Forum Allgemeine Themen Plaudereien Auf den Spuren von Kurt Tucholsky

Plaudereien Auf den Spuren von Kurt Tucholsky

hafel
hafel
Mitglied

Auf den Spuren von Kurt Tucholsky
geschrieben von hafel

In Erinnerung an einem Besuch des malerischen Örtchen Mariefred (Schweden) am Mälarsee mit der Touristenattraktion Schloss Gripsholm galt mein Besuch einer der ältesten schwedischen Schmalspurbahnen (600 mm) von Mariefred nach Läggestra. Dort fand ich alte gut erhaltene Eisenbahnexponate aus Sachsen (Hartmann – Chemnitz – 1870 ), was mein "Eisenbahnherz" hoch schlagen lies.

Mariefred ist allerdings mehr durch Kurt Tucholskys Liebesroman "Schloss Gripsholm" bekannt. Hier zwischen Mariefred und Läggestra wohnte Kurt Tucholsky eine Zeit lang. Die Asche von Tucholsky wurde 1936 unter einer Eiche begraben. Ich habe sein Grab besucht und steht auf der Grabplatte: "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis" -- aus Goethes Faust II.

Man hat ihn "falsch geboren" schrieb Tucholsky im Rückblick auf sein viel zu kurzes Leben. Falsch geboren: 1890 in Berlin, hineingeboren in ein von sich selbst besoffenes Kaiserreich.

Als Korrespondent der linksliberalen Weltbühne, für die er seit 1913 schrieb, lebte er in den Zwanzigern ein paar Jahre in Paris. Seine Heimat Deutschland jedoch, lies ihn nie ganz los. Er hing an Deutschland, liebt es sogar, bis brüllende, Demokratie verachtende Nazihorden das Straßenbild prägten. Als die Weimarer Republik vollends untergegangen ist, weilt Tucholsky in der Schweiz. Später findet er in Schweden Exil.

Am Schluss seines Lebens lebte Tucholsky am Rand der Resignation. Sein bekannter Witz war nicht selten der Depression abgerungen. Am 21. Dezember 1935 stirbt der große Mann in Schweden, schwer erkrankt, an einer Überdosis Schlaftabletten.

Die neue deutsche Republik hätte nach 1945 einen Kurt Tucholsky gebraucht. Die neue Republik mit Anfangs den alten Nazis hätte zwar Tucholsky zunächst kaum glücklicher gemacht -- auch wenn er sich fraglos für den Westen entschieden hätte. Die linke Diktatur hat er sehr früh erkannt und von Adenauer hätte er den offenen Blick nach Westen, nach Frankreich, geschätzt. Gegen den Muff der Fünfziger hätte er lustvoll wütend angeschrieben.

Wir haben leider zu wenige, die wie Tucholsky ihre Krallen ausfahren.
Ich denke sehr gerne an ihn zurück. Im 2010 wäre er 120 Jahre alt geworden.

Hafel
cecile
cecile
Mitglied

Re: Auf den Spuren von Kurt Tucholsky
geschrieben von cecile
als Antwort auf hafel vom 15.07.2010, 14:37:05

Tucholskys "kleine Sommergeschichte" - ob er wohl damit gerechnet hatte, daß ausgerechnet Schloß Gripsholm sich zu einem solchen Dauerbrenner entwickeln würde?


Ich habe mich auch schon oft gefragt, was Tucholsky wohl zu den Ereignissen der Nachkriegsjahre geschrieben hätte - und wie er zu den Vertretern der Gruppe 47 gestanden hätte.

Eine kleine "Vorausschau" hat er uns ja 1926 als Kaspar Hauser in der Weltbühne hinterlassen:


Tucholsky: Gruß nach vorn


Gruß an dich

Cécile
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Auf den Spuren von Kurt Tucholsky
geschrieben von anjeli
als Antwort auf cecile vom 15.07.2010, 15:33:56
Kurt Tucholsky, oft mißverstanden als Autor heiterer Plaudergeschichten, war einer der brillian-
testen politischen Schriftsteller.
Seine Polemik richtet sich gegen den Militarismus.

Hier ein kleines Gedicht von 1926

Feldfrüchte

Sinnend geh ich durch den Garten,
still gedeiht er hinterm Haus;
Suppenkräuter, hundert Arten,
Bauernblumen bunter Strauß.
Petersilie und Tomaten, eine Bohnengalerie,
ganz besonders ist geraten, der beliebte Sellerie.
Ja, und hier -? Ein kleines Wieschen?
Da wächst in der Erde leis
das bescheidene Radieschen: außen rot und innen wei0.

Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik.
Bonzen, Brillen, Gehberockte, Parlamentsroutinendreh ...
Ja, und hier -? Die ganz verbockte
liebe gute SPD.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, doof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.

Gruß anjeli/ulla
pippa
pippa
Mitglied

Re: Auf den Spuren von Kurt Tucholsky
geschrieben von pippa
als Antwort auf anjeli vom 15.07.2010, 19:24:21
Danke Anjeli,
habe es gleich meinem Mann vorgelesen, weil die SPD so ein außerordentlich beliebtes Diskussionsthema bei uns ist.

Als Plaudergeschichtenerzähler habe ich Kurt Tucholsky allerdings nie gesehen. Er hat meine Jugend geprägt wie kein anderer, außer vielleicht später Sartre.

Pippa, ganz wehmütig
anjeli
anjeli
Mitglied

Re: Auf den Spuren von Kurt Tucholsky
geschrieben von anjeli
als Antwort auf pippa vom 15.07.2010, 19:35:00
Hallo Pippa,

warum bist Du wehmütig.
Die Aussage ist aus meinem Taschenbuch "Politische Texte" (Auflage von 1980)
als Einleitung geschrieben.

Hier als Trostpflaster noch einige scharfsinnigen Gedankenblitze und Aphorismen.
Kurt Tucholski hat sie selbst als "Schnipsel" bezeichnet.

Den Deutschen muß man verstehen, um ihn zu lieben.
Den Franzosen muß man lieben, um ihn zu verstehen.

Der Standesdünkel liegt in der selben Schublade wie der Patriotismus.
Vom Feuerwehrmann bis zum Vaterland sind nur wenige Schritte.
Und daher sieht bei uns der Skatverein wie ein Staat und der Staat wie ein Skatverein aus.

In der Ehe pflegt gewöhnlich einer immer der Dumme zu sein.
Nur, wenn zwei Dumme heiraten -: das kann mitunter gut gehn.

Aus meinem Taschenbuch Schnipsel(Auflage von 1980)

Anzeige