Literatur Schöne Lyrik

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02592.JPG


Himmelfahrt

Wie prangt im Frühlingskleide
Die grüne, bunte Welt!
Und hat in Welt und Heide
Musik und Lust bestellt:
Wie klingt und spielt der Scherz
In Büschen rings und Bäumen
Von Edens Blumenträumen
Den Klang in jedes Herz!

Hinaus denn, meine Seele!
In voller Lust hinaus!
Verkünde, ruf, erzähle
Und kling und sing es aus!
Du bist von Lerchenart,
Nach oben will dein Leben:
Lass fliegen, klingen und schweben
Die süße Himmelfahrt.

Auf! Lüfte deine Schwingen
Zum frohen Heimatort!
Dein Trachten, Sehnen, Ringen,
Dein Weg, dein Lauf ist dort –
O flieg aus diesem Glanz
Der bunten Erdenlenze
Ins Land der ew’gen Kränze!
Dort ist dein Ziel, dein Kranz.


Ernst Moritz Arndt


Roxanna
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

 

***


Johann Nikolaus Götz
(1721-1781)



Von der Freude


"Sage", sprach ich, "holde Freude,
Sage doch, was fliehst du so?
Hat man dich, so fliehst du wieder!
Niemals wird man deiner froh."

"Danke", sprach sie, "dem Verhängnis!
Alle Götter lieben mich;
Wenn ich ohne Flügel wäre,
Sie behielten mich für sich."



***

 
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC05297.JPG

Mir

Das ist mein Streit:
Sehnsuchtgeweiht
Durch alle Tage schweifen.
Dann, stark und breit,
Mit tausend Wurzelstreifen
Tief in das Leben greifen -
Und durch das Leid
Weit aus dem Leben reifen,
Weit aus der Zeit!

Rainer Maria Rilke

 


Roxanna

Anzeige

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02060.JPG

Aus!

Einmal müssen zwei auseinandergehn;
einmal will einer den andern nicht mehr verstehn – –
einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein –
wer ist daran schuld?

Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.
Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.
Jedes trägt den andern mit sich herum –
etwas bleibt immer zurück.

Einmal hat es euch zusammengespült,
ihr habt euch erhitzt, seid zusammengeschmolzen, und dann erkühlt –
Ihr wart euer Kind. Jede Hälfte sinkt nun herab –:
ein neuer Mensch.

Jeder geht seinem kleinen Schicksal zu.
Leben ist Wandlung. Jedes Ich sucht ein Du.
Jeder sucht seine Zukunft. Und geht nun mit stockendem Fuß,
vorwärtsgerissen vom Willen, ohne Erklärung und ohne Gruß
in ein fernes Land.

Kurt Tucholsky

 

Roxanna
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC03895.JPG


Zwischen Welt und Einsamkeit

Zwischen Welt und Einsamkeit
Ist das rechte Leben,
Nicht zu nah' und nicht zu weit
Will ich mich begeben.

In der Straßen lautem Drang
Find' ich mich zu blöde,
Aber einen Schauer bang
Fühl' ich in der Öde.

Lieblich ist es, wo ich seh'
Ferne Hütten rauchen,
Ins Gefühl der Gottesnäh'
Schweigend mich zu tauchen.

Friedrich Rückert

 


Roxanna
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
2011-08 - KÄRNTEN - 019.JPGEigenes Foto - Mallnitztal Kärnten

Der Neugierige
Wilhelm Müller

Ich frage keine Blume,
ich frage keinen Stern,
sie können mir alle nicht sagen,
was ich erführ’ so gern.

Ich bin ja auch kein Gärtner,
die Sterne stehn zu hoch;
mein Bächlein will ich fragen,
ob mich mein Herz belog.

O Bächlein meiner Liebe,
wie bist du heut’ so stumm!
Will ja nur Eines wissen,
ein Wörtchen um und um.

Ja, heisst das eine Wörtchen,
das andre heisset Nein,
die beiden Wörtchen schliessen
die ganze Welt mir ein.

O Bächlein meiner Liebe,
was bist du wunderlich!
Will’s ja nicht weiter sagen,
sag’, Bächlein, liebt sie mich?

(aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ - Franz Schubert)



 

Anzeige

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC02736.JPG

Pfingsten

Das Fest der Pfingsten kommt im Hall der Glocken,
Da jauchzt in Frühlingsschauern die Natur;
Auf jedem Strauch des Waldes und der Flur
Schwebt eine Ros als Flamme mit Frohlocken...

O Geist, der einst in goldnen Feuerflocken
Aufs Haupt der Jünger brausend niederfuhr,
Von deinem Reichtum einen Funken nur,
Hernieder send' ihn auf des Sängers Locken!

Ich weiß es wohl, nicht würdig bin ich dein;
Doch hast du nie die Tugend ja gemessen,
Der Glaube zieht, die Sehnsucht dich allein.

Der Armen hast du nimmermehr vergessen,
Du kehrtest in der Fischer Hütten ein,
Und an der Sünder Tisch bist du gesessen.


Emanuel Geibel
 

Roxanna
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Blumenampel3.JPG
Bildquelle: Eigenes Foto, Blumenampel im Garten 

Wenn`s Pfingsten regnet 
oben aus dem Fahnenhaus 
guckt das schwarze Wettermännchen raus, 
spreizt die Beine und grinst uns an; 
schäme dich, alter Wettermann! 

Am Ostersonntag, vor sieben Wochen, 
hast du dem Fritze fest versprochen, 
daß zu Pfingsten, im Monat Mai, 
das allerschönste Wetter sei. 

Und nun regnets, liebe Not, 
alle hellen Blüten tot, 
sie liegen da wie nasser Schnee, 
auf den Wegen steht See an See; 
ja, wenn wir schon drinnen baden könnten, 
wie die Spatzen oder die Enten! 

Wir dürfen aber garnicht raus, 
sehn so mucksch wie Maulwürfe aus; 
röch nicht der Kuchen so lecker her, 
wüßt man gar nicht, daß Feiertag wär. 
Nicht mal die Pfingstkleider kriegt man an; 
schäme dich, schwarzer Wettermann! 

Paula Dehmel 

Paula Dehmel


Ich wünsche Euch Lyrikfreunden ein frohes Pfingstfest, wenn auch der Wettermann uns die Laune verderben möchte. 
Aber Hauptsache der Kuchen ist gelungen und schmeckt! 

Liebe Grüße
Sirona

 
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

 

***


Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg
(1750-1819)



An die Natur


Süße, heilige Natur,
Laß mich geh'n auf deiner Spur,
Leite mich an deiner Hand
Wie ein Kind am Gängelband!

Wenn ich dann ermüdet bin,
Sink' ich dir am Busen hin,
Atme süße Himmelslust
Hangend an der Mutterbrust.

Ach! wie wohl ist mir bei dir!
Will dich lieben für und für;
Laß mich geh'n auf deiner Spur,
Süße, heilige Natur!


***
 
 
 
 
river-5027036_640.jpg
pixabay
Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Roxanna
DSC03678.JPG



.......Und wir: Zuschauer, immer, überall,
dem allen zugewandt und nie hinaus!
Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.

Wer hat uns also umgedreht, daß wir,
was wir auch tun, in jener Haltung sind
von einem, welcher fortgeht? Wie er auf
dem letzten Hügel, der ihm ganz sein Tal
noch einmal zeigt, sich wendet, anhält, weilt –,
so leben wir und nehmen immer Abschied.



Rainer Maria Rilke
Duineser Elegien, Auszug aus Elegie 8


Roxanna

Anzeige