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Literatur Tractatus Satanicus

eleonore
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Tractatus Satanicus
geschrieben von eleonore
Andreas Schlieper
Tractatus Satanicus


Viele Namen haben ihm die Menschen gegeben: Satan, Teufel, Beelzebub, Luzifer. Nun erzählt er seine so spannende wie aufschlussreiche Geschichte. Zu Beginn gibt er zwar, wenn auch widerwillig, zu, dass Gott es war, der aus dem Kosmos der Möglichkeiten seine Schöpfung realisierte, nachher aber, d.h. nach dem Sündenfall, habe er sich eigentlich nur noch störend bemerkbar in dieser Welt gemacht, die ein Werk des Teufels ist. Er, der sich deshalb auch gern Fürst der Welt nennt, hat einen höchst raffinierten Algorithmus entworfen, der alles Leben, seine Evolution bis hin zu Kultur und Zivilisation des Menschen steuert. Der Teufel weiß, dass diese seine Welt unvollkommen ist, deshalb möchte er sie Stück für Stück verbessern. Als Luzifer (Träger des Lichts) steht er auf der Seite der Menschen, bringt ihnen Aufklärung und Erleuchtung, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik - aber nur solange sie sich bemühen, ihr Leben im Diesseits zu vervollkommnen. Ein Umstand, der ihn nicht erst seit jüngster Zeit zum Pessimismus neigen lässt.

Wunderbar scharfsinnig und erfüllt vom Geist der Kritik wirbt der Teufel für seine Lesart von der Geschichte der Welt und der Menschen. So dekonstruiert er die bekannten Geschichten aus der Genesis, um sich im Zuge dessen immer stärker den Bildern und Ideen zuzuwenden, die sich die Menschen von Gott und der Welt gemacht haben. An einigen exemplarischen Fragen liefert er eine äußerst vergnügliche Darstellung u.a. der antiken Philosophie, des Christentums, der mittelalterlichen Scholastik und der Renaissance, den Blick immer nach vorn, in unsere Gegenwart gerichtet.

Eingebettet in eine Rahmenhandlung (hier erzählt des Teufels Ghostwriter!) und aufgebaut wie eine Symphonie in fünf Sätzen ist dieser satanische Traktat ein furioser Wurf, schier überbordend an Bildung und Wissen und doch von großer Klarheit in der Darstellung komplexer Sachverhalte. Sein funkelnder Reichtum an Anspielungen auf Philosophen und Denker erstreckt sich von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, und natürlich verfügt der Teufel auch über ein gehöriges Maß an (schwarzem) Humor, weshalb es an boshaften Seitenhieben auf das gegenwärtige Treiben der Menschen, ihren heillosen Stumpfsinn und ihre politischen Torheiten nicht mangelt. Das Wunderbare dabei ist: Voraussetzung für einen ungetrübten Lesegenuss ist es nicht, über ein ebensolches Wissen wie der Teufel zu verfügen - Neugier und Interesse, dem Träger des Lichts auf seinen höchst erhellenden Denk- und Gedankenwegen zu folgen, genügen vollkommen.

Gott in seiner allumfassenden Güte mag manchen langweilig erscheinen, der Teufel ist es gewiss nicht. Luzifer vermittelt ein außergewöhnlich profundes geistes-, kultur-, religions- und philosophiegeschichtliches Wissen, des Teufels Text ist eine wortgewaltige Suada, eine kraftvolle Symphonie, vorgetragen mit allen rhetorischen Kniffen und Listen, unwiderstehlich verführerisch und - natürlich: luzide.

Andreas Schlieper
Tractatus Satanicus
Die Geschichte des Teufels, von ihm selbst erzählt
Aufgezeichnet und herausgegeben von Andreas Schlieper
C.Bertelsmann
Umfang: 608 Seiten
Ladenpreis: € 26,00
ISBN: 3-570-00739-1

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eleonore
enigma
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Mitglied

Re: Tractatus Satanicus
geschrieben von enigma
als Antwort auf eleonore vom 16.04.2007, 10:05:13
Danke für den Tipp, eleonore.
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enigma

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