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Plaudereien Bein Tüff ist kein Frohsinn

EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Bein Tüff ist kein Frohsinn
geschrieben von EmilWachkopp
Na, schön war das nicht. Ehrer schrecklich. Schauderhaft. Ich hätte einen Gehirnschlag erleiden und tot umfallen können. Vonwegen den Stress.

Das war doch deshalb, weil mein Auto mir fast umgebracht hätte. Ich habe eigentlich immer schon – von klein auf an – eine ambivalente Beziehung zu meinen Autos gehabt. Zuerst zu meinem ersten Spielzeugauto, dass ich als Dreijähriger in einem Wutanfall platt trampelte. Und später zu meinen richtigen Autos. Und jetzt musste ich mit einer mindestens dreifach vermaledeitelten Klapperkiste auch noch nach Kiel zun Tüff hin! Auch wenn das schon zwanzig Jahre her ist, ist mir die Erinnerung daran so frisch, dass es beim Gedanken daran heute noch in meinem Kopp rumort. So als wie wenn sich da ein Gehirnschlag ankündigt. Als sollte nachgeholt werden, was mir damals der Unentschlossenheit des Schicksals wegen erspart geblieben ist.
Schlimm ist das. Wenn das nümlich so weiter geht, wird aus mir noch ein richtiger Hypochonder.

Von mir bis Kiel waren es zu der Zeit 4 Kilometer. Luftlinie. Weil die Landstraße aber so kurvenreich war, wurden aus den 4 Kilometern ganze 12 Kilometer. Also, umgerechnet, 4 Kilometer Strecke, und 8 Kilometer Kurven. So quatschig hat man damals die Straßen gebaut; und denn wunderte man sich auch noch über, dass die Autofahrer zuhauf im Graben landeten. Bei dieser ewigen Kurverei. Jedenfalls glaubt man, die Straßenbauer hätten einen Haschmich gehabt, wenn man die Schlängelei mal miterlebt hat. Ich hab die mal gezählt. Die Kurven, mein ich. 26 000 Kurven auf 12 Kilometern. Links, rechts, links, rechts, und noch eine Kurve, und noch eine Kurve. Und gleich dahinter kommt auch schon die nächste Kurve. Da kann ja der Stärkste bregenklöterig von werden.

Ich hatte schon beis Erwachen ein mulmiges Gefühl in die Magengegend; ein Gefühl, das mir stets mit orakelhafter Zuverlässigkeit vorhersagt: „Emil, bleib heut ja ins Bett, sonst gibt’s bloß Knartsch.“
Aber was sollte ich machen? Ich musste doch alle zwei Jahre mein Auto bein Tüff vorführen. Weil das nümlich gesetzlich vorgeschrieben ist. Deshalb war das.
Um drei Uhr nachmittags sollte ich mir bein Kieler Tüff einstellen. Zur Sicherheit fuhr ich aber schon um zwei Uhr morgens los, um bloß ja nicht zu spät zu kommen. Zu Fuß wäre das natürlich ein Klacks gewesen. Aber zun Tüff muss man sein Auto mitbringen. Und das hatte gerade mal wieder seine Mucken. Deshalb bin ich büschen früher los.

Ein Problem war, dass man mit dem Wagen nicht mehr schneller als 25 bis 30 fahren konnte. Und das lag daran, dass die Motoraufhängung überall durchgerostet war und der Motor nur noch ganz lose drinnen hing. Wenn man schneller fuhr, denn wurden die Karre und ich dermaßen durchgeschüttelt, dass ich den Tatter kriegte. Aber … na ja, ik segg mi ümmer: langsam vörwarts kümmst ook vörwarts.
Das zweite Problem war, dass ich mir beis Fahren immer Watte in die Ohren stecken musste, weil doch der Motor so einen Höllenlärm machte. Und das war, weil sich der Auspuff im Laufe der Jahrzehnte wahrscheinlich in ein Sieb verwandelt hatte.
Das größte Problem aber war: Mein versoffener Wagen kübelte ganze 5 Liter Benzin per Kilometer. Entweder lief das Benzin nach irgendwo hin weg, oder die Benzinpumpe hatte einen Knall und verspritzte es im ganzen Motorraum. Jedenfalls stank es im ganzen Auto so nach Benzin, dass ich immer – auch im kältesten Winter – mit offenen Fenstern fahren musste.
Weil der altertümliche Tank nur 30 Liter fasste, musste ich alle 6 Kilometer tanken. Das ist, auf damalige bäuerliche Verhältnisse übertragen, als wie wenn Du ein Pferd hast, das alle 6 Kilometer anhalten muss, um 30 Liter Wasser wegzukübeln. So ein Pferd müsste sich ja mal im Oberstübchen untersuchen lassen. Jedenfalls hat Emil für solche Extravaganzen kein Verständnis. Da streikt sein Gehirnkasten.

Die gegenseitige Antipathie zwischen meinem Auto und mir rührt von jenem schicksalsschweren Tag her, da ich notgedrungen einen Termin bei meinem angelernten Modefriseur in Hamburg hatte. Mein richtiges Haar war nümlich – von mir ganz unbemerkt – so lang geworden, dass es mir unten einen Meter aus der Adelsperücke heraushing. Ich kann doch aber in meinem Alter nicht noch wie ein Simson herumlaufen. Jedenfalls: da sprang die Kiste nicht an, so dass ich ihr – von Wut gepackt – einen Tritt in den Ar…, ins Hinterteil versetzte. Danach fing die Sauferei an.
Aber jetzt ist das Schöne: aufs Land hast Du nicht alle sechs Kilometer eine Tankstelle. Und was machst Du denn? Du schaffst Dir Kanister an. Deshalb hatte ich immer 50 vollgefüllte Kanister im Wagen verstaut. Aber der Nachteil ist: wenn Du so viele Kanister im Wagen hast, denn ist für nichts Andres mehr Platz. Ja kaum noch für den Fahrer. Sogar auf dem Beifahrersitz saß ein Kanister. Angegurtet natürlich, wie das Gesetz es heute vorschreibt.

Wieso ich erst eine viertel Stunde vor Feierabend „angetanzt komme“, brüllte der freche Flotz vom Tüff mir an. Angetanzt??!!! „Ich hab nicht getanzt!“ Nee, angetuckert kam ich, mit kochendem Motor und schweißgebadet, so dass man meine Klamotten hätte auswringen können.
So eine Flotzigkeit aber auch! Man brüllt einen nervlich überstrapazierten Emil nicht auch noch unwirsch von die Seite her an! Weil sich das nümlich nicht gehört. Deshalb ist das. Aber das ist auch, weil man in meinem Alter von solch Gebrülle einen Schlaganfall kriegen kann. In Kopp.

Der Hauptgrund für meine fast zweistündige Verspätung war, dass ich den halben Tag lang in Kiel rumgegondelt bin. Wie ein blindes Huhn, weil ich doch gar wusste, wo ich war. Nichts war mehr wieder zu erkennen. Außer die Ostsee. Die ja. Die hab ich sofort erkannt, weil die wull auch das Einzige war, was die modernistischen Stadtkiller noch nicht verkorkst und vermurkst hatten. Aber der Rest war verwüstet wie Sodom und Gomorra. Nicht mal meine alte Kneipe war mehr zu finden. Aber das war vielleicht auch gut so, denn es kann einen ungünstigen Eindruck wecken, wenn Dir bein Tüff eine Fahne vorausweht. Zwar wird der Zustand des Autos, nicht der des Fahrers geprüft. Aber wenn sie Dir für einen Süffel halten, können sie leicht denken, dass Du Dein Auto vernachlässigen tust. Wenn Du also plietsch bist, denn fahr man immer schön nüchtern zun Tüff.

„Rein in die Halle! Aber büschen Hopp!“ Auf so einen Ton war ich innerlich gar nicht vorbereitet. „Der verrückte Kerl ist wull vons Militär“, dachte ich.
„Ob ich Brandstifter oder Terrorist bin“, fragte mir der Flegel und deutete auf die Benzinkanister.
Aber das ist, weil die jungen Leute keinen Geschichtsunterricht mehr in die Schulen bekommen. Deshalb wissen sie nicht, dass ein Adelsmann nie Terrorist ist. Verschwörer, das schon ehrer mal, aber Terrorist nie.
„Die müssen alle raus!“
„Aber wozu denn?“
„Damit ich Reservereifen, Verbandskasten und Warnungsdreieck überprüfen kann. Außerdem will ich mit dieser Bruchkiste nicht auch noch in die Luft fliegen!“
„Ja aber … Reservereifen, Verbandskasten, Warnungsdreieck. Das kennt man doch aufs Land alles gar nicht.“
„Die Kanister müssen trotzdem raus, damit ich mich selbst davon überzeugen kann.“

Das war vielleicht eine Schufterei! Ich war so fertig: ich hätte tot umfallen können. 50 volle Kanister! Auf solche besinnungslose Plackerei war ich doch innerlich gar nicht vorbereitet.
Zu meinem Erstaunen hatte ich aber einen Reservereifen. Wo kam der denn her? Aber der zerbröckelte als der Tüffonkel ihn hochhob.
„Es fehlen Reservereifen, Verbandskasten und Warnungsdreieck!“ brüllte er mir an.
Na, mit Emil kannst sowas ja machen. Weil ich immer zu nachgiebig bin. Deshalb ist das. Vielleicht hätte ich dem Rüpel einen Kanister an den Kürbis pfeffern sollen. Aber ich war nicht ganz sicher ob das erlaubt ist. Stattdessen sagte ich:
„Na sowas! Da sind ja weder Reservereifen, Verbandskasten noch Warnungsdreieck. Jetzt seh ich das auch.“

Dann setzte sich der Rüpel in den Wagen auf den Fahrersitz und fummelte zwischen den Sitzen rum. „Was sucht der denn da?“ denk ich. Da fächelt mir der Vandale auch schon mit dem Hebel der Handbremse vor der Nase rum. „Und was ist das?“
Nee, da ist Emil ganz anders. Wenn ich im Auto fremder Menschen die Handbremse abbreche, denn vertusch ich das. Wenn ich kann. Aber ich würde doch nicht den Larry machen, dem Besitzer mit dem Hebel vor der Nase rumfächeln und verdusselte Fragen stellen: „Und was ist das?“

Ich musste einrenken. „Genosse Oberingenieur verstehen: in Norddeutschland brauchen wir doch keine Handbremsen. In die Schweizer Berge schon ehrer mal. Aber aufs Flachland nicht so. Das wäre reine Materialverschwendung.“ Die Kumpeltour brachte mir jedoch keinen Erfolg. „Handbremsen sind Vorschrift!“ brüllte der „Genosse Oberingenieur“ mit seiner Donnerstimme. „Außerdem: was machen Sie denn, wenn sie mal auf einem Hügel parken müssen?“
Hügel? Da musste ich direkt mal nachdenken, was das war. Das sind wull Schweizer Berge, bloß eben viel niedrigen.
„Denn stell ich den Wagen quer.“
Für diese Antwort – die ich pfiffig zu sein glaubte – bekam ich aber nur einen hundsgemeinen Blick, als wäre ich ein Verkehrsraudie.
Dann kam es Schlag auf Schlag.
„Wieso funktioniert das Blinklicht nicht?“
„Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht.“
„Wieso hat der Wagen kein Licht?“
„Kein Licht? Das ist ja gediegen.“ Die hinteren Lampen hatte ich an meiner Garagenwand zerquetscht, als ich einmal viel zu schnell rückwärts in die Garage gerast bin und die Bremse – wie immer öfter in letzter Zeit – Mucken machte. Dass die hinteren Lichter erloschen waren, das schien mir deshalb plausibel. „Aver wat is denn vörn schraat gahn?“ denk ich. „Da muss doch noch irgendwo ein Funken Licht zu bekommen sein“, sag ich.
Ha! Mit fielen die Augen aus dem Schuppen! Da hatten wir ja die Erklärung. Beide Scheinwerfer und beide Blinklichter waren zertrümmert. Glas und Birnen. Kein Wunder also, dass sich da nichts mehr erhellen konnte. Aber wie war denn das möglich? Richtig, die hat mir ja der versoffene Dorflümmel Ede Bratzke mit den bloßen Fäusten zerschlagen, weil ich ihn angeblich beim Rauskommen aus der Dorfkneipe geblendet haben soll. Na ja, der Ede Bratzke war immer schon büschen ruppig.

„Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott! Und mit diesem vermisteten Schrotthaufen lässt man alte Opas das Land unsicher machen.“
So drückt man sich nicht aus! „Vermisteter Schrotthaufen“ und „alte Opas“. Ich gib ja heute selber schon kleckerweise zu, dass mein schöner Wagen nicht ganz hundertprozentig in Schuss war. Aber man macht Emils Besitz nicht öffentlich schlecht. Das gehört sich nümlich nicht. Sowas kann ihn nümlich bedripst machen.

Er ging hinunter in die Grube und stocherte dort mit einem Schraubenzieher am Auspuff herum. Ja, das darf man natürlich nicht. Für diese Untat bekam der Vandale seinen gerechten Lohn, denn das ganze Auspuffsystem fiel ihm auf den Kopf und verwandelte sich zu Staub. Als der Tüffonkel wutschnaubend der Grube entstieg, war er von Kopf bis Fuß mit braunem, verrostetem Metallstaub überdeckt. Aber das hatte er davon, dass er an fremden Autos rumstocherte. „Den Misthaufen müsste man in der Ostsee ersäufen!“ brüllte er. Na, das hätte man mal ein Grüner hören sollen. Der hätte Partei für Emil ergriffen und dem Milieubanausen eine Standpredigt gehalten. Man schmeißt nümlich keinen Schrott in die Ostsee.

Der Tüffonkel kochte vor Wut, musste aber zuallerletzt noch eine Bremsprobe machen. Draußen auf dem Hof. Wie ein Verrückter raste er los. Dann aber fiel mir ein, dass die Bremse doch ihre Mucken hatte. „Pumpen!!!! Puuuuuummmmpeeeeen!!!!“ grölte ich aus Leibeskräften. Aber wenn einer so unbeherrscht kreischt wie der Tüffonkel, ist es ja auch kein Wunder, dass er Emil nicht hören kann:
„Huuuuaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!“ Krach!!! Das war die Mauer.
„Na, so schaarwark man wieder“, bölkte ich, „denn is vun de Schees bold gor nix mehr na.“ Aber mit dem konnte man ja gar keinen rationalen Diskurs führen. Wie ein Stier rannte er auf mir los, packte mir beim Kragen, schüttelte mir und brüllte: „Jetzt setzen Sie sich augenblicklich in ihre Pestkarre und verschwinden von hier oder es geschieht ein Doppelmord!“ „Ja, aber ich muss erst die Benzinkanister …“ Das aber machte er, weil ich ihm zu langsam war. „Und jetzt hauen Sie ab oder ich schmeiße Ihnen eine Fackel in die Pestkarre!!!“ Der war ja nicht mehr zurechnungsfähig. Wie kann man solche Wüteriche bein Tüff anstellen? Ich gab Vollgas.

Wieder auf der verkurvten Landstraße hörten meine Hände immer noch nicht zu zittern auf. So hatte mir das Ereignis aufgeregt. Wie sollte ich mir denn frei bewegen, wenn die mir die Fahrgenehmigung für den Wagen einziehen? Und das nur ein paar unbedeutender technischer Mängel wegen. Aber den Wagen in die Werkstatt zu bringen, würde sich vielleicht gar nicht mehr lohnen.
Ich weiß nicht mehr wie mir dann geschah. Ich muss einen Blackout bekommen haben, denn mit zitternden Händen steckte ich mir eine Zigarette an, obwohl ich sehr wenig rauchte, und im Auto niemals. Den Knall kann sich nur einer vorstellen, der einmal die Explosion einer Atombombe gehört hat. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem flachen Tümpel auf einer Kuhweide, etwa 250 Meter von meinem brennenden Auto entfernt. Die Explosion hatte die Karre in zwei Teile gespalten, so dass ich freie Flugbahn hatte. Na, ich sag immer: Glück braucht der Mensch.

Aus der Distanz konnte ich mein Problem etwas objektiver sehen. Und wenn ich ehrlich sein soll, tat mit die brennende Schrottkarre nicht leid. Wenn alle Probleme so leicht zu lösen wären! „WUMM!!!“ und weg sind sie.
schorsch
schorsch
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Re: Bein Tüff ist kein Frohsinn
geschrieben von schorsch
als Antwort auf EmilWachkopp vom 11.03.2011, 07:56:03
Gerade heute Nacht habe ich gedacht, wo denn der gute alte Emil Wachkopp sei. Und schon hat er sich meiner erbarmt ()
EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Re: Bein Tüff ist kein Frohsinn
geschrieben von EmilWachkopp
als Antwort auf schorsch vom 11.03.2011, 09:10:42
Hallo Schorsch,
das war doch, weil mir vorgestern Morgen eine Idee gekommen ist. In Kopp. Nein, „Idee“ ist das falsche Wort. Eine Erinnerung war das. Wenn ich nümlich „Idee“ sage, kannst Du leicht denken, ich erzähle hier erfundene Geschichten.

Mach’s gut,
Emil Wachkopp
Re: Bein Tüff ist kein Frohsinn
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf EmilWachkopp vom 12.03.2011, 23:49:14

aber emil, bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass deine geschichten aus dem harten leben eines emilwachkopp stammen und keine erfindungen sind.

nee, nee die wahrheit ist hart.
EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Re: Bein Tüff ist kein Frohsinn
geschrieben von EmilWachkopp
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.03.2011, 08:11:18
Ja, Plumpudding, das ist die reinste Wahrheit. Da ich überhaupt keine Fantasie besitze, kann ich ja nur Wahres berichten. Aber ins Alter flaut auch der Kopp schon immer büschen ab. Und wenn das so weitergeht, kann ich eines Tages nur noch Erfundenes berichten. Ungefähr wie die Dokumentarfilme ins Fernsehen.

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