Literatur Schöne Lyrik

Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Blasierte Noblesse
(Heinrich Martin 1818 - 1872), deutscher Schriftsteller
 
Des Herzens Armut und des Geistes Leere
sind heimisch meist in höh'ren Regionen,
wo Stolz und Dünkel, Rang und Reichtum wohnen,
und diese trachten, dass ihr Glanz sich mehre.
 
Dass Langeweile sie nicht ganz verzehre,
so wählen sie zur Kurzweil stets Personen,
in deren Kreis sie dann, wie Götzen thronen –
und fordern keck, dass man sie hoch verehre.
 
Wie sehr sind diese Armen zu beklagen,
die unaufhörlich nach Zerstreuung jagen;
denn, Leerheit ist die größte aller Plagen.
 
Doch wo sich Herz, Gemüt mit Geist verbinden –
mag alles Andre auch um uns verschwinden –
wir wissen in uns selbst das Glück zu finden.
 

 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Ein Licht, das leuchten will
(Hedwig von Redern 1866 – 1935) 
 
Ein Licht, das leuchten will, muss sich verzehren;
Trost, Licht und Wärme spendend, stirbt es still.
Ein Licht, das leuchten will, kann nichts begehren,
als dort zu stehen, wo's der Meister will.

Ein Licht, das leuchten will, dem muss genügen,
dass man das Licht nicht achtet, nur den Schein.
Ein Licht, das leuchten will, muss sich drein fügen,
für andre Kraft und für sich nichts zu sein.

Ein Licht, das leuchten will, darf auch nicht fragen,
ob's vielen leuchtet oder einem nur.
Ein Licht, das leuchten will, muss Strahlen tragen,
wo man es braucht, da lässt es seine Spur.

Ein Licht, das leuchten will in Meisters Händen,
es ist ja nichts, als nur ein Widerschein;
des ew'gen Lichtes Glanz darf es uns spenden,
ein Licht, das leuchten will für Gott allein.



 
fotowerner
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von fotowerner

VON WILHELM BUSCH ENTDECKT051376133d0  c Kopie 9.jpg


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fotowerner
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von fotowerner

VON JOACHIM RINGELNATZ009900.jpg

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 02.08.2020, 12:17:41
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Foto: pixabay

Die Alten und die Jungen


"Unverständlich sind uns die Jungen",
wird von den Alten beständig gesungen;
meinerseits möcht' ich's damit halten:
"Unverständlich sind mir die Alten.
Dieses Am-Ruder-bleiben-Wollen
in allen Stücken und allen Rollen,
dieses sich-unentbehrlich-Vermeinen
samt ihrer "Augen stillem Weinen",
als wäre der Welt ein Weh getan -
ach, ich kann es nicht verstahn.

Ob unre Jungen, in ihrem Erdreisten,
wirklich was Besseres schaffen und leisten,
ob dem Parnasse sie näher gekommen
oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
ob sie, mit andern Neusittenverfechtern,
die Menschheit bessern oder verschlechtern,
ob sie Frieden sä'n oder Sturm entfachen,
ob sie Himmel oder Hölle machen -
eins lässt sie stehn auf siegreichem Grunde:
sie haben den Tag, sie haben die Stunde;
der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an,
sie beherrschen die Szene, sie sind dran.


Theodor Fontane
30. 12. 1819 - 20. 9. 1898


Clematis

 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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Begegnung – Heinrich Heine
 
Wohl unter der Linde erklingt die Musik,
da tanzen die Burschen und Mädel,
da tanzen zwei, die niemand kennt,
sie schaun so schlank und edel.
 
Sie schweben auf, sie schweben ab,
in seltsam fremder Weise;
sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
das Fräulein flüstert leise:
 
»Mein schöner Junker, auf Eurem Hut
schwankt eine Neckenlilie,
die wächst nur tief in Meeresgrund -
ihr stammt nicht aus Adams Familie.
 
Ihr seid der Wassermann, Ihr wollt
verlocken des Dorfes Schönen.
Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
an Euren fischgrätigen Zähnen.
 
Sie schweben auf, sie schweben ab,
in seltsam fremder Weise,
sie lachen sich an, sie schütteln das Haupt,
der Junker flüstert leise:
 
»Mein schönes Fräulein, sagt mir, warum
so eiskalt Eure Hand ist?
Sagt mir, warum so nass der Saum
an Eurem weißen Gewand ist?
 
Ich hab Euch erkannt, beim ersten Blick,
an Eurem spöttischen Knickse -
du bist kein irdisches Menschenkind,
du bist mein Mühmchen, die Nixe.
 
Die Geigen verstummen, der Tanz ist aus
es trennen sich höflich die beiden.
Sie kennen sich leider viel zu gut,
suchen sich jetzt zu vermeiden.


 

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longtime
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von longtime
als Antwort auf Sirona vom 18.08.2020, 08:14:47
Vegesack_von_Siegfried_IMG_20200724_130236.jpg
Siegfried von Vegeack (vor seinem Haus, der Burgturm in Regen-Weißenstein; 1979
*

Ein schönes Stück religiöser Lyrik:

Siegf ried von Vegesack:
Vater unser

Hast du Ihn auch längst verloren,
kennst du seinen Namen doch,
und an den verschloßnen Toren
klopfst du bettelnd manchmal noch.

Und du liegst auf wunden Knien
zwischen Zweifel, Hoffnung, Angst:
Hat Er dir die Schuld verziehen?
Gibt es Ihn, vor Dem du bangst?

Ist es Wahn nur - oder Wahrheit?
Oder alles Lug und Trug?
Wo bleibt Er in Seiner Klarheit,
den das Kind im Herzen trug?

Flehend stammelst du die Worte,
die die Mutter dich gelehrt:
Öffnet sich vielleicht die Pforte?
Bleibt der Eingang dir verwehrt?

"Vater unser", immer wieder
rufst du Ihn in heißer Gier -
und da strömt es zu dir nieder,
und Er neigt sich hin zu dir!
*
(Aus: S. von Vegesack: Seine schönsten Gedichte. Grafenau 2004. S. 95; geschrieben ca. 1950/60)

 
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Taucherglocke wie eine aufgetauchte Domspitze.JPG(eigenes Foto Ostseebad Zingst - Taucherglocke)


Strandlust
Hermann Allmers (1821 – 1902)

Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!

Die segelnde Möwe, sie ruft ihren Gruß
hoch oben aus jagenden Wolken herab;
die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
als wüssten sie beide, wie gern ich sie hab’.

Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
und die Möw’ und die Wolke, die droben zieht,
und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
sie lehren mich alle manch herrliches Lied.

Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergess’ ich ihn,
wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!



 
 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Hohwacht Sonnenuntergang.jpg(eigenes Foto - Hohwacht/Ostsee)

Die Nacht
Friedrich Adolf Krummacher
 
Wie schön bist du,
freundliche Stille, himmlische Ruh!
Sehet, wie die klaren Sterne
wandeln in des Himmels Auen,
und auf uns herniederschauen
schweigend aus der blauen Ferne.

Wie schön bist du,
freundliche Stille, himmlische Ruh!
Schweigend naht des Lenzes Milde
sich der Erde weichem Schoß,
kränzt den Silberquell mit Moos,
und mit Blumen die Gefilde.

Vertont Franz Schubert



 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Altes Paar.jpg(Pixabay kostenlos)
 
Lebensherbst
@Annegret Kronenberg
 
Ein Pärchen im greisen Alter
sitzt verträumt an einem Hang.
Er streichelt ihre welken Hände,
die treu geschafft ein Leben lang.
 
Sie ist für ihn ein Edelstein,
eine Kostbarkeit, die nie vergeht;
er für sie ein Felsgestein,
das allen Stürmen widersteht.
 
Es herbstelt schon, und matte Strahlen
schimmern durch das bunte Laub.
Lange Schatten Bilder malen
auf der Wege dunklem Staub.
 
Taumelnd schweben müde Blätter
den beiden Alten vor den Fuß.
Übermüt’ge Frühlingsträume
winken jetzt zum Abschiedsgruß.
 
Weltentrückt in fremde Sphären,
ahnt jeder, was der andre denkt,
hoffend, dass nicht er es wäre,
der als letztes Blatt am Baume hängt.

 

 
 

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