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Plaudereien Der "schwarze Kanal"

gerry
gerry
Mitglied

Der "schwarze Kanal"
geschrieben von gerry
Man hat mich gefragt, warum ich das Ost-West-Thema immer wieder vorhole.
Ganz einfach, weil ich im Osten - der DDR - aufgewachsen bin, einiges zu erzählen habe, aber - um Gottes Willen - nicht die eine Seite gegen die andere "ausspielen" will.
Nichts liegt mir ferner.
Im Gegenteil, wir haben schon zu DDR-Zeiten fast nur die "ARD" gesehen, das sogenannte "Westfernsehen."
Ein Grund war der, daß wir es hier im Harz problemlos empfangen konnten und damit ein Fenster zur freien Welt war. Auch wenn Fersehgeräte von Anfang an knapp waren und man Glück haben mußte, einen zu ergattern.
Früher - zu DDR-Zeiten - haben wir nie eine Fernbedienung benutzt. Aus dem ganz einfachen Grund:
Es war für die Geräte keine vorgesehen!
Es gab Wartezeiten, wie für Autos oder Waschmaschinen.
Für meinen ersten Farbfernseher habe ich 4700.- Mark bezahlt, aber wie gesagt, eine Fernbedienung gab es nicht. Nicht mal bei dem "stolzen Preis"!

Solche ähnlichen Fragen wurden sicher zum Jubiläum des Mauerfalls wieder gestellt, in denen man in der Presse und in Talkshow's die Antwort suchte, was für ein "Ding" die DDR wohl gewesen ist.
Weil sich mit "ja" oder "nein" niemand zufrieden gab, ist der gut dran, der eine Begebenheit dazu erzählen kann.
So wie ich.
Meine Geschichte reicht in die DDR zurück, als es die Mauer noch nicht gab und die Grenze aus einem gepflügten Stück Acker bestand.

Ich war damals Student in Dresden und an den Wochenenden waren regelmäßige "Aufbaustunden" fällig um die Trümmer zu beseitigen, die uns Hitlers Krieg beschert hatte.
Natürlich war man damals "systemtreu", man glaubte an das Neue, an den "Goldenen Sozialismus", wie er uns versprochen wurde. Um das zu beweisen, zog ich mit anderen Kommilitonen in den Ferien als eine Art "Werktätiger" in die Sümpfe der Altmark - in die "Wische" - ein. Wir befreiten die Abzugsgräben von Schlamm und Strauchwerk. Mit unserer Hände Arbeit wollten wir beweisen, wie fortgeschritten unser "sozialistisches Bewußtsein" bereits entwickelt war.

Die politischen Dimensionen mußten aber täglich auf's Neue in's rechte Licht gerückt werden. Deswegen wurden wir auch nicht von unseren Dozenten betreut, sondern von einem Funktionär der Kreisleitung der FDJ. Die kümmerte sich um alles, schaffte Verpflegung heran, sorgte für Quartier und organisierte unsere Freizeitgestaltung. Diese bestand aber in der Hauptsache aus Fernsehen. Mehr war aus unseren müden Knochen sowieso nicht rauszuholen.
Die Bildschirme waren sehr klein und hatten nur drei Farben: Schwarz, weiß und grau.

"Es ist doch wohl klar, was wir gucken" schärfte uns "Stalin" ein, wie wir den Funktionär der FDJ-Kreisleitung nannten, der uns zur Betreuung zugewiesen war. "Westfernsehen ist tabu!" dabei lebten wir in Dresden schon im "Tal der Ahnungslosen". Aber schon unser Stolz verbot uns den "Schwarzen Kanal". Es war kein technisches Problem, ihn zu empfangen, denn der umgepflügte Ackerstreifen behinderte einen störungsfreien Empfang nicht, sondern nur unsere Treue zum sozialistischen Staat.
Doch es zeigte sich, daß das Bewußtsein ein wenig porös war. Daran war "Stahlnetz" schuld. Ein Krimi, vom "Klassenfeind" so gewitzt produziert, daß ihm das betonierteste Bewußtsein nicht gewachsen war.
An einem Abend klappte vor der Kulturbaracke eine Autotür und einer rief: "Stalin"!
Sofort lähmendes Entsetzen. Einer sprang auf und zeigte Geistesgegewart. Er hechtete zum Fernsehgerät und warf - in Ermangelung einer Fernbedienung den Kanalwähler herum. Eigentlich noch rechtzeitig, doch nicht rechtzeitig genug, denn Stalin war schon in der offenen Tür erschienen.
Er sah das Fernsehbild, Testbild! Er wunderte sich sicher, warum zweiundzwanzig junge Männer an einem herrlichen Sommerabend in diesem kleinen Raum saßen um zu schauen, wie auf dem Bildschirm nichts zu sehen war. Denn ein Testbild ist doch nichts, oder?

"Stalin" hatte immer Anstoß an unserer intellektuellen Überheblichkeit genommen. Nun schien er beruhigt zu sein. Wenn sich die künftige Intelligenz mit einem Testbild zufrieden gab, war wohl weiter nichts zu befürchten.

In dieser kleinen Geschichte aus meinem Lebensabschnitt werden aber gleich zwei Fragen beantwortet: Erstens, ob es in der DDR Fernbedienungen gab...Nein...
Und zweitens, ob in jedem Mitläufer auch ein kleiner Dissident verborgen war...Vielleicht...Das wage ich nicht zu beantworten. Es wäre auch zu spät, denn nun ist - Gott sei Dank - alles anders.

Einen schönen Tag
wünscht Gerry





Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf gerry vom 20.05.2010, 12:11:55
Du schreibst so verdammicht gut, Gerry, ...

möchtest Du nicht eine Gruppe gründen?
Eine Gruppe dafür, daß jeder DICH -Deine Beiträge- sofort zuverlässig gesammelt finden kann.

Sonst gehen sie doch hier im Forum verstreut unter...

Gruß -digi-
gerry
gerry
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von gerry
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.05.2010, 14:27:50
Tja digizar, eigentlich liegt es mir fern, hier eine Gruppe zu gründen.
Hier hatte ich mich ziemlich zwei Jahre zurückgezogen, obwohl ich fast täglich "reingeschaut" habe.
Damals bin ich - meiner Beiträge wegen - oft angefeindet und diffamiert worden.
Ich schreibe nur aus Freude am Spaß, nehme mich selbst nicht so ernst und möchte es dabei belassen.
Wer meine Beiträge liest und Freude daran hat, soll mir nur recht sein.
Und wenn sie anderen nicht gefallen, kann ich auch damit leben.

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benny
benny
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von benny
als Antwort auf gerry vom 20.05.2010, 15:07:40
Lieber gerry
dann schreib doch wenigstens im Blog, kannst ja als Tagebuch schreiben, da kann keiner antworten.

Lieben Gruß
benny
Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf gerry vom 20.05.2010, 15:07:40
Zwei Jahre weg?
Das ist mir auch passiert - aus selbigen Gründen.
Angefeindet, rauhes Klima.
Ich habe nicht mal reingeschaut.
Und es ist Zufall, daß ich wieder hier bin.

Und was das Schlimmste dabei war:
Gequatsche, Ratschen, gedankenloses, gehässiges, spekulatives und schadenfrohes Schlechtmachen hinter dem Rücken,
was mir nicht nur geschäftlich geschadet hat, sondern auch persönlich sehr.

Halte Dich deswegen mit wirklich persönlichen Begebenheiten zurück.
Das Forum nebst chat sind in der Hinsicht eine Judenschule übelster Art.

Der Vorschlag von Benny, einen BLOG zu bauen, die ist hervorragend.

Gruß -digi-

PS: Denka mal daran:
Was stört es die Deutsche Eiche,
wenn sich eine Sau daran schubbert -
da wird die Rinde noch dicker.
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von schorsch
als Antwort auf gerry vom 20.05.2010, 12:11:55
Dieser Beitrag reiht sich ein in jene Beweiskette, die besagt, dass auch sooo viele Jahre nach dem Mauerfall die innere Mauer noch vorhanden ist. Ich denke, es braucht Generationen um sie nieder zu reissen.....

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hugo
hugo
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von hugo
als Antwort auf schorsch vom 20.05.2010, 16:24:57
ich kann fast jeden Satz von gerrys Beitrag unterschreiben,,,,das ist eine brauchbare Art Tatsachenbericht, ohne großes ideologisches Beeinflussenwollen,,

hm schorsch ach nee,,
"Dieser Beitrag reiht sich ein in jene Beweiskette, die besagt, dass auch sooo viele Jahre nach dem Mauerfall die innere Mauer noch vorhanden ist."(schorsch)

ich finde eher das Gegenteil, denn wenn wir erst mal ohne große Aufregung, ohne inneres Besserwissen und Berichtigen wollen, solche Beiträge gelassen an uns heranlassen dann sind wir doch schon ein großes Stück weitergekommen,,

Wovor sollten wir denn Angst und Bange haben, wenn Jemand seine ureigensten Erfahrungen hier einbringt,,,auch oder sogar wenn uns mal dessen Interpretation mißfällt,,also ich könnte solcherart Berichterstattungen massenhaft ertragen ohne dabei in Unruhe zu geraten oder in Ohnmacht zu fallen oder gar eine Mauer erkennen zu müssen.

hugo
miriam
miriam
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von miriam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.05.2010, 16:20:02
Das Forum nebst chat sind in der Hinsicht eine Judenschule übelster Art.



Ich wiederhole den Satz - in der Hoffnung auf dieser Weise seinen tieferen Sinn zu begreifen...

Miriam
hugo
hugo
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von hugo
als Antwort auf miriam vom 20.05.2010, 17:18:34
hm miriam soweit ich mich erinnere wurde der Satz: "hier gehts zu wie in einer Judenschule" auch von meinen Urgroßeltern immer dann gebraucht, wenn wir mal wieder etwas Unordnung und unangepasste Lautstärke im Kinderzimmer hatten.

Da ich aber heute weiß das es tatsächlich jede menge Judenschulen deutschlandweit seit dem Mittelalter gab und das auch Synagogen nicht nur zur Andacht sondern auch für Versammlungen und als Schulen genutzt wurden (sie wurden teilweise sogar schule genannt) ist mir auch klar das ein Uneingeweihter der mal in solch eine " Versammlung" geriet in der es diskussionsmäßg hoch her ging,,,,zu falschen Schlüssen kommen konnte,,
Naja und was vor und in der Nazizeit daraus gemacht wurde sollten wir auch entsprechend werten können.

hugo
gerry
gerry
Mitglied

Re: Der "schwarze Kanal"
geschrieben von gerry
als Antwort auf schorsch vom 20.05.2010, 16:24:57
Da irrst Du aber gewaltig, schorsch.
Bei mir ist nie eine "Mauer im Kopf" gewesen und die reale Mauer habe ich genauso verflucht, wie jeder anständige Deutsche.
Es muss doch aber möglich sein, kleine Teile einer Lebensgeschichte hier einzubringen, ohne dass wieder das "Ost-Westgefasel" losgetreten wird.
Schließlich hatten auch wir ein Leben "vor" dem Mauerfall, indem es sicher Episoden gab, die es wert sind, erzählt zu werden.
Dich scheint es nicht zu interressieren, so frage ich mich, wo wirklich noch die "Mauer im Kopf" vorhanden ist.

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