Literatur Schöne Lyrik

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

GESANG DER BAUMWOLLPFLÜCKER IN MEXIKO
Es trägt der König meine Gabe,
Der Millionär, der Präsident.
Doch ich, der lump’ge Pflücker, habe
In meiner Tasche keinen Cent.
Trab, trab, aufs Feld!
Gleich geht die Sonne auf.
Häng um den Sack,
Zieh fest den Gurt!
Hörst du die Waage kreischen?
Nur schwarze Bohnen sind mein Essen,
Statt Fleisch ist roter Pfeffer drin,
Mein Hemde hat der Busch gefressen,
Seitdem ich Baumwollpflücker bin.
Trab, trab, aufs Feld!
Gleich geht die Sonne auf.
Häng um den Sack,
Zieh fest den Gurt!
Hörst du die Waage brüllen?
Die Baumwoll‘ stehet hoch im Preise,
Ich habe keinen ganzen Schuh,
Die Hose hängt mir fetzenweise
Am Ursch, und ist auch vorn nicht zu.
Trab, trab, aufs Feld!
Gleich geht die Sonne auf.
Häng um den Sack,
Zieh fest den Gurt!
Hörst du die Waage wimmern?
Und einen Hut hab ich, ’nen alten,
Kein Hälmchen Stroh ist heil daran,
Doch diesen Hut muß ich behalten,
Weil ich ja sonst nicht pflücken kann.
Trab, trab, aufs Feld!
Gleich geht die Sonne auf.
Häng um den Sack,
Zieh fest den Gurt!
Siehst du die Waage zittern?
Ich bin verlaust, ein Vagabund,
Und das ist gut, das muß so sein,
Denn wär‘ ich nicht so ’n armer Hund,
Käm‘ keine Baumwoll‘ rein.
Im Schritt, im Schritt!
Es geht die Sonne auf.
Füll in den Sack
Die Ernte dein!
Die Waage schlag in Scherben!
 
Text: Bruno Traven

Traven hat eine bis heute nicht geklärte Biografie, fest steht, dass er aus er aus einem kleinen Ort im heutigen Polen stammt, eigentlich wohl Otto Feige hiess und ab 1924 in Mexiko lebte, wo er 1969 verstarb. Er schrieb stets sehr sozialkritisch und über die Ausbeutung durch den Kapitalismus und das elend der kleinen Leute. Seine Romane könnte man als "proletarische Abenteuerromane" bezeichnen und sie sind so abenteuerlich wie sein leben und erinnert sehr an Jack London. -

Hier ein Vertonung des Textes oben, die Musik erinnert sehr an Kurt Weil , den Sänger Ernst Busch nannte man auch den Barrikaden-Tauber.
 


 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 16.04.2019, 11:00:02
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Als ich im Gärtlein war,
nahm ich ein Blümlein wahr,
brach mir ein Röselein,
das sollt' mein eigen sein.

Das Röslein glänzt so fein
wie Gold und Edelstein,
war so fein übergüldt,
dass es mein Herz erfüllt'.

Ich nahm das Röslein fein,
schloss es ins Kämmerlein,
stellt' es an einen Ort,
dass es ja nicht verdorrt

Clemens Brentano
1778-1842

Clematis

 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.04.2019, 10:14:57
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Sterben und Auferstehn

Du Menschenkind, sieh um dich her...
Und weißt du eine Lehre,
Die größer und die tröstlicher
Für uns hienieden wäre? –

Dort, wo die Siegespalmen wehn,
Ist Sein nur, ist kein Werden,
Kein Sterben und kein Auferstehn,
Wie hier bei uns auf Erden.

Dort freun sie ewig ewig sich,
Ist ewig Licht und Friede,
Das Leben quillt dort mildiglich
Aus sich, und wird nicht müde.

Doch dieser Unterwelt ist nicht
Solch glorreich Los gegeben;
Hier ist ohn Finsternis kein Licht,
Und ohne Tod kein Leben.

Der Löwe liegt und fäult und schwellt –
Dann geht vom Fresser Speise;
Der Same in die Erde fällt
Und stirbt, – und keimt dann leise.

Und die Natur ein Spiegel ist;
Es wird darin vernommen:
Was deinem Geist du schuldig bist
Soll er zum Leben kommen.

Willst du wahrhaftig glücklich sein,
Auf festem Grunde bauen;
Mußt du den Dornenweg nicht scheu'n,
Der Rosenbahn nicht trauen.

Einst war ein großer Mann bedacht
Uns darin einzuweihen,
Und führte durch die lange Nacht
Das Volk zum Fest der Maien.

Drum spare dir viel Ungemach,
Du Menschenkind, und höre,
Und denke der Verleugnung nach,
Und jener großen Lehre.

In uns ist zweierlei Natur,
Doch ein Gesetz für beide;
Es geht durch Tod und Leiden nur
Der Weg zur wahren Freude.


Matthias Claudius

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CharlotteSusanne
CharlotteSusanne
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von CharlotteSusanne
als Antwort auf Roxanna vom 21.04.2019, 11:08:45

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Morgen einen schönen 2. Osterfeiertag
wünscht Euch allen
C.S.
aurora
aurora
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von aurora
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                    Stilles Reifen

                    Alles fügt sich und erfüllt sich,
                    musst es nur erwarten können
                    und dem Werden deines Glückes
                    Jahr und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte in die tiefen Speicher führest.

                 Christian Morgenstern

aurora wünscht einen schönen Ostermontag
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
Trudpert 007.jpg


Einkehr
 
Bei einem Wirte wundermild
Da war ich jüngst zu Gaste.
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum
Bei dem ich eingekehret
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das Beste.

Ich fand ein Bett in süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten
Der Wirt er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt ich nach der Schuldigkeit.
Da schüttelt er den Wipfel
Gesegnet sei er allezeit
von der Wurzel bis zum Gipfel.


Ludwig Uhland, der heute vor 232 Jahren in Tübingen geboren wurde
 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
kate in der heide.jpg
(Immer wieder gern gelesen)
Abseits - Th. Storm

Es ist so still; die Heide liegt
im warmen Mittagssonnenstrahle,
ein rosenroter Schimmer fliegt
um ihre alten Gräbermale;
die Kräuter blühn; der Heideduft
steigt in die blaue Sommerluft.

Laufkäfer hasten durch's Gesträuch
in ihren goldnen Panzerröckchen,
die Bienen hängen Zweig um Zweig
sich an der Edelheide Glöckchen;
die Vögel schwirren aus dem Kraut -
die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen' niedrig' Haus
steht einsam hier und sennbeschienen
der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
behaglich blinzelnd nach den Bienen;
sein Junge auf dem Stein davor
schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

Kaum zittert durch die Mittagsruh
ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten
dem Alten fällt die Wimper zu,
er träumt von seinen Honigernten - -
Kein Klang der aufgeregten Zeit
drang noch in diese Einsamkeit.


 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Trauerweide.jpg
Das ist die alte, schwermutsdüstre Weide,
die leise Träume mir zu rauschen pflegte,
wenn ich mich still in ihren Schatten legte,
müd von der Wandrung durch die erste Heide.

So mancher Ton umschwebt wohl uns Beide,
doch ob der West nur flüsternd sie bewegte,
ob laut der Sturm durch ihre Blätter fegte –
sie sang das gleiche, dunkle Lied vom Leide!

Heut fiel im Wind der Schnee von ihren Zweigen,
und, da befreiend er herniederwallte,
wagt manche Knospe schüchtern sich zu zeigen:

Und ich, o Freundin, sollte schwach verzagen,
wenn du sogar, die ein Jahrhundert alte,
des Schaffens Keime unterm Eis getragen?

Ferdinand Ernst Albert Avenarius
(1856 – 1923)


 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Zum Tode des Australischen Dichters Les Murray (1938 - 2019), der vor wenigen Tagen in seiner Heimat verstarb. Der Literaturnobelpreisträger ist in seiner Heimat geradezu ein nationalmonument und jeder, wirklich jeder, kennt einige seiner Verse.
Die Gedichte sind schwierig in der Übersetzung, da er häufug mit typischen Slangausdrücken spielt, die in anderen Sprachen wenig Sinn machen. Er unternahm aber immer wieder gerne Lesereisen nach Deutschland und ist so also auch hier in kleinem Kreise sehr beliebt.

Es passt so schön dieser kleine Vers über den Australischen Leierschwanz, zumal es von dem einige aktuelle Videos im Tierforum zu sehene gibt.

Text aus der Beschreibung einer Lesung in dem kleinen,. feinen Onlinemagazin "Signaturen-Magazin"
 
Besonders einprägsam und poetisch schien der Vortrag des Gedichts »Leierschwanz«, indem Murray die besondere Fähigkeit des genannten Tieres thematisiert, jedwedes Geräusch, das es einmal gehört hat, sogar Schreibmaschinengeräusche, zu imitieren. Mit diesem »Wundervogel« vergleicht sich das lyrische Ich im Text direkt, das die Dinge mimt und in Sprache übersetzt:
 
 
 
[…]
Geschwänzter Mime, äonengesandt, den nächsten Archivar zu betören,
maunze ich Catbird, säge ich Querschnitt, heul ich Dingoweibchen, knicke
Waldstille geprägt vom Bellbird, zwitscher Flötenvogeltreiben, verkette
Viehglocken mit Wasserkochen; ich ordne das skurrile Präsidium der Enten
oder simuliere einen Triller wie ein Rinnsal lyrisch gespiegelt zum Rand.

[…]
Mimen ist mein ganzes Ich.

(Leierschwanz)

Humorvoll fügte Murray hinzu, dass man komischerweise die Sprache nicht imitieren könne, und sagte auch, er könne die Texte des Leierschwanzes, der Schreibmaschinengeräusche imitiert, leider nicht verstehen.  

 

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Sehr schöne Lyrik:
 

Walpurgisnacht

Liebe Mutter, heut' Nacht heulte Regen und Wind.
"Ist heute der erste Mai, liebes Kind."

Liebe Mutter, es donnerte auf dem Brocken droben.
"Liebes Kind, es waren die Hexen oben."

Liebe Mutter, ich möcht keine Hexen sehn.
"Liebes Kind, es ist wohl schon oft geschehn."

Liebe Mutter, ob wohl im Dorf Hexen sind?
"Sie sind dir wohl näher, mein liebes Kind."

Liebe Mutter, worauf fliegen die Hexen zum Berg?
"Liebes Kind, auf dem Rauche von heißem Werg."

Liebe Mutter, worauf reiten die Hexen zum Spiel?
"Liebes Kind, sie reiten auf 'nem Besenstiel."

Liebe Mutter, ich sah gestern im Dorf viel Besen.
"Es sind auch viel Hexen auf'm Brocken gewesen.

" Liebe Mutter, 's hat gestern im Schornstein geraucht.
"Liebes Kind, es hat Einer das Werg gebraucht."

Liebe Mutter, in der Nacht war dein Besen nicht zu Haus.
"Liebes Kind, so war er zum Blocksberg hinaus."

Liebe Mutter, dein Bett war leer in der Nacht.
"Deine Mutter hat oben auf dem Blocksberg gewacht."

Willibald Alexis
(1798 - 1871), eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Haering »Häring«, deutscher Autor, Publizist und Jurist, machte sein Haus zu einem Treffpunkt des literarischen Berlin (Fouqué, Tieck, Fontane)

 

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