Literatur Schöne Lyrik

Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf longtime vom 01.01.2019, 12:28:32
Blick auf die Seebrücke.JPG
Am Meere
 
Nun nimm mich wieder an deine Brust,
mein altes, geliebtes Meer!
Noch rollst du in Mut und Jugendluft,
wie da ich dich ließ, einher.
 
Mir tönt′s aus der brandenden Wogen Schwall
entgegen wie Freundeslaut;
als liebe Gespielen begrüß′ich sie all,
die ich seit lang nicht geschaut.
 
Ich stürze hinein in die schäumende Flut;
mir jubelt die Seele mit ihr:
Den Knaben, der einst ihr am Busen geruht,
erkennt sie freudig in mir.
 
Und wie das Naß, gegeißelt vom Nord,
die Brust und die Stirne mir kühlt,
fühl′ich mir leise vom Herzen fort
den Rost des Lebens gespült.
 
Die Wangen umkost mir der wirbelnde Schaum,
es lacht ihn hinweg mein Mund;
bald schaukelt die Welle mich hoch auf dem Saum,
bald tauch′ich hinab in den Schlund.
 
Hinaus! Ins Allunendliche hin!
Das vermißt′ich so manches Jahr.
Ja, altes geliebtes Meer, noch bin
ich derselbe, der einst ich war. 
 
Adolf Friedrich Graf von Schack
(* 02.08.1815, † 14.04.1894)



 
longtime
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von longtime
als Antwort auf Sirona vom 06.01.2019, 10:02:26
Teich_MOLLbeck_Wieder...jpg

Günter Bruno Fuchs (3.07. 1928 - 19.04.1977):
Für ein Kind

Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.
Die Bäume werden belaubt sein.
Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen dich schmücken.

Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.
Zur Nacht läutet sein Herz übers Wasser.
Sein Boot hat goldene Planken, das trägt dich.

Die Ufer werden bewohnt sein.
Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.
Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.
*
Vor jedem Wasser, vor jedem Fluss bete ich dieses "Gebet" für einen gtuen Übergang.
longtime
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.01.2019, 11:54:00
Überfahrt in die Unterwelt (Joachim Patinir, 1515–1524, Museo del Prado, Madrid)

 

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longtime
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von longtime
als Antwort auf longtime vom 06.01.2019, 14:48:56
Mascha Kaléko: Überfahrt

Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Nur Gott. Den haben sie mit uns vertrieben.
Von all den Vielen ist nur er geblieben.
Sonst keiner, der in Treue zu uns hält.

Kein Herz, das dort am Ufer um uns weint,
Nur Wind und Meer, die leise uns beklagen.
Laß uns dies alles still zu zweien tragen,
Daß keine Träne freue unsern Feind.

Sei du im Dunkel nah. Mir wird so bang.
Ich habe Vaterland und Heim verlassen.
Es wartet so viel Weh auf fremden Gassen.
Gib du mir deine Hand. Der Weg ist lang.

Und wenn das Schiff auf fremder See zerschellt,
Wir sind einander mit dem Blut verschrieben.
Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Uns bleibt das eine nur - uns sehr zu lieben.

 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf longtime vom 06.01.2019, 14:51:37
Urheberrecht
 
Bitte beachtet das Urheberrecht! Gedichte dürfen nur von Autoren eingebracht werden deren Sterbedatum mindestens 70 Jahre zurückliegt, d.h. ab dem Jahr 1949 rückwärts.
Wegen der Nichtbeachtung hat es schon mehrfach Probleme mit den Verlagen und Angehörigen gegeben mit Androhung hoher Geldstrafen.
 
Liebe Grüße
Sirona
 


 
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Sternenhimmel_600.jpg

Wenn Du bei Nacht den Himmel anschaust 
 (Antoine de Saint-Exupéry 1900 – 1944)
 
 Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, 
als lachten alle Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne, 
weil ich auf einem von ihnen lache, 
du allein wirst Sterne haben, die lachen können.
 
Wenn du dich getröstet hast (man tröstet sich immer), 
wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.
Du wirst immer mein Freund sein, 
und deine Freunde werden erstaunt sein, 
wenn sie sehen, dass du den Himmel anblickst und lachst.


 

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Roxanna
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02120.JPG

Winter

Weg und Wiese zugedeckt,
Und der Himmel selbst verhangen,
Alle Berge sind versteckt,
Alle Weiten eingegangen.

Ist wie eine graue Nacht,
Die sich vor den Tag geschoben,
Die der Sonne glühe Pracht
Schleierdicht mit Dunst umwoben.

Oder seid ihr alle tot:
Sonne, Mond und lichte Sterne?
Ruht das wirkende Gebot,
Das euch trieb durch Näh und Ferne?

Leben, lebst du noch ringsum?
Sind verschüttet alle Wege?
Grau und eng die Welt und stumm.
Doch mein Herz schlägt seine Schläge.

Otto Julius Bierbaum 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Von der Liebe

Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.
Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,
auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.
Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,
auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann
wie der Nordwind den Garten verwüstet.

Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.
So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.
So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen
und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,
steigt sie hinab zu deinen Wurzeln
und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.

Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.
Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.
Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.
Sie mahlt dich, bis du weiß bist.
Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;
und dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer,
damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.

All dies wird die Liebe mit dir machen,
damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst
und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.

Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,
dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken
und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.
In die Welt ohne Jahreszeiten,
wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,
und weinen, aber nicht all deine Tränen.

Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.
Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen;
Denn die Liebe genügt der Liebe.
Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,
denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.

Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.
Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen:
Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,
der seine Melodie der Nacht singt.

Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.
Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;
Und willig und freudig zu bluten.

Bei der Morgenröte
mit beflügeltem Herzen zu erwachen
und für einen weiteren Tag des Liebens Dank zu sagen;

Zur Mittagszeit zu ruhen
und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;

Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;
Und dann einzuschlafen
mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen
und einem Lobgesang auf den Lippen.



Der Dichter dieser Verse kam als Kind aus dem Libanon mit seiner Mutter und seinen Gewschistern in die USA. Er wurde "schmuddelig" genannt, weil seine Haut dunkel war und galt als "unintelligent",  weil er kaum Englisch sprechen konnte. Sein vater hatte daheim das bisschen Vernögen der Familie beim Spiel verloren und sass im Gefängnis, er war der dritte Ehemann von Gibrans Mutter, die wiedrum die Tochter eines Priesters war. Die Familie und auch Gibran gehörten der christlichen, 
Syrisch-Maronitische Kirche von Antiochien an.

Als er in diesem Land ankam, wurde er in eine Sonderklasse für Einwanderer gebracht. Aber einige seiner Lehrer sahen etwas in der Art und Weise, wie er sich durch seine Zeichnungen, durch seinen Blick auf die Welt äußerte. Er sollte seine neue Sprache schon bald sehr gut beherrschen.

Seine Mutter hatte eine schwierige Entscheidung getroffen, ihn, seine beiden jüngeren Schwestern und einen Halbbruder nach Amerika zu bringen, um ein besseres Leben für ihre Familie zu suchen. Sie siedelten sich im Bostoner Südende an, der damals zweitgrößten syrisch-libanesisch-amerikanischen Gemeinde. Die Familie würde kämpfen und der Junge würde eine Schwester und seinen Halbbruder an Tuberkulose verlieren. Seine Mutter würde an Krebs sterben.

Er würde schreiben: „Aus dem Leiden sind die stärksten Seelen hervorgegangen; Die massigsten Charaktere sind mit Narben übersät. “

Er wurde am 6. Januar 1883 im heutigen Libanon in Armut geboren.

Er glaubte an Liebe, er glaubte an Frieden und er glaubte an Verständnis.

Sein Name war Kahlil Gibran und er ist vor allem für sein Buch "Der Prophet" bekannt.
Das Buch, das 1923 veröffentlicht wurde, verkaufte Dutzende Millionen Exemplare und wurde damit nach Shakespeare und Laozi zum drittbesten Dichter aller Zeiten.

Die in 108 Sprachen auf der ganzen Welt veröffentlichten Passagen aus "The Prophet" werden auf Hochzeiten, politischen Reden und bei Begräbnissen zitiert und inspirieren einflussreiche Persönlichkeiten wie John F. Kennedy, Indira Gandhi, Elvis Presley, John Lennon und David Bowie.

Er war sehr offen und attackierte Heuchelei und Korruption. Seine Bücher wurden in Beirut verbrannt, und in Amerika erhielt er  Todesdrohungen.

Gibran war das einzige Mitglied seiner Familie, das eine schulische Ausbildung absolvierte. Seine Schwestern durften nicht zur Schule gehen, hauptsächlich wegen der Traditionen des Nahen Ostens sowie wegen finanzieller Schwierigkeiten. Gibran war jedoch inspiriert von der Stärke der Frauen in seiner Familie, insbesondere seiner Mutter. Nachdem eine Schwester, seine Mutter und sein Halbbruder gestorben waren, unterstütze ihn  seine andere Schwester, Mariana, Gibran , die beide dadurch versorgte, dass sie einer Schneiderei arbeitete.

Von seiner Mutter schrieb er:
"Das schönste Wort auf den Lippen der Menschheit ist das Wort" Mutter ", und der schönste Ruf ist der Ruf" Meine Mutter ". Es ist ein Wort voller Hoffnung und Liebe, ein süßes und freundliches Wort, das aus den Tiefen des Herzens kommt: Die Mutter ist alles - sie ist unser Trost im Kummer, unsere Hoffnung auf das Elend und unsere Stärke in der Schwäche. Sie ist die Quelle der Liebe, der Barmherzigkeit, des Mitgefühls und der Vergebung. "

Gibran setzte sich später  für die Emanzipation und Bildung von Frauen ein.

Er glaubte, dass "die Wahrung der Rechte anderer das edelste und schönste Ende eines Menschen ist."

In einem Gedicht an neue Einwanderer schrieb er: "Ich glaube, Sie können den Gründern dieser großen Nation sagen:" Hier bin ich. Eine Jugend. Ein junger Baum, dessen Wurzeln aus den Hügeln des Libanon gepflückt wurden. Aber ich bin es tief verwurzelt hier. Und ich wäre fruchtbar. '"

als Kind


 
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC01205.JPG

Alte Wege

Wenn man wieder einmal alte Wege geht,
die man einst mit einem lieben Menschen ging,
ist es, wie wenn leise Wehmut durch die Bäume weht
und ein jeder Zweig voll Tränen hing.
Wie vergoldet scheint am Weg ein jeder Stein,
stummen Blicks, wie alte Freunde, grüßt man sie.
Fremde Menschen kommen, und man neigt den Kopf zum Schein.
Ganz von fern klingt eine längst verstummte Melodie.
Eine graue Mauer schaut mit faltigem Gesicht
nachdenklich durch dunkles Efeugrün,
und es ist, als ob sie traumversonnen spricht:
"Alte Wege soll man nie alleine ziehn."

Fred Endrikat

 
Roxanna
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
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Sonnenkraft
 
Und immer wieder sinkt der Winter
und immer wieder wird es Frühling
und immer immer wieder stehst du
und freust dich an dem ersten Grün
und wenn die kleinen Veilchen blühn,
und immer wieder ist es schön
und macht es jung und macht es froh,
und ob du's tausendmal gesehn:
wenn hoch in lauen blauen Lüften
die ersten Schwalben lustig zwitschern ...
immer wieder ... jedes Jahr ...
sag, ist das nicht wunderbar?!

Diese stille Kraft der Seele:
immer neu sich aufzuringen
aus dem Banne trüber Winter,
aus dem Schatten grauer Nächte,
aus der Tiefe in die Höhe ...
sag, ist das nicht wunderbar?!
diese stille Kraft der Seele,
immer wieder
sich zur Sonne zu befrein,
immer wieder stolz zu werden,
immer wieder froh zu sein.

Cäsar Flaischlen

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