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Plaudereien Die Welt ist in Ordnung

adam
adam
Mitglied

Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von adam
Die Welt war in Ordnung, an jenem schönen Frühsommertag als ich morgens aus dem Fenster blickte. Die frische Luft erquickte meinen Körper und das helle Blau des Himmels labte meine Seele.
Drüben auf dem Kickplatz taten die Buben das, was man auf dem Kickplatz tut, sie trainierten Kickboxen und die gleichaltrigen Mädchen übten sich, auf der danebenliegenden Rasenfläche, unter der liebevollen Anleitung ihrer Mütter, im Verbinden von Prellungen, Kratz- und Platzwunden. Das erfreute Aufheulen der Buben, wenn es zu einer Verletzung kam und das niedliche Kreischen der Mädchen beim Anblick derselben war rührend. Kinder eben!
Mein Nachbar nützte das schöne Wetter, um den gestohlenen Wagen umzuspritzen und seine fast erwachsenen Söhne reinigten im Schatten eines Sonnenschirms ihre Waffen. Kurzum, es war ein Tag, den man nicht untätig verstreichen lassen sollte und ich beschloss, die Sparkasse zu überfallen.
Ich rasierte mich sorgfältig und der Badezimmerspiegel bestätigte mir wieder einmal, dass die erschlaffte Haut um die Augen und unter dem Kinn auf zuviel angestrengte, geistige Arbeit zurückzuführen war und keinesfalls auf Mangel an Bewegung oder gar Zigaretten- und Alkoholkonsum. In dieser Hinsicht beruhigt, zog ich einen leichten Sommeranzug an, dazu passende Slipper und ein luftiger Sommerhut vervollständigten mein Outfit. Ich war bereit, mein Tagwerk zu beginnen. Meine Frau musterte mich anerkennend und bat mich, auf dem Rückweg von der Bank, am Bahnhofskiosk die aktuelle Fernsehzeitung zu besorgen.
Als ich das Haus verliess, schoss mir einer der Nachbarssöhne den Hut vom Kopf und ich musste alles daran setzen, dem besorgt herbeieilenden Vater zu versichern, dass dies für mich kein Problem sei, denn so sei sie halt die Jugend und wir seien schliesslich auch einmal jung gewesen. Der sympathische Mann, mit den listigen Schweinsäuglein, schalt seine Söhne wegen der unnötig verschossenen Munition und reparierte meinen perforierten Hut mit Klebeband. Während dieser Beschäftigung kamen wir ins Gespräch und debattierten darüber, welch ungeheuere Löcher die Anschaffung eines neuen Wagens in die Haushaltskasse riss. Allein das Besorgen der Waffen hatte ihn knappe tausend Euro gekostet, ganz zu schweigen von den Unannehmlichkeiten bei der nächtlichen Beschaffung des Wagens, wie da sind die Uneinsichtigkeit des Vorbesitzers, die Aufdringlichkeit der Polizei und natürlich die Sonderwünsche der Ehefrau. Der geplagte Familienvater hatte mein vollstes Verständnis.
Ich beendete das gutnachbarliche Geplauder, indem ich erklärte, dass ich nun aber los müsse, um die Bank auszurauben. Dafür hatte nun wieder der Nachbar Verständnis und ich fuhr los. Im Grunde genommen tat mir der Mann leid, denn er gehörte immer noch zu den Uneinsichtigen, die alles selber machen wollen und glauben, auf diese Weise Geld zu sparen. Dabei gab es doch, gerade auf dem Gebiet der Neuwagenbeschaffung, Spezialisten, die ihren Beruf von der Picke auf gelernt hatten. Warum sollte ich mich nachts auf den Straßen herumtreiben? Allein die Suche nach dem gewünschten Modell dauerte Stunden. Der Spezialist sah in seine Kartei und da war er auch schon, der Traumwagen. Aber was sollte das Grübeln über die Probleme anderer, ich hatte meine eigenen Sorgen und an meine Arbeit zu denken.
Als erstes besorgte ich in einem Kaufhaus zwei billige Sporttaschen, die eine rotblau, die andere rotgrün kariert. Anschliessend begab ich mich an meinen heutigen Arbeisplatz und fand geschickterweise einen Parkplatz direkt vor der Kreisparkasse. Aus einem Papierkorb besorgte ich mir zwei Zettel. Auf den einen schrieb ich die Aufforderung an die Kassiererin, alle Fünfhunderter-, Zweihunderter und Einhunderternoten in der rotblauen Tasche zu deponieren, da sonst etwas schreckliches geschehen würde. Auf den zweiten Zettel kam der Text, sie möge nun die Tasche, zusammen mit den beiden Zetteln, nach Außen reichen und dann die Kundschaft weiter bedienen als sei nichts geschehen. Als ich diese Schreibarbeit beendet hatte, wartete ich geduldig. Meine Geduld wurde nach einer guten Stunde belohnt als sich eine verwegen aussehende, männliche Gestalt anschickte, die Kreissparkasse zu betreten. Hurtig war ich aus dem Wagen und es gelang mir, vor dem Verwegenem an den Schalter zu kommen. Die Kassiererin wandte mir den Rücken zu als ich an der Reihe war und ich konnte den ersten Zettel plazieren. Sie las ihn, erschrak und fragte mich mit stockender Stimme, ob der Zettel von mir käme und welche Tasche ich meinen würde. Mit erstaunt geweiteten Augen gab ich vor, nicht zu verstehen, was sie meinte, denn der Zettel sei nicht von mir. Eigentlich wolle ich ein Sparbuch über einhundert Euro eröffnen, das ich meinem Patenkind zu schenken gedächte. Dann "fand" ich die rotblau karierte Tasche und fragte, ob diese vielleicht in Frage käme. Die gestresste Frau riss mir die Tasche unter dem Panzerglas hindurch aus der Hand und stopfte sie mit den gewünschten Banknoten voll. Dabei war sie so beschäftigt, dass ich den zweiten Zettel in Position bringen konnte. Mit rotem Kopf stopfte sie ihn, zusammen mit dem ersten, auch in die Tasche und schob sie mir zu. Zögernd ergriff ich die Tasche und deutete mit rollenden Augen und nervösem Kopfzucken auf den Verwegenen hinter mir. Jetzt war die Welt der Kassiererin wieder im Lot. Nicht der adrett gekleidete, freundliche Herr war der Räuber, sondern der, der bestimmt so roch, wie er aussah. Um ihren Eindruck zu bestätigen tat ich so als reichte ich die Tasche nach hinten weiter. Mit zitternden Händen stellte mir die Kassiererin noch das Sparbuch aus, ich zahlte einhundert Euro ein und verliess, die rotblaue Tasche unter dem Jackett verbergend, die Sparkasse.
Gemächlich schlenderte ich zu meinem Wagen, auf dessen Kühlerhaube gerade ein etwa dreijähriges Kind, undefinierbaren Geschlechts, zum Entzücken der neben ihm stehenden Mutter, ein Punkt-Komma-Strich-Gesicht in den feinen Staub malte. Die Mutter des Kindes wartete meinen Kommentar gar nicht erst ab, sondern begann sofort, mich als Kinderfeind zu beschimpfen. Während die Alarmglocke der Kreissparkasse laut zu schrillen anfing, überschrie sie diese noch, indem sie mir, hysterisch kreischend, erklärte, dass sie die Kreativität ihres Kindes nicht wegen ein paar lächerlicher Lackkratzer einzuschränken gedächte.
Höflich den Hut hebend, begrüsste ich die ersten Polizeieamten, die aus ihrem Dienstwagen sprangen und mit gezogenen Waffen in die Kreisparkasse sprinteten. Während dort die Hölle losbrach, offensichtlich wehrte sich der Verwegene heftig, erkärte ich der wütenden Mutter, dass ich die künstlerische Ader ihres Kindes durchaus anerkennen und meinen Wagen nie mehr waschen würde. Die Frau beruhigte sich etwas und wandte sich wieder ihrer genialen Leibesfrucht zu, die inzwischen das Polizeiauto verschönerte.
Endlich in meinem Wagen, packte ich mein Gehalt in die rotgrüne Tasche um. Eben wurde der Verwegene in Handschellen abgeführt, da startete ich meinen Wagen und lenkte ihn Richtung Heimat. Unterwegs entledigte ich mich der Rotblauen, hielt noch am Bahnhofskiosk, um für meine Frau die Fernsehzeitung zu kaufen und fuhr dann heim.
Der Nachbar war mit der ersten Lackschicht fertig und versuchte nun, die verräterische Nummer aus dem Motorblock zu stemmen. Im Stillen bezweifelte ich die Wirksamkeit seiner Arbeit, lobte aber seine Bemühungen. Dann brachte ich das Geld zu meiner Frau, wie es Millionen treu sorgende Männer machen. Sie tat zwar so als sei sie eher auf die Fernsehzeitung erpicht, schüttete das Geld dann aber doch auf den Küchentisch und lobte meinen Fleiss. In die leere Rotgrüne packte ich meine Sportschuhe, bestückte sie noch mit dem neu eröffneten Sparbuch und brachte sie wieder ins Auto.
Während meiner Abwesenheit hatte meine Frau die verräterischen Baderolen der Geldscheinbündel verbrannt. Erleichtert, meine Arbeit beendet zu haben, schlüpfte ich in Freizeitkleidung und begab mich, mit Besen und Schaufel bewaffnet, in den Hof, um die toten Vögel zu beseitigen, die die nette, alte Dame aus dem ersten Stock vergiftet hatte. Die Vogelplage war schlimm in diesem Jahr und besonders die Schwalben zerkratzten mit ihren scharfen Krallen immer wieder die Fenstersimse. Es gab zwar ein paar militante Tierschützer, die behaupteten, die Kratzer seinen gar keine Kratzer, sondern Lackablösungen durch den saueren Regen, aber das war natürlich Unsinn. Ich konnte am Regen nichts ungewöhnliches entdecken und sauer schmeckte er schon gar nicht.
Zurück in der Wohnung sah ich vom Küchenfenster aus einen Polizeiwagen vorfahren. Die falschen Schlüsse ziehend, verschanzte sich der Nachbar samt Söhnen sofort in seinem Haus und seine Gattin erschien, eine weisse Parlamentärsflagge schwingend, um mit den Beamten zu verhandeln. Sie wechselten aber nur wenige Worte und dann zeigte die Nachbarsfrau mit der Fahne auf mich.
Als die Polizisten klingelten, bat ich sie in die Küche und als sie mißtrauisch das Geld beäugten, erklärte ihnen meine Frau, wie lästig es sei, jeden Monat das Geld ihrer Mutter vom Konto abzuheben und zu zählen, nur weil die alte Dame kein Vertrauen zur Bank hätte. Einer der Beamten nickte und erzählte, daß er eine Tante habe, die ähnlich uneinsichtig sei. Dann fragten sie aber doch nach der rotblauen Tasche und ich führte die Beamten zu meinem Wagen, wo ich ihnen die Rotgrüne samt Turnschuhen und Sparbuch zeigte. Sie sahen ihren Irrtum ein und wir sinnierten noch eine Zeitlang über das Problem, wo der Verwegene, in der kurzen Zeit bis zum Eintreffen der Polizei, das geraubte Geld wohl verstecken hätte können.
Der Nachbar hatte seine Stemmarbeit wieder aufgenommen und ich riet ihm, es mit der Flex zu versuchen. Auf dem Weg zum Haus kam mir meine Frau entgegen und verlangte den Autoschlüssel, da sie das Geld zur Bank bringen wollte und ich begab mich wieder ans Küchenfenster, um den Tag zu genießen. Ja, die Welt war wirklich in Ordnung, an diesem wunderschönen Frühsommertag.

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adam

marianne
marianne
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von marianne
als Antwort auf adam vom 29.02.2012, 10:02:48
Adam,
das tat gut nach solcherlei Dingen wie "die geheimnisvolle Wissenschaft des
Guten!"... und ähnlichem!
Karl
Karl
Administrator

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von Karl
als Antwort auf adam vom 29.02.2012, 10:02:48
@ Adam,


lass uns mehr an Deinem Schreibtalent teilhaben.

Karl

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hafel
hafel
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von hafel
liest sich locker wie ein J.M. Simmel. Sehr kurzweilig.

Hafel
val
val
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von val
als Antwort auf Karl vom 29.02.2012, 17:51:31
@adam

Macht Spass zu lesen, diese amüsante ironische Geschichte!

Gruss Val

adam
adam
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von adam
als Antwort auf val vom 29.02.2012, 18:16:35
Danke Val u.a.

Ob man sich die Welt gut oder schlecht redet; wenn man es so tut, wie sie einem zupasskommt, liegt man immer falsch.

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adam

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Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 29.02.2012, 10:02:48
Adam,

ich gratuliere Dir!!!

Und ich hoffe, dass wir noch mehr von Dir lesen dürfen.

In jedem Fall Danke für diese kurzweilige Geschichte mit tiefsinnigem Inhalt.

Meli
luchs35
luchs35
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von luchs35
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 29.02.2012, 22:44:45
Olala, Adam, kam jetzt erst dazu deine Geschichte zu lesen, aber ich bin begeistert ! Ich hoffe, es war keine Eintagsfliege, sondern der Startschuss zu noch mehr solcher Geschichten. Nimm mich das nächstemal mit, ich trag auch die volle Tasche

Luchs
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von silhouette
als Antwort auf luchs35 vom 29.02.2012, 23:06:24
Dem schließe ich mich voll an. Eine zauberhafte Geschichte, auch wenn sie weniger kommentiert wird als............na ja, du weißt ja schon.
Bitte mehr davon!
loretta
loretta
Mitglied

Re: Die Welt ist in Ordnung
geschrieben von loretta
als Antwort auf adam vom 29.02.2012, 10:02:48


Oh là là, welch verborgenes Talent doch in dir schlummert, lieber adam

I am amused Thank you for nice scattering

loretta

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