Literatur Schöne Lyrik

Allegra
Allegra
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Allegra

Da hier gerade Wilhelm Busch zu Besuch ist,
setze ich mal dieses hintergründige Gedicht ein

Allegra

Ein dicker Sack - den Bauer Bolte,
Der ihn zur Mühle tragen wollte,
Um auszuruhn, mal hingestellt
Dicht an ein reifes Ährenfeld -
Legt sich in würdevolle Falten
Und fängt 'ne Rede an zu halten.
»Ich«, sprach er, »bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack.
Ich bin's, der euch auf dieser Welt
In Einigkeit zusammenhält.
Ich bin's, der hoch vonnöten ist,
Daß euch das Federvieh nicht frißt;
Ich, dessen hohe Fassungskraft
Euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt euch tief, denn ich bin der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär'?«
Sanft rauschen die Ähren:
»Du wärst ein leerer Schlauch,
Wenn wir nicht wären.«


Wilhelm Busch



 
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

***


Clemens Brentano
(Clemens Wenzeslaus Brentano de La Roche)
(1778-1842)



Die Seufzer des Abendwinds


Die Seufzer des Abendwinds wehen
So jammernd und bittend im Turm;
Wohl hör' ich um Rettung dich flehen,
Du ringst mit den Wogen, versinkest im Sturm.

Ich seh' dich am Ufer; es wallet
Ein traurendes Irrlicht einher.
Mein liebendes Rufen erschallet,
Du hörest, du liebest, du stürzest ins Meer.

Ich lieb' und ich stürze verwegen
Dir nach in die Wogen hinab,
Ich komme dir sterbend entgegen,
Ich ringe, du sinkest, ich teile dein Grab.

Doch stürzt man den Stürmen des Lebens
Von neuem mich Armen nun zu.
Ich sinke; ich ringe vergebens,
Ach nur in dem Abgrund des Todes ist Ruh'.

Da schwinden die ewigen Fernen,
Da endet kein Leben mit dir.
Ich kenn' deinen Blick in den Sternen,
Ach sieh nicht so traurig, hab' Mitleid mit mir!



***
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel
***


Friedrich Ludwig von Berlepsch
(1749-1818)



Flüchtig sind des Lebens Tage


Flüchtig sind des Lebens Tage.
Erdendasein ist ein Traum:
Fülle nicht mit Sorg' und Klage
Dieser Spanne kleinen Raum!

Auf des Lebens kurzer Reise
Sei uns Muth das Losungsworth!
Nur durch Muth gelangt der Weise
In den stürmesichern Port.



***

Anzeige

Mitglied_6d29e9d
Mitglied_6d29e9d
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Erscheinung
(Stéphane Mallarmé)

Der Mond verging vor Trauer. Seraphim in Tränen
träumend die Hand am Bogen, ruhig vom Hauch umgossen
der Blumen, zogen weiße Seufzer aus dem Sehnen
sterbender Geigen, die aufs Blau der Kronen flossen.
– Es war der Tag, den mir Dein erster Kuß geweiht.
Mein Sinnen, mich zu martern immer gleich geneigt,
berauschte mit Bedacht sich an dem Duft von Traurigkeit,
der einem Traum, hat ihn das Herz gepflückt, entsteigt,
selbst wenn es Kummer nicht noch Bitternis gekränkt.
Ich schweifte denn, den Blick aufs alte Pflaster eingesenkt,
als in der abendlichen Gasse, Sonnenlicht
im Haar, Du mir erschienst mit lachendem Gesicht:
ich hab geglaubt, die Fee im Strahlenkranz zu schauen,
die einst auf des verwöhnten Kindes schönen Schlummerauen
hinschwebte, nimmermüd aus kaum verschloßnen Händen
schneeweiße Sträuße duftiger Sterne zu verschwenden.

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Exupery.jpg
Bildquelle
https://www.imdb.com/name/nm0756686/

Antoine de Saint-Exupéry 1900 – 1944

„Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. Mach mich findig und erfinderisch, um im täglichen Vielerlei und Allerlei rechtzeitig meine Erkenntnisse und Erfahrungen zu notieren, von denen ich betroffen bin. 
Mach mich griffsicher in der richtigen Zeiteinteilung, schenke mir das Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist. 
Ich bitte um Kraft für Zucht und Maß, daß ich nicht durch das Leben rutsche, sondern den Tagesablauf vernünftig einteile, auf Lichtblicke und Höhepunkte achte, und wenigstens hin und wieder Zeit finde für einen kulturellen Genuß. 
Laß mich erkennen, daß Träume alleine nicht weiterhelfen, weder über die Vergangenheit, noch über die Zukunft. Hilf mir, das nächste so gut wie möglich zu tun und die jetzige Stunde als die wichtigste zu erkennen. 
Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müßte im Leben alles glatt gehen. Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, daß Schwierigkeiten, Niederlagen, Mißerfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen. 
Erinnere mich daran, daß das Herz oft gegen den Verstand streikt. Schick mir im rechten Augenblick jemand, der den Mut hat, mir die Wahrheit in Liebe zu sagen. Ich möchte dich und die anderen immer aussprechen lassen. Die Wahrheit sagt man nicht sich selbst, sie wird einem gesagt. 
Ich weiß, daß sich viele Probleme dadurch lösen lassen, daß man nichts tut. Gib, daß ich warten kann. 
Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft bedürfen. Gib, daß ich diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin. 
Verleih mir die nötige Phantasie im rechten Augenblick ein Päckchen Güte, mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle abzugeben. 
Mach aus mir einen Menschen, der einem Schiff mit Tiefgang gleicht, um auch die zu erreichen, die unten sind. 
Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen. 
Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern was ich brauche. 
Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte!“


 
Lorena
Lorena
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Lorena

Ich kannte die Geschichte vom "Kleinen Prinzen", weil sie mir in der Kindheit vorgelesen wurde. 
Ja, ist zu lange her als dass ich mich nur noch an Einzelheiten erinnern kann, nur dass ich damals schon dachte, dass ich vieles nicht verstehe, aber Zeit zu fragen war nicht und somit hatte ich die Geschichte  vergessen und befasse mich als Erwachsene im fortgeschrittenen Alter erst jetzt intensiv damit. 
Internet sei Dank.



Suche nach Glück

Weißt Du nicht mehr, dass die Suche nach Glück
niemals die Voraussetzung des Glücks ist?

Du würdest Dich niedersetzen, denn Du wüsstest nicht, wohin Du gehen sollst.

Wenn Du erschaffen hast, wird Dir das Glück als Lohn gewährt.



Antoine de Saint Exupéry (aus: Die Stadt in der Wüste)


LG  Lorena 

 

Anzeige

Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

***


Luise von Plönnies
(1803-1872)



Frauenliebe


Frauenliebe ist die Quell' im Thale,
Die, ob festes Eis sie noch umschließt,
Bei dem ersten warmen Sonnenstrahle
Wieder reicher wallend sich ergießt.

Frauenlieb' ist gleich dem Rosenstrauche;
Ob ihm Nord und Sturm die Blüten raubt,
Bei dem ersten warmen Frühlingshauche
Hebt aufs neu' erblühend er das Haupt.

Frauenlieb' ist gleich dem Abendsterne,
Scheint vergebens er auch tausendmal,
Ruhig harrt er in der blauen Ferne,
Bis ein liebend Aug' erkennt den Strahl.



***

 
RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied


Die singende Muschel

Als Kind sang eine Muschel
mir das Meer.
Ich konnte träumelang
an ihrem kühlem Munde lauschen.
Und meine Sehnsucht wuchs
und blühte schwer,
und stellte Wünsche und Gestalten
in das ferne Rauschen.


Francisca Stoecklin

Meer Schale Muschel - Kostenloses Foto auf Pixabay
Mitglied_6d29e9d
Mitglied_6d29e9d
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Frühling der Seele
Aufschrei im Schlaf; durch schwarze Gassen stürzt der Wind,
Das Blau des Frühlings winkt durch brechendes Geäst,
Purpurner Nachttau und es erlöschen rings die Sterne.
Grünlich dämmert der Fluß, silbern die alten Alleen
Und die Türme der Stadt. O sanfte Trunkenheit
Im gleitenden Kahn und die dunklen Rufe der Amsel
In kindlichen Gärten. Schon lichtet sich der rosige Flor.
Feierlich rauschen die Wasser. O die feuchten Schatten der Au,
Das schreitende Tier; Grünendes, Blütengezweig
Rührt die kristallene Stirne; schimmernder Schaukelkahn.
Leise tönt die Sonne im Rosengewölk am Hügel.
Groß ist die Stille des Tannenwalds, die ernsten Schatten am Fluß.
Reinheit! Reinheit! Wo sind die furchtbaren Pfade des Todes,
Des grauen steinernen Schweigens, die Felsen der Nacht
Und die friedlosen Schatten? Strahlender Sonnenabgrund.
Schwester, da ich dich fand an einsamer Lichtung
Des Waldes und Mittag war und groß das Schweigen des Tiers;
Weiße unter wilder Eiche, und es blühte silbern der Dorn.
Gewaltiges Sterben und die singende Flamme im Herzen.
Dunkler umfließen die Wasser die schönen Spiele der Fische.
Stunde der Trauer, schweigender Anblick der Sonne;
Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden. Geistlich dämmert
Bläue über dem verhauenen Wald und es läutet
Lange eine dunkle Glocke im Dorf; friedlich Geleit.
Stille blüht die Myrthe über den weißen Lidern des Toten.
Leise tönen die Wasser im sinkenden Nachmittag
Und es grünet dunkler die Wildnis am Ufer, Freude im rosigen Wind;
Der sanfte Gesang des Bruders am Abendhügel.
Georg Trakl  (1887-1914)
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel
😁




***


Adolf Glaßbrenner
(1810-1876)



Zwei Wünsche


Ach, zwei Wünsche wünscht' ich immer
Leider immer noch vergebens.
Und doch sind's die innig-frommsten,
Schönsten meines ganzes Lebens!

Daß ich alle, alle Menschen
Könnt' mit gleicher Lieb' umfassen,
Und daß Ein'ge ich von ihnen
Morgen dürfte hängen lassen.



***

Anzeige