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Plaudereien Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick

gerry
gerry
Mitglied

Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von gerry
Alles was früher in der DDR hergestellt wurde, galt bei uns im Osten als zweite Wahl
oder Imitat eines Westprodukt's.
Im Westen gab es Perlon, bei uns nur Dederon, eine DDR-Kunstfaser aus der nicht nur
die komischen Kittelschürzen und die unverwechselbaren Einkaufsbeutel hergestellt wurden,
sondern auch Damenstrümpfe und Herrenoberhemden.
Als gelernter DDR-Bürger war man gut beraten, immer solch einen Dederonbeutel bei
sich zu haben.
Es konnte ja plötzlich was zu kaufen zu geben, was es sonst nicht gab.
Die Beutel waren klein und leicht, mann konnte sie problemlos in die Hosentasche stecken.

Auch nach dem Fall der Mauer erkannte man uns daran und nannte uns "Beuteldeutsche."
Manchmal auch "Beutelgermanen."

Die bunt bedruckten Plastiktüten, die unsere Verwandten aus dem Westen mitbrachten,
haben wir zu DDR-Zeiten sorgfältig aufgehoben und wie modischen Schmuck mit uns herumgetragen.
Das waren damals richtige Schätze!
Wer damit im HO oder KONSUM einkaufen ging, war nicht irgendwer, sondern einer
mit Westkontakten.
Für die einen immer etwas verdächtig, für andere wieder beneidenswert.

Dass die Qualität im Westen immer besser war, stand für uns außer Frage.
Wie stolz waren wir auf unsere West-Nylonhemden oder die berühmte "Natoplane",
diese dunkelblauen Mäntelchen aus reinem Kunststoff, die oft so begehrt waren
wie echte Jeans.
Doch wie erstaunt waren wir als diese Qualitätsprodukte genauso wenig atmungsaktiv waren
wie unsere Dederon-Kleidungsstücke.
Dass im Westen genauso ein Mist produziert wurde wie bei uns, konnten wir lange nicht glauben.

Je weiter man nach Osten kam, umso länger hielt sich der Ruhm aller Westprodukte.
Noch Mitte der siebziger Jahre habe ich bulgarischen und russischen Freunden mit meinen
abgelegten Nylonhemden eine große Freude gemacht.
Dort galten sogar unsere bügelfreien Dederonhemden als gute, teure Westware.

1969, zum 20. Jahrestag der DDR machte uns die Regierung ein besonderes Geschenk:
Es erschien auf dem DDR-Markt eine neues pflegeleichtes und strapazierfähiges Gewebe
mit dem eigenartigen Namen "Präsent 20!"
Das war - wer konnte es ahnen - vom Produkt her genau das Gleiche wie der westdeutsche
Polyesterstoff mit dem viel schöner klingenden Namen "Trevira!"
Als Trevira im Westen nicht mehr zeitgemäß war, liefen wir zum Gespött unserer Brüder
und Schwestern immer noch im "Präsent 20" herum und ließen uns sogar Trevira-Klamotten
schenken.

Die Zeiten sind - gottlob - vorbei, heute unterscheiden wir uns, jedenfalls rein äußerlich
kaum noch voneinander.
Uns unterscheiden noch die Dialekte und die Ansichten über die TV-Programme.
Dass man hier - im Osten - weniger wild auf das "Dschungelcamp" ist, mag daran liegen,
dass wir 40 Jahre lang zum Affen gemacht wurden.

Einen schönen Tag
wünscht Gerry
Gillian
Gillian
Mitglied

Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von Gillian
als Antwort auf gerry vom 31.01.2011, 11:13:46
Lieber Gerry,
es ist soweit alles richtig, was Du schreibst .
Ich muss aber auch sagen, dass ich Manches aus der DDR-Produktion jetzt vermisse, z. B. das praktische und formschöne Cordoflam-Geschirr (Keramik)
aus Freiberg in Sachsen.
Ich besitze seit 30 Jahren ein 6-teiliges Set und benutze es heute noch gern. Es ist sowohl auf Elektro- als auch Gasherd verwendbar. Ob es auf den hochmodernen neuen Herdplatten verwendet werden kann, weiß ich nicht, da es die damals noch nicht gab.
Ich koche noch auf Gas und freue mich noch immer daran. Es sind 2 breite Kochtöpfe mit Deckel (groß und kleiner), 2 Tiegel (leider ist mir der Kleinere mal kaputtgegangen durch eigene Schuld), und 2 Milchtöpfe mit Henkel und Gießtülle.
Ich habe dieses Geschirr auch im Internet gefunden, es wurde aber als "ausgelaufenes Modell" präsentiert.
Schade!
Grüße von Gillian
kirk
kirk
Mitglied

Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von kirk
als Antwort auf gerry vom 31.01.2011, 11:13:46
Tröste dich, das ist ganz bestimmt in allen Ländern ähnlich.
Was aus anderen Ländern stammt ist oft vermeintlich besser.
So wurde bei uns oft Werbung für ein Produkt gemacht mit dem Hinweis "direkt aus USA".
In USA ist dagegen oft "kommt aus Europa" ein Werbeargument.
Schenkt man jemandem in Afrika etwas aus Deutschland oder Europa, ist das Teil mit Sicherheit "besser" als das gleiche Produkt aus dem einheimischen Laden.

Die Menschen wollen halt betrogen werden

Kirk

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eko
eko
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Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von eko
als Antwort auf kirk vom 31.01.2011, 13:08:02
Da muss ich kirk Recht geben. Immer das, was aus anderen Ländern kommt, ist (scheinbar) besser. Wir im Westen hatten auch unser Land, aus dem immer alles besser und nachahmenswert schien, nämlich U S A.
Amerika war für viele von uns das Zauberwort und was von dort kam (nicht nur irgendeine Ware!) war grundsätzlich das Bessere und Erstrebenswerte.

Als dann die Menschen in Ostdeutschland erkannten, dass sie einem Phantom aufgesessen waren, war die Enttäuschung entsprechend. Genauso groß ist die Enttäuschung darüber, dass "Amerika" nicht das gehalten hatte, was sich viele hier in der alten Republik davon versprochen hatten.

Es bringt nichts, die Enttäuschungen auf die jeweiligen Länder zu schieben, wir müssen bei uns selbst anfangen und uns eingestehen, dass wir uns eben "ge"täuscht haben.


e k o

PS:Also den Begriff "Beuteldeutsche" habe ich hier im Südwesten eigentlich nie gehört. Wir sprachen nur vom "Türkenkoffer" als unseren Plastiktüten, aber das gehört nun nicht hierher.
lupus
lupus
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Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von lupus
als Antwort auf gerry vom 31.01.2011, 11:13:46
Manche machen sich hier aber selbst zum Affen
auch durch die Umdichtung des "Beutedeutschen" ( siehe Duden)
hugo
hugo
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Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von hugo
als Antwort auf Gillian vom 31.01.2011, 11:46:58

hall Gilian,, meinst Du dieses oder ein anderes Muster ?




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hugo
hugo
Mitglied

Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von hugo
als Antwort auf Gillian vom 31.01.2011, 11:46:58
hallo Gilian,, meinst Du dieses ? (davon hatte ich mal fast sämtliche Teile )oder ein anderes Muster ?



hugo
Gillian
Gillian
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Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von Gillian
als Antwort auf hugo vom 31.01.2011, 20:38:43
Jaaaa, Hugo! Genau das!!
Ich bin gerade dabei, in einem der Tiegel Risotto zuzubereiten.
Ich hüte die restlichen 5 Teile wie meinen Augapfel. Wie Du weißt, ist mir der kleinere Tiegel mal kaputtgegangen (durch eigene Schuld).
Ich grüße dich herzlich - Gillian
lotte2
lotte2
Mitglied

Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von lotte2
als Antwort auf gerry vom 31.01.2011, 11:13:46
Ich weiß nicht .. Beuteldeutscher

irgendwie - obwohl Du ja humorvoll Realitäten beschreibst - mein Vater trug als Rentner auch stets ein Nylonnetz mit sich: es hätte ja wo was geben können - ..

aber

meine Assoziationen zu diesem Wort sind negativ....
Hier in Österreich ärgert " man" sich, wenn " man " den Ausdruck Beutelgermane auf Österreicher angewendet ( auch scherzhaft), hört...

Auch das Wort Beutelratte fällt mir ein ....


nix für ungut ....
gerry
gerry
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Re: Beuteldeutsche-ein kleiner Rückblick
geschrieben von gerry
als Antwort auf lotte2 vom 01.02.2011, 12:48:53
@lotte2 da bist Du einem kleinem Irrtum erlegen.
Euch Österreicher nannte man boshafterweise Beute-Germanen,
nachdem Euch Adolf Hitler "heim ins Reich" holte.
Also den Anschluss Österreichs an's "Großdeutsche Reich" vollzog.
Eigentlich hätte er es ja umgekehrt machen müssen, denn er war ja Österreicher.

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