehr an: keine Zweifel, keine Bedenken, keine Wehleidigkeiten. Sie hatte nur sich und ihr eigenes Leben zu leben.
Das einfallende Spätsommerlicht machte sie heiter. Die Arbeit wartete auf sie, der Dienst, die strenge Zucht und Ordnung, die über und unter den geteerten Bohlen regierten.
Sie hörte auf das Plaudern des Kielwassers, das friedlicher aus der Tiefe heraufgurgelte, auf das Knattern der Topps, das nicht mehr so herrisch und bösartig die Lüfte durchsetzte.
Noch einmal kam es ihr starr von den Lippen: »Und dieser Priester, dieser Gottesstreiter und Kapitän seines Herrn und Erlösers war Klemens ... und sein Bruder heißt Reiner ... und dieser Reiner hat mich vor Gott und den Menschen ...«
Mit einem harten Schrei brach sie ab.
Gleich darauf sagte sie wieder in inniger Weise: »Mögen die Gnaden und Barmherzigkeiten des Herrn bei ihm sein und ihm seine Tage zu gesegneten machen.«
*

Ich stelle diesen edlen Priester hier nicht zur Suche und Idetifikation aus!
(Obwohl er in der unmittelbaren Umgebung meiner Heimat auftritt – und der Autor dort eine triviale, vom Kaiser Wilhelm Zwo geschätzte Spezialiät war, die von ihm sogar geadelt wurde.)


Diesen Spaß konnte ich mir nicht verkneifen! - Grins!

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longtime
enigma
enigma
Mitglied

Re: Priester und Un-Priester
geschrieben von enigma
als Antwort auf longtime vom 09.11.2009, 18:20:05
Wir haben in den Klassischen Foren öfter über den, den ich gesucht habe, gesprochen und auch Gedichte von ihm kennengelernt.

Du, Longtime, kennst ihn ganz sicher, denn Du hast auch schon etwas von ihm eingestellt.

Aber wenn ich noch gesagt hätte, dass er Religionspädagoge, Katholischer Priester, Lyriker und Pole ist, dann wäre sofort alles klar gewesen.

Aber jetzt ist es eh egal - und so kann ich dann nur noch sagen, dass es Jan Twardowski ist, von dem ich einfach dachte, dass ihr ihn an dem eingestellten Gedicht erkennen würdet.


--
enigma

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