Literatur Schöne Lyrik

qilin
qilin
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von qilin


Ein Traum vom Bergsteigen
von Pai Jü-I (772 - 846)

Nachts hab' ich im Traum kühn einen Berg bestiegen,
Allein ging ich los mit meinem Stock aus Stechpalmenholz.
Von tausend Klippen, hundertmal hundert Tälern
Blieb in meiner Traumreise keines unerforscht,
Und die ganze Zeit wurden mir die Füße nicht müde
Und mein Schritt war stark wie in meiner Jugendzeit.
Kann es sein dass, wenn der Geist zurückreist,
Auch der Leib zu seinem alten Zustand zurückkehrt?
Und kann es sein, so zwischen Leib und Seele,
Dass der Leib ermattet, während der Geist stark bleibt?
Geist und Körper - beides sind leere Begriffe;
Träumen und Wachen - beide gleich unwirklich.
Am Tage sind meine Füße lahm und wackelig;
In der Nacht überschreiten meine Schritte die Berge.
Da Tag und Nacht gleichmäßig verteilt sind,
Erhalte ich in beiden gleich viel wie ich verliere.

 

Achill
Achill
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Achill
als Antwort auf Sirona vom 17.08.2017, 10:08:03

Ich kann dieser glatten, harmonischen, honorigen, lieblichen Lyrik nichts abgewinnen. Abgesehen natürlich von Tucholsky (kommt hier auch gar nicht vor) Ringelnatz und Busch. Die Täler

weit und Höhen, die Parks, Gärten und beschaulichen Schlösser, singende
Wandergesellen am Berge, die Lerchen im Himmel und Vöglein im Walde verklingen wenn man Mitte 19.Jh. nach Frankreich kommt.  Die Blumen des Bösen ja und auch zuvor Verlaine und Rimbaud. Baudelaire ist Naturalist und seine Blumen verwelken.
Kann mir jemand sagen welche Bedeutung zum Beispiel Verlaines Gedicht über den Herbst im 2. Weltkrieg hatte? Ohne im Internet nachzuschlagen?
Chanson d'Automne
Les sanglots longs des violons
de l'automne
Blessent mon coeur
D'une langueur monotone

Tout suffocant et blême
quand sonne l'heure
je me souviens des jours anciens
Et je pleure

Et je m'en vais
au vent mauvais
Qui m'emporte
Deçà delà pareil
À la feuille morte

Diese Lyrik hat einen unvergleichlichen Rhythmus und auch Geschichte geschrieben Baudelaire hat mit seinen Fleurs du Mal das Maß moderner Lyrik in ganz Europa gesetzt.

Die wenigen Gedichte von Voltaire waren politische Satyre. Er landete genau so in der Bastille wie auch Baudelaire, der seine Fleurs du Mal auf höchst richterlichen Befehl  kürzen musste. 
 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Achill vom 17.08.2017, 19:17:01

Gefällt mir gut Achill,ertwas melancholisch zwar!emoji_ok_hand

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Voller Vertrauen

Fallen gelassen
aus dem siebten Himmel
und dann
liegen gelassen

lange Jahre,
die quälenden Frage:
wem kann ich noch vertrauen
wenn es falsch war, dir zu vertrauen?

Doch wie lebenswert
ist das Leben
wie kann ich lieben
ohne Vertrauen?

Nun,ich lebe und liebe wieder
zwar ohne Glauben
an die Unfehlbarkeit
meiner Lieben,

doch..voller Vertrauen
in meine Fähigkeit zu leiden
und, wenn alle Stricke reissen
in meine Sterblichkeit.-


Jobst Quis, Essayist+ Aphoristiker / *1953




 


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Achill
Achill
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Achill
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.08.2017, 12:50:35

Halt Dich nicht am Inhalt fest und den vielleicht mitschwingenden "melancholischen" Untertönen. Als Hauptvertreter des literarischen Symbolismus war für Verlaine die Musikalität seiner Verse wichtiger als der Inhalt.  Also: Violons, sanglots, automne, langueur etc. sind onomatopoetische Ausdrucksmittel. Es ist schwer und eigentlich unmöglich diese Ausdrucksmittel in der deutschen Übersetzung beizubehalten. Es ist der Parnasse, der hier regiert und nicht der Realismus.

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Achill vom 18.08.2017, 13:44:23

Der Knoten                    -          Wilhelm Busch


Als ich in den Jugendtagen
noch ohne Grübelei,
da meint ich mit Behahagen
Mein Denken wäre frei

Seitdem hab ich die Stirne
oft auf die Hand gestützt
und fand, dass im Gehirne
ein harter Knoten sitzt

Mein Stolz der wurde kleiner
ich merkte mit Verdruss:
Es kann doch unsereiner
nur Denken was er muss.-

Achill
Achill
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Achill
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.08.2017, 09:58:59

Sagt ich doch: Busch ja natürlich auch Ringelnatz.


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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Achill vom 19.08.2017, 10:17:50

 Nun mal...weder Ringelnatz noch Busch,aber könnten es fast gar seinemoji_astonished


 (von einem ein Pseudonym..." Lola Sophia"...gefällt mir auch.)

Wissen

An meinem Wesen wird genesen,
wer umkehrt und hört auf zu lesen.
Wissenswertes aus der Welt
just, für Entertainement.

Werdet leer und tut vergessen
was man euch hat eingetrichtert.
Wo Wissen ist,kann Weisheit nicht sein,
wo Weisheit ist,kommt kein Wissen hinein...

So aus dem OFF...der Meister spricht, aus seiner ungeteilten Sicht.-

 

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona




Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.
 
Aus ihnen kommt mir Wissen, dass ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.

Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.
 
(R.M. Rilke 1875-1926)


Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

Milan
Milan
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Milan
als Antwort auf Sirona vom 20.08.2017, 17:37:10

  1. Das Seifenlied
    Wir ha­ben uns­re Brüder
    mit Wahl­kampf­sei­fe be­dacht.
    Das tun wir das nächs­te Mal wie­der,
    Es hat sich be­zahlt ge­macht.
    Wir schla­gen Schaum.
    Wir sei­fen ein.
    Wir wa­schen uns­re Hände
    Wie­der rein.
    Wir ha­ben ihn ge­bil­ligt
    den großen hei­li­gen Krieg.
    Wir ha­ben Kre­di­te be­wil­ligt,
    weil un­ser Ge­wis­sen schwieg.
    Wir schla­gen Schaum …
    Dann fiel‘n wir auf die Bei­ne
    und wur­den schwarz-rot-gold.
    Die Re­vo­lu­ti­on kam al­lei­ne;
    wir ha­ben sie nicht ge­wollt.
    Wir schla­gen Schaum …
    Wir ha­ben die Re­vol­te zer­tre­ten
    und Ruhe war wie­der im Land.
    Das Blut von den ro­ten Pro­le­ten,
    das klebt noch an uns­rer Hand.
    Wir schla­gen Schaum …
    Wir ha­ben uns­re Brüder
    mit Wahl­kampf­sei­fe be­dacht.
    Das tun wir das nächs­te Mal wie­der;
    es hat sich be­zahlt ge­macht.
    Wir schla­gen Schaum …

    Text: Ju­li­an Arendt

    Quelle: KAZ
     


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