Literatur über Anais Nin

dunkelgraf
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über Anais Nin
geschrieben von dunkelgraf
Wann las ich zum ersten Mal von ihr? Da muß ich 25 gewesen sein. Eine Freundin gab mir eine Ausgabe ihres Tagebuches in Englisch.
Sie zweifelte, ob ich so gut englisch konnte, um es zu lesen. Aber ich las es, erstmal kursiv, um die erotischen Stellen rauszupicken. Ohne Wörterbuch. Und ich verstand sie sogar. Das erste Mal eigentlich Erotik aus der Sicht einer Frau. Es beeindruckte mich sehr.
Erst später verstand ich ihr Leben. Nein, ich verstehe es bis heute nicht. Eine schreckliche Frau. So etwas zerrissenes. Sie lebte verschiedene Leben. Ich dürfte sie nicht mögen. Aber trotzdem zieht es mich immer zu ihr hin. Mal kann ich mich in sie reinversetzen, aber wenn ich die Stelle ihres Mannes einnehme, dann überkommt mich eine Wut auf sie, daß mir das Herz wehtut.
Sie hat ihren Mann, der sie liebte, vor aller Welt zum Idioten gemacht. Sie hat ihn betrogen, belogen, ... ich möchte nicht in der Haut dieser beiden gesteckt haben.
Sie wollte es aber so, nahm die Schuld bewußt auf sich. Sie selbst hatte die "Hoffnung auf mehrere, zu gleicher Zeit geführte Leben". Sie wollte alles, und sie nahm es sich. Jede Art von Liebe, zu ihrem Vater, zu Männern, zu einer Frau. Und sie wollte keinem wehtun, also mußte sie lügen. Sie hatte Begabung zum Lügen. Ihre größte Sucht war das Schreiben, das Tagebuch schreiben. Und somit erfuhr die ganze Welt ALLES von ihr. Ob sich jemals ein Mensch so offengelegt hat?
Manche durften ihre Tagebücher schon vor der Veröffentlichung lesen. So auch ihr Mann, also schrieb sie extra eins für ihren Mann. Ein zweites war das wahre, das hütete sie, sogar im Banktressor. Aber Henry Miller durfte es lesen. Ich mag Henry Miller nicht. Auch seine Literatur nicht. Seine Sprache würde ich nie benutzen.
Sicher tue ich ihm unrecht, aber ich bin nun mal parteilich. Ich wurde anders erzogen, und ich beurteile vieles aus der Sicht der traurigen Gestalt ihres Ehemannes. (The fool on the hill. *gg*)
Ich frage mich manchmal, ob er wirklich so ein Idiot war, so blöd kann man doch nicht sein. Oder so selbstlos? Das ist gegen die innere Natur eines Mannes.
Die letzte Zeit vor ihrem Tode lebt sie mit Rupert Pole an der amerikanischen Westküste. Sie führte regelmäßige Telefonate mit ihrem Mann in New York: sie wünschte, daß er ihr das Gefühl der Schuld nimmt, was er aber nicht tat.
(Wie kann man so viel verlangen? Eine wahre Egoistin!)
Nachdem sie gestorben war, erschien eine Todesanzeige in Los Angeles mit Rupert Pole als Ehemann (der es aber nicht war), und eine in New York mit Hugh Guiler als (tatsächlichen) Ehemann.
Es gab zwei Beerdigungsfeiern. Ihre Asche wurde aus dem Hubschrauber in den Pazifischen Ozean verstreut.
Irgendwann trafen sich die beiden Männer sogar und gaben sich die Hand. (Wäre bei mir übrigens völlig ausgeschlossen. *g*)
Nachdem Hugh Guiler gestorben war, wird auch ihr wahres Tagebuch veröffentlicht.
Und auf seinen Wunsch, wurde auch seine Asche dort im Meer verstreut, wo auch ihre Asche verstreut wurde.
Ich finde es ja rührend, diese Liebe und Treue über alles hinweg. Aber wie muß er gelitten haben?
Was ich an Anais Nin auch nicht mochte/mag, ist ihre Eitelkeit. Sie tat alles mögliche, um jung, attraktiv und vollkommen (nicht zu sein, sondern) zu erscheinen.

--
dunkelgraf
chris33
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Re: über Anais Nin
geschrieben von chris33
als Antwort auf dunkelgraf vom 15.12.2008, 14:19:06
Ich war 22 Jahre alt und las von "ihr"-zu der Zeit lebte ich in den Staaten, konnte mich etwas in ihre "Geschichte" einfühlen-und vergaß Anais Nin.
Irgendwann später erschienen dann die Tagebücher, die ich mit grosser Begeisterung gelesen habe, nicht weil sie sprachlich oder sonst für mich wertvoll gewesen wären-sondern weil ich über eine Frau las, die sich schon damals von den "Rollenerwartungen der Frau in der von Männern dominierten Gesellschaft" befreite. Also, ich sehe A.N. aus der Sicht der Frau. (Wenn Du über diese leidenden Männer, Ehemänner u. Liebhaber schreibst, kommen mir die Tränen. Das soll nicht böse gemeint sein, nur etwas ironisch!! Ich bin der Meinung, daß A.N. ihr interessantes und unruhiges und manchmal auch unglückliches Leben schon in den 30 ger Jahren verwirklichte. Natürlich eckte sie damit zu der Zeit bei Männern sowieso und auch bei vielen Frauen an. Trotzdem behielt sie ihre Verhaltensmuster aufrecht. Wie Du siehst-alles hat 2 Seiten.
Viele Grüsse von
--
humpel
chris33
chris33
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Re: über Anais Nin
geschrieben von chris33
als Antwort auf chris33 vom 18.12.2008, 23:30:08
Ich war 22 Jahre alt und las von "ihr"-zu der Zeit lebte ich in den Staaten, konnte mich etwas in ihre "Geschichte" einfühlen-und vergaß Anais Nin (bis auf kleine Zeitungsartikel once in a while machte sie keinen grossen Eindruck auf mich).
Irgendwann später erschienen dann die Tagebücher, die ich mit grosser Begeisterung gelesen habe, nicht weil sie sprachlich oder sonst für mich wertvoll gewesen wären-sondern weil ich über eine Frau las, die sich schon damals von den "Rollenerwartungen der Frau in der von Männern dominierten Gesellschaft" befreite. Also, ich sehe A.N. aus der Sicht der Frau. (Wenn Du über diese leidenden Männer, Ehemänner u. Liebhaber schreibst, kommen mir die Tränen. Das soll nicht böse gemeint sein, nur etwas ironisch!! Ich bin der Meinung, daß A.N. ihr interessantes und unruhiges und manchmal auch unglückliches Leben schon in den 30 ger Jahren verwirklichte. Natürlich eckte sie damit zu der Zeit bei Männern sowieso und auch bei vielen Frauen an. Trotzdem behielt sie ihre Verhaltensmuster aufrecht. Wie Du siehst-alles hat 2 Seiten.
Viele Grüsse von
--
humpel
geschrieben von humpel


--
humpel

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Medea
Medea
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Re: über Anais Nin
geschrieben von Medea
als Antwort auf chris33 vom 19.12.2008, 01:18:54
Humpel und Dunkelgraf -

über Anais Nin gäbe es viel zu schreiben, sie war eine ungewöhnlich offene Frau, aber auch ziemlich exhibitionistisch angehaucht. Vor ca. 30 Jahren für manche Leserin/Leser ziemlich schockierend in ihrer Lebensweise. Ich erinnere mich, daß es damals ziemlich "in" war, sie zu lesen - sie war gewissermaßen in aller Munde.

Medea
dunkelgraf
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Re: über Anais Nin
geschrieben von dunkelgraf
als Antwort auf chris33 vom 18.12.2008, 23:30:08
Ich wollte bestimmt nicht negativ über Anais Nin schreiben. Unbestritten war sie eine bemerkenswerte und in gewisser Hinsicht auch "revolutionäre" Frau. Andernfalls hätte ich gar keinen Gedanken an sie verschwendet.
Aber meine Gefühle ihr gegenüber sind hin und hergerissen. Sie war widersprüchlich und ich bezweifele, ob sie mit ihrer Lebensweise glücklich war. Ähnliches kann man von Henry Miller sagen. Hier trafen sich Topf und Deckel. Anziehend und abschreckend zugleich.

Eine schöne Vorweihnachtszeit bei nachdenklicher Lektüre wünscht....

dunkelgraf
chris33
chris33
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Re: über Anais Nin
geschrieben von chris33
als Antwort auf dunkelgraf vom 19.12.2008, 09:16:27
Ich hab es auch nicht so aufgefasst. Was Du über sie gesagt hast, stimmt ja. Ihr auffälliges Verhalten hatte ja-wie wir wissen ihren Ursprung in der Kindheit. Ich möchte das Leben der A.N. nicht leben-aber keiner kann es sich aussuchen.
L.G. Humpel
--
humpel

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