Forum Allgemeine Themen Plaudereien Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"

Plaudereien Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"

Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Medea vom 27.12.2013, 12:10:09
Zum Thema political correctness ist immer wieder mal in den vergangenen Jahren hier im ST diskutiert worden. Auch ich lasse mir von selbsternannten Moralisten nicht aufoktroyieren, daß ich z.B. ein mir von Kindesbeinen an vertrautes Gebäck nun gefälligst nicht mehr Mohrenkopf zu nennen habe, weil daraus eine rassistische Gesinnung sichtbar würde und das Wanderlied Lustig ist das Zigeunerleben aus den gleichen Gründen nicht mehr zu singen habe.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie das Kinderbuch "Der Struwwelpeter" den Kleinen nicht mehr gezeigt noch vorgelesen werden sollte, es sei zu grausam und einen tintenschwarzen Mohren gab es auch noch darin.

Seit vielen Jahren bin ich mit einer Sinti-Familie befreundet, die überhaupt nichts von den Roma halten und sich selbt als Zigeuner bezeichnen.

Übermoral lese ich in dem Beitrag von Adam. Das kann ich unterstreichen, diese P.C. interessiert mich nicht.

ich finde medeas beitrag gut, weswegen ich mir erlaube, ihn zu zitieren.

political correctness kommt in bezug auf sprache einem verbot nahe.
eine sprache lebt und darf nicht verordnungen von oben unterliegen.

neue wortschöpfungen kommen, bleiben, erfahren oft sinnveränderungen
... oder verschwinden wieder.
besonders schnell verschwinden sie, wenn sie als unangenehm empfunden werden.

als falsch empfinde ich es, eine bestehende sprache mit system zu durchforsten und ausdrücke, die im sprachgebrauch sind, plötzlich als unangemessen darzustellen.

beispiel: in dem thread "87-jährige schwarzfahrerin in den knast?" ging es ab seite 4 sogar darum, ob die bedauernswerte frau sowohl im st als auch in den medien "oma" genannt werden dürfe.
(nebenbei, ich fand keine stelle, wo "oma" böswillig gemeint war.)

political correctness geht aber mittlerweile noch weiter und mischt sich in die gestaltung des privatlebens ein (z.b. veggie-day).

m./.
.
Shenaya
Shenaya
Mitglied

Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von Shenaya
Zwischen einem mehr oder weniger trotzigen

"Das haben wir schon immer gesagt!"
oder
"Ich lasse mir doch den Mund nicht verbieten!"

und bestenfalls

"Mein Gott, ich mein' das doch nicht böse!"
(oder aber in unverbindlicher, passiver Form und möglicherweise stellvertretend für alle vermeintlich sprachlich Gleichgesinnten )
"Mein Gott, das ist doch nicht bös' gemeint!"

habe ich in meinem Leben schon so ziemlich alle Argumentationen zum Thema "Diskriminierung in der Sprache" gehört, finde sie teilweise auch hier wieder und muss hin und wieder den Kopf schütteln über die Verbissenheit, mit der sprachlich eindeutige Diskriminierungen verteidigt werden.

Wie bereits in diesem (und in mehreren anderen Threads im ST) immer wieder betont wurde:

- Wichtig ist meiner Meinung nach nicht, was oder wie der "Sender" es meint, sondern, wie der "Empfänger" es aufnimmt, diese Form der "Ansprache" empfindet.
Dass es Ausnahmen gibt, die sich - insb. im "subkulturellen" Bereich - gerne selber als "Nigger" oder sonstwie bezeichnen, bestreite ich nicht.

- Entscheidend, und das wurde in diesem Thread schon erwähnt, ist tatsächlich die Intention des "Senders".
Soll mit dem Wort eine versteckte Botschaft übermittelt werden oder werden Begriffe wie "(komische) Alte, Jude, Opa, Zigeuner oder Negerlein" einfach nur mit einem Maß beharrlicher Instinktlosigkeit, unbedarft oder aus reiner Gewohnheit verwandt. Das gilt es zwar zu unterscheiden, aber im letzteren Falle bleibt mir dann eben nurmehr ein bedauerndes Achselzucken.

Sprache ist u.a. nicht nur ein gewaltiges Mittel der Manipulation, sondern ist, wie auch schon mehrfacht gesagt wurde, auch in ständigem Wandel begriffen. Die Sprache Shakespeares oder Schikaneders im Nachhinein "korrigieren" zu wollen, halte ich für absurd.
Wenn jedoch heute bsw. bewusst abwertende Begriffe wie "Weib" - "Mannsbild" - "Krüppel" - m.E. schon völlig zu Recht - in sprachliche Verbannung gerieten, verstehe ich die Beharrlichkeit nicht, mit der an anderen - ganze Ethnien oder Völker verunglimpfenden Begriffen festgehalten wird. Ich bin überzeugt, dass Begriffe wie Zigeuner- oder "sonstiges" Schnitzel sich irgendwann genau so erledigt haben werden wie "Negerküsse".

Sprache deckt auf, welche Vorurteile in uns schlummern. Sprache kann m.E. aber auch sehr wohl langfristig Denkweisen verändern oder zumindest beeinflussen.

Aber was soll's, da dieses Thema an anderer Stelle schon so häufig und ausführlich diskutiert wurde, werde ich es auch bei diesem Beitrag zum Thema belassen.

Einen guten und fröhlichen Start
ins letzte Wochenende des Jahres
uns "Alten" hier,
die wir - so meine ich zuversichtlich -
es doch mehrheitlich "g'wiss ned bös' meinen".

Shenaya, die völlig schmerzfrei auf einen bestimmten Wortschatz verzichten kann.
Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 27.12.2013, 23:44:46
Hi adam,

ich habe den Artikel mehrfach gelesen, auch wieder als ich ihn hier einstellte. Es ist mir klar, daß ich einen Aspekt der p.c. herauspicke, auf den ich besonders allergisch reagiere. Ich bin auch nicht zu 100 % mit dem Artikel einverstanden, fand ihn aber trotzdem lesenswert. Ich habe sicher einen Anteil daran, daß sich die Diskussion in eine bestimmte Richtung entwickelt, aber ich schätze, daß das auch ohne mein Zutun geschehen wäre. Ich finde interessant, was andere aus dem Artikel entnehmen und kann damit auch meine eigene Reaktion vergleichen.

det

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margit
margit
Administrator

Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von margit
Als Kind habe ich in der Kirche dem im weißen Missionskittel an der Krippe knienden "armen Negerlein" 5-Pfennig eingeworfen, damit es mit dem Kopf nickte, ich habe "Schmiedledick" gelesen und mich vor Zigeunern gefürchtet, die kleine Kinder stehlen, ich habe das Lied "Negeraufstand ist in Kuba" gesungen – mit Begeisterung, weil darin Worte vorkamen, die ich nicht benutzen durfte.

Seit sich mein Horizont in der Schule bei den hier vielgeschmähten Oberlehrern etwas erweiterte, gehe ich anders mit der Sprache und den Inhalten, die sie vermittelt, um. Deshalb stört mich auch der Vergleich von Else hier so. Begriffe wie Neger und Bettler werden kombiniert – wie in alten Zeiten. Sprache bildet unser Denken ab – deshalb will ich auch bewusst und sorgfältig mit ihr umgehen. Alte Sprachstrukturen zu hinterfragen und wenn nötig zu korrigieren ist für mich wichtig. Ich hoffe, dass ich davon auch meinen Schülern etwas weitergeben konnte.

Margit
Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Shenaya vom 28.12.2013, 09:01:32
Wichtig ist meiner Meinung nach nicht, was oder wie der "Sender" es meint, sondern, wie der "Empfänger" es aufnimmt, diese Form der "Ansprache" empfindet
Und genau dieser Gedanke läßt den Sprecher total hilflos zurück. Er kann nicht wissen, was im Kopf des anderen vorgeht, was der bei bestimmten Begriffen für Bilder im Kopf hat. Eines der einfachsten Beispiele dafür ist das Wort "Baum". Man frage 10 Leute, was sie sich bei "Baum" vorstellen, und man wird 10 unterschiedliche Antworten erhalten.

Ich bin nicht für die Bilder im Kopf eines anderen verantwortlich und wenn der es partout falsch verstehen will, dann bin ich dagegen machtlos. Ich kann auch nicht annähernd ahnen, wo jemand anders besonders empfindliche Punkte hat. Wenn ich all das beim Sprechen oder Schreiben berücksichtigen soll, dann kann ich nur noch schweigen, weil es ja immer sein könnte, daß ich durch irgendetwas meinem Gegenüber ungewollt auf die Zehen trete.

Ich habe in meinem Job 30 Jahre lang mit dieser Zensur im eigenen Kopf gelebt und ich habe davon die Schnauze gestrichen voll. Bei jedem kritischen Gespräch mit dem Kunden dreimal jeden Satz im Kopf hin- und herdrehen, damit er bloß nicht falsch verstanden werden kann - das ist hochgradiger Stress.

Wenn jemand nicht in der Lage ist, aus dem, was ich sage oder schreibe, meine Einstellung herauszulesen und sich statt dessen an einzelnen Worten stört, dann kann er mir gestohlen bleiben.

det
Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Shenaya vom 28.12.2013, 09:01:32


- Wichtig ist meiner Meinung nach nicht, was oder wie der "Sender" es meint, sondern, wie der "Empfänger" es aufnimmt, diese Form der "Ansprache" empfindet.
Dass es Ausnahmen gibt, die sich - insb. im "subkulturellen" Bereich - gerne selber als "Nigger" oder sonstwie bezeichnen, bestreite ich nicht.

Wenn jedoch heute bsw. bewusst abwertende Begriffe wie "Weib" - "Mannsbild" - "Krüppel" - m.E. schon völlig zu Recht - in sprachliche Verbannung gerieten, verstehe ich die Beharrlichkeit nicht, mit der an anderen - ganze Ethnien oder Völker verunglimpfenden Begriffen festgehalten wird. Ich bin überzeugt, dass Begriffe wie Zigeuner- oder "sonstiges" Schnitzel sich irgendwann genau so erledigt haben werden wie "Negerküsse".



Ich bin erstaunt.

Den Begriff "Nigger" habe ich noch nie benutzt. Das war für mich immer tabu.

Die Begriffe "Weib" und "Mannsbild" hatte ich nie abwertend verstanden, werde es aber berücksichtigen.

Es ist richtig, nicht der "Sender" ist entscheidend, sondern der "Empfänger".

Da regt es mich bis zur Kratzbürstigkeit auf, wenn leichtfertig das Prädikat "Nazi" vergeben wird. Das sollte man gut verifizieren, bevor man es anwendet.

Ebenso regen mich hier Sätze auf wie dieser:
"Und dann holen wir sie aus ihren Häusern".

Das verbinde ich als einfacher Mensch sofort mit "SA-Sprech".
Dazu war mein Geschichtsunterricht zu intensiv.

Wie gesagt, nicht der Sender entscheidet, sondern der Empfänger.
Bei dem Empfänger (Leser) stellt sich das Unbehagen ein.
Nicht beim Sender.

nordstern

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adam
adam
Mitglied

Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von adam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 28.12.2013, 11:25:30
Wie gesagt, nicht der Sender entscheidet, sondern der Empfänger.
Bei dem Empfänger (Leser) stellt sich das Unbehagen ein.
Nicht beim Sender.
geschrieben von nordstern


So sehe ich das auch, nordstern und in diesem Sinn bedauere ich das "Gesetz" der political correctness in dem Sinn, daß mir die Beurteilung von Menschen schwerer gemacht wird, die zwar political correct reden, aber trotzdem unkorrekt denken. So wird die political correctness zu einer Tarnkappe und die Forderung, sie zu befolgen hilft, daß Leute sich die Tarnkappe aufsetzen.

Womit wir beim Recht der freien Meinungsäußerung wären, die durch die Forderung nach political correctness in der Sprache eingeschränkt wird.

Denn: Die freie Meinungsäußerung ist ja nicht nur ein aktives Recht, zu sagen was man will, sondern sie ermöglicht auch, passiv zu erfahren, wie andere denken.

--

adam
Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 28.12.2013, 11:25:30
Die Begriffe "Weib" und "Mannsbild" hatte ich nie abwertend verstanden, werde es aber berücksichtigen.
geschrieben von nordstern
Siehste, da haben wir noch ein schönes Beispiel dafür, daß der Sender nicht wissen kann, was bei bestimmten Begriffen im Kopf des Empfängers vor sich geht. Erst recht nicht ist der Sender pauschal dafür verantwortlich, was der Empfänger versteht. Warum "Weib" und "Mannsbild" abwertend sein sollen erschließt sich mir beim besten Willen nicht. Es sind veraltete Begriffe, die heute kaum noch jemand benutzt und die ich ausschließlich als neutral kenne. Bei dem Begriff "Mannsbild" assoziiere ich als erstes das "bayerische Mannsbild" oder das "gestandene Mannsbild". Was daran negativ oder abwertend sein soll, das weiß Shenaya allein. Ich kenne jedenfalls niemanden, der das abwertend benutzt und ich glaube absolut nicht, daß eine Mehrheit den Begriff negativ versteht. Aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ist er ohnehin verschwunden und die Idee, daß das passiert sein, weil er negativ besetzt sein, halte ich für sehr weit hergeholt. Bei dem Wort "Weib" habe ich spontan überhaupt keine Assoziation. Es gibt bösartige Formulierungen wie "altes Weib", aber die sind doch nicht nicht zwingend mit dem Wort "Weib" verbunden.

Ich bin Shenaya dankbar, daß sie dieses Beispiel dafür geliefert hat, daß der Empfänger oft genug für seine negativen Assoziationen selbst verantwortlich ist und daß den Sender nicht die geringste Schuld daran trifft.

det, sich beruhigt zurücklehnend
Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 28.12.2013, 12:19:27
Genau so empfinde ich es auch bei dem Begriff "Weib".

Das kann mit negativem Attribut versehen werden, z.B. "zänkisch".
Aber auch, in meinen Augen, positivem Attribut, nämlich "gestandenes Weib".

Aber es ist ein, nicht negativ besetzter, Begriff aus früherer Zeit.

Ich werde es zukünftig vermeiden, aber umso kratzbürstiger bei der
"F-Sprache" und bei "SA-Sprech" reagieren.

Und so nebenbei:
Diese Deine Betrachtung zu dem Thema teile ich.

nordstern
adam
adam
Mitglied

Re: Ein alter, trotzdem sehr treffender Artikel zur "Political Correctness"
geschrieben von adam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 28.12.2013, 12:19:27
.....,daß der Empfänger oft genug für seine negativen Assoziationen selbst verantwortlich ist und daß den Sender nicht die geringste Schuld daran trifft.
geschrieben von det


Es ist interessant, wie unterschiedlich schon die aktive und passive Rolle beim Sprechen beurteilt wird.

Aber ich denke nicht, daß dem Empfänger die Verantwortung dafür aufgebürdet werden kann, wie der Sender sich ausdrückt. Allerdings würde ich die Überempfindlichkeit mancher Zuhörer auch kritisieren.

--

adam

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