Literatur Schöne Lyrik

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Was euch nicht  angehört,
müsset ihr meiden.
Was euch das Innre stört,
dürft ihr nicht leiden.
Dringt es gewaltig ein,
müssen wir tüchtig sein.
Liebe  nur Liebende
führet herein.

Johann Wolfgang von Goethe

Faust II, V. Akt
Chor der Engel

Clematis
hat sich mal wieder erinnert...

 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna





Dies ist ein Herbsttag ...



Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was von dem milden Strahl der Sonne fällt.

(Christian Friedrich Hebbel, 1813-1863)
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona



Über die Heide 
(Th. Storm 1817 – 1888)

Über die Heide hallet mein Schritt;
dumpf aus der Erde wandert es mit.
Herbst ist gekommen, Frühling ist weit -
gab es denn einmal selige Zeit?

Brauende Nebel geisten umher;
schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.
Wär ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe - wie flog es vorbei!



 

Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona



Spätsommer
Regine Merkle (1875 – 1904)
 
Nun schimmern in reiferen Tönen
die Farben in Wäldern und Feld,
es geht wie ein heimliches Sehnen
nach Ruhe durch die Welt.
 
Zwar herrscht noch geschäftiges Leben
in Fluren und auf der Heid;
doch fühl ich’s mit innerem Beben
vorbei ist des Sommers Freud!
 
Dort drüben am Waldessaume,
da glühen Brombeeren schwarzbraun
und manches Blättlein vom Baume
fliegt herbstlich über den Zaun.

 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


 
So und nicht anders


Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
eigen war mein Weg und Ziel.

Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
andre sind reich, ich bin arm.

Andre regierten (regieren noch),
ich stand unten und ging durchs Joch.

Entsagen und lächeln bei Demütigungen,
das ist die Kunst, die mir gelungen.

Und doch, wär’s in die Wahl mir gegeben,
ich führte noch einmal dasselbe Leben.

Und sollt’ ich noch einmal die Tage beginnen,
ich würde denselben Faden spinnen.
 
Theodor Fontane (1819 - 1898)
 
Heute vor 119 Jahren ist Theodor Fontane verstorben
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Danke Roxanna für die Erinnerung an den Lieben Theodor Fontane!


Mein liebes Gärtchen

Der Sommer hat alle Welt beglückt
und jedem eine Freude gemacht.
Er hat mein liebes Gärtchen geschmückt,
noch schöner als ich je gedacht.
Mein liebes Gärtchen hinter'm Haus
wo ich so  gern geh' ein und aus.
Wie alles drin von Blumen prangt!
Wie alles drin von Früchten hangt!
Erdbeeren lächeln aus drunklem Grün
und daneben Rosen und Lilien blühn.

Doch hat uns auch keine Mühe verdrossen:
wir haben gesät, gepflanzt und begossen,
und fleissig gejätet mit eigener Hand
und die Wege bestreut mit frischem Sand.

Du liebes Gärtchen, für alle die Mühn
da lässest du deine Blumen blühn
und süße Früchte reichst du uns auch
von manchem Baum und manchem Strauch.
Für all das Lieb' und Gut' empfang'
nun unsern Dank in Sang und Klang!

A. H. Hoffmann von Fallersleben
1798-1874

Clematis


 


Anzeige

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona

Am Mühlteich
(Regine Merkle 1875 – 1903)
 
Am Mühlteich steh ich sinnend
und schau dem Rade zu,
wie sich's beständig drehte
gleichmäßig ohne Ruh!

Die Wassertropfen sprühen
vom Rade in die Höh,
sie stürzen wieder nieder
und fallen in den See.

So wie das Rad der Mühle 
geht auch das Rad der Zeit:
Auch es steht niemals stille,
nicht morgen und nicht heut!

Die Tropfen, die zerstäuben,
sie sind sich alle gleich,
und doch sind's wieder andre,
die fallen in den Teich.

So kommen auch die Menschen,
stets andre kommen her,
versinken wie die Tropfen
zurück ins ewige Meer.

Die gleichen Leidenschaften,
die gleiche Tugend sehn
wir auch an den Geschlechtern,
die kommen und vergehn.
 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


Herbsttag


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.


Rainer Maria Rilke

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Das ist ein reicher Segen
in Gärten und an Wegen!
Die Bäume brechen fast.
Wie voll doch Alles hanget!
Wie lieblich schwebt und pranget
der Äpfel goldne Last!

Jetzt auf den Baum gestiegen!
Lasst uns die Zweige biegen,
dass jedes pflücken kann!
Wie hoch die Äpfel hangen,
wir holen sie mit Stangen
und Haken all' heran.

Und ist das Werk vollendet,
so wird auch uns gespendet
ein Lohn für unsern Fleiß.
Dann zieh'n wir fort und bringen
die Äpfel heim und singen
dem Herbste Lob und Preis.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
1798-1874

Clematis


 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna


Die Wasser tragen alles:
Leg' nur dein Glück darauf!
Sie heben's wie auf Händen
Zum Sternenlicht hinauf.

Die Wasser tragen alles:
Leg' auch dein Leid darauf!
Sie tragen's nach dem Meere
In nimmermüdem Lauf.



Karl Ernst Knodt

Anzeige