Forum Allgemeine Themen Plaudereien Ein längerer "Besuch".

Plaudereien Ein längerer "Besuch".

gerry
gerry
Mitglied

Ein längerer "Besuch".
geschrieben von gerry

Wieviele Jahre liegt das nun schon zurück?
Ich war noch ziemlich jung und "knackig".
Wir hatten Familienzuwachs bekommen.
Nichts Kleines, nein, was da auf uns zukam, war schon ein größeres Problem.
Unsere Tochter besuchte damals die medizinische Fachschule und ging in die Semesterferien.
Anscheinend hatte sie dort einen jungen Mann kennen gelernt - sie bezeichnete ihn als "festen Freund" - und ihn zu einem längeren Besuch eingeladen.
Da es uns wichtig war, ihren Umgang kennen zu lernen, stimmten wir zu.

Eines Nachmittags klingelte es an der Haustür und ich ging öffnen.
Vor mir stand ein langhaariges Wesen im Hippie-Look.
Wo man das Gesicht vermuten müßte, waren nur Haare: "Guten Tag, ist Sabine da?"
"Kommen Sie rein, junger Mann" der Stimme nach schien es wirklich um einen zu handeln "Sabine ist im Garten, gehen Sie ruhig durch."
Er blieb natürlich.
Sollte er doch, er war schließlich der Gast meiner Tochter und ich war stets ein toleranter Mensch und Vater.
In der Folgezeit traf ich ihn öfter in der Wohnung an als meine Frau.

Er war ein überaus netter Kerl und schätzte offenbar die Gemütlichkeit, denn meine Biervorräte nahmen plötzlich rasant ab.
Es dauerte nicht lange, da fühlte er sich in unserem Kühlschrank wie zu Hause.
Er schien nicht nur gern zu essen, nein, er vertilgte Unmengen, um nicht zu sagen, er fraß wie ein Scheunendrescher.
Es blieb aber natürlich nicht dabei.

Wer viel ißt, den drängt es auch immer öfter auf ein gewisses Örtchen.
Gut, dazu ist es schließlich da aber auch ich sollte im eigenen Haus das Recht haben, hin und wieder meine Toilette benutzen zu dürfen.
Vor allem, wenn es ganz, ganz dringend ist.
Schließlich ist es mein Haus und mein Klo!

Ich pumpte ihnen einen Fuffi für die Disco, auf die Rückzahlung warte ich noch heute.
Als ich mir erlaubte, sie ganz dezent darauf hinzuweisen, war ich für sie plötzlich ein Spießer.
So kannte ich meine Tochter gar nicht.

Mein Rasierwasser und meine Klingen verbrauchten sich eigenartigerweise immer schneller, obwohl man niemals sah, dass er sich im Gesicht rasiert hätte.
Wo rasierte sich der Kerl denn?
Doch nicht etwas sein "bestes Stück"?
Das hieße ja, nach Abreise dieses "Besuch's, mein Rasierzeug zu entsorgen.
Von der rasanten Abnahme meines Duschgels, Haarwassers und Deospray's ganz zu schweigen.
Kaum wagte ich ein Wort zu sagen, um vor den jungen Leuten nicht als materialistisch eingestellter Konsumbitterling dazustehen.

Dann vermißte ich meine Hausschuhe.
Daraufhin kaufte ich neue und bequemere.
Seitdem waren die alten wieder da und die neuen weg.
Samstags war für mich immer Badetag.
Endlich mal nicht nur duschen, sondern ein richtiges Vollbad genießen.
Erst ließ ich die Wanne und dann mich voll laufen.
Nach einem heißen Bad war die Massage mit einem steifen Frotteehandtuch besonders angenehm.
Man fühlte das Blut durch die Adern jagen und sich selbst um zehn Jahre jünger.
Endlich wollte ich den neuen Bademantel - den mir meine Frau zum Geburtstag geschenkt hatte - einweihen.
Der Platz im Wäscheschrank war leer!
Ich rief meine Frau, die mir schonend beibringen wollte, daß der Freund meiner Tochter....
Mein Adrenalinspiegel senkte sich erst, als die Scherben unseres letzten Tellers von der Küchenwand gebröckelt war.
Erst da fühlte ich mich befreit und konnte wieder klar denken.
Leider erwies es sich als reine Zeitverschwendung, meine Tochter zur Rede stellen zu wollen.
Das Einzige, was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hatte, war ihr Wunsch, ihr Vater - also ich - würde ein bißchen mehr Toleranz zeigen.
Mir blieb die Spucke weg...
Aber sie hat dazugelernt: Heute treiben es die Freundinnen ihrer Söhne - meiner Enkel - nicht anders.
Ich sage ja nichts dazu sondern grinse sie nur an, wenn sie sich über verschmierte Handtücher
oder schwarze Haare in ihrer Haarbürste aufregt.

Einen schönen, streßfreien,
nicht zu heißen Tag
wünscht Gerry



caya
caya
Mitglied

Re: Ein längerer "Besuch".
geschrieben von caya
als Antwort auf gerry vom 21.07.2010, 15:22:06
Lieber Gerry,

als ich dich von weitem kommen sah, hab ich mir schnell meinen neuen Hut aufgesetzt (Haare waren vom Sonnenbaden zerzaust) meine Kaffeetasse geschnappt und paar Kekse neben den Laptop gelegt

ich wußte doch, dass es ein paar vergnügliche Minuten beim Lesen deiner Geschichte geben würde, so war es dann auch

Danke!

und deine Tochter??? und dein Schwiegersohn? Ach ja, ist ER es geworden, den du damals so freundlich in Sachen Körperhygiene unterstützt hast?

Lieben Gruß
Caya
gerry
gerry
Mitglied

Re: Ein längerer "Besuch".
geschrieben von gerry
als Antwort auf caya vom 21.07.2010, 16:19:25
Nein caya,ER ist es nicht geworden. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen.
Der Schwiegersohn wurde ein überaus sympatischer und handwerklich begabter junger Mann.
Sie schenkten mir auch zwei sympatische Enkelsöhne (22+25), die auch handwerklich begabt sind.
Gott sei Dank
Re: Ein längerer "Besuch".
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf gerry vom 21.07.2010, 17:34:42
Handwerklich begabt...
Darf bei denen auch die Frau den Meißel halten?

Anzeige