Forum Allgemeine Themen Plaudereien Eine kleine Rückschau - Lesen!

Plaudereien Eine kleine Rückschau - Lesen!

gerry
gerry
Mitglied

Eine kleine Rückschau - Lesen!
geschrieben von gerry
Haben wir früher mehr gelesen?
Ich glaube nicht, wir haben in der DDR anders gelesen als heute,weniger Schwachsinn.
Natürlich hat es mehr gedruckten Schwachsinn gegeben als heute, nur hatte der Schwachsinn
den Nachteil - oder Vorteil?- auf andere Art schlecht geschrieben zu sein.

Er war also noch viel langweiliger als die Bücher von Dieter Bohlen oder Charlotte Roche heute.

Das Material der Partei wurde in vergleichbarer Höhe gedruckt aber nicht gelesen.
Sie wurde allenfalls - so nannte wir es - "studiert", also gebündelt und zum Altstoffhandel gebracht.
Früher gab es für jedes Kilo Altpapier ganze acht Pfennig.
Heute zahle ich für meine Papiertonne und die Tageszeitungen von heute sind - schon wegen
der vielen Werbung - viel schwerer als unsere dünnen Blättchen von damals.

Die "vielen" Zeitungen und Zeitschriften, die es in der DDR gab, hatte man schnell durchgeblättert.
Was darin stand, konnte man meist schon auswendig.
Wozu sollte man es noch lesen?
Insofern hat das "Neue Deutschland" - Parteiorgan der SED - weniger Schaden angerichtet
als die Boulevardblätter von heute.
Auf das, was im "ND" stand, fiel man nicht so schnell herein.

Die so gewonnene Zeit nutze man eben um Bücher zu lesen.
Sogar Lyrikbände erreichten hohe Auflagen die nicht nur gekauft sonden auch gelesen wurden.
Die Gedichtbände von Eva Strittmatter oder Volker Braun waren das, was man heute Bestseller nennt.
Den größten Erfolg aber hatten immer die Bücher und Schriftsteller, die sich kritisch
mit der DDR auseinandersetzten.
So suchten wir in der Literatur, was wir in der Presse nicht fanden.
In diesem Punkt waren wir nicht sehr wählerisch, manche langweiligen Bücher kauften wir nur,
weil darin "kritische Stellen" waren.
Manchmal nur wenige Sätze, die an der Zensur vorbeigeschmuggelt waren.
Auf die wiesen wir uns gegenseitig hin und so kam es, dass solche Bücher schnell vergriffen waren.
Bei den niedrigen Verkaufspreisen von guten oder schlechten Büchern war es nicht schlimm,
wenn man sich mal vergriff.

Wenn ich allerdings heute nochmal in diese Bücher schaue und die Stellen lese, wegen der ich
sie damals gekauft habe, muss ich mich oft wundern.
Ganz simple Allerweltsweisheiten sind es und deren ganzer Wert bestand darin, dass man
sie nicht aussprechen durfte.
Also war doch nicht alles gut an unseren Büchern von damals.
Aber eben auch nicht alles so schlecht wie das, was heute auf manchen Bestsellerlisten steht.

Dass manche Bücher früher zur "Bückware" gehörten, trug sehr zu ihrer Verbreitung bei.
Und natürlich der geringe - subvenionierte - Preis.
Das Überangebot von heute schreckt mich manchmal ab!
Der Buchmarkt ist so unübersichtlich geworden, dass man sich kaum noch zu Recht findet.
Früher lasen wir, um etwas zu erfahren über die - uns umgebende - Wirklichkeit.
Heute lesen wir eher, um uns von der Wirklichkeit abzulenken.
Und das geht natürlich viel leichter mit bunten Blättern als mit anspruchsvoller Literatur.

Einen schönen Tag
wünscht Gerry


clara
clara
Mitglied

Re: Eine kleine Rückschau - Lesen!
geschrieben von clara
als Antwort auf gerry vom 06.02.2011, 11:29:20
Gerry,

was Du schreibst, schilderten meine Freunde aus der DDR ähnlich. Es wurde allgemein mehr gelesen, weil Bücher ziemlich preiswert waren.
Ich habe viele deutsche Klassikerausgaben vom Aufbau Verlag im Bücherschrank stehen, bei denen die Vor-oder Nachworte für Westler besonders interessant waren. Wurde doch fast jeder Autor irgend wie mit dem Sozialismus in Verbindung gebracht, egal, wie lächerlich sich das manchmal las!
Bis zur Wende bekam ich so auch fast alle bedeutenden neueren Bücher, z. B. Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." oder Kants "Aula". Auch Übersetzungen neuer Literatur aus dem Ostblock.

Unbedarft wie ich war und unbedacht, stopfte ich ein Mal mein Weihnachtspäckchen an die Freunde mit Zeitungspapier aus (wie ich es sonst gewohnt war). Es kam ungeöffnet an und löste große Freude aus - klar, der Inhalt auch, aber die westliche Zeitung war's hauptsächlich! Auch die Stellenangebote, Werbung usw. wurden interessiert gelesen.

Schwachsinn so oder so - zum Glück muss man ihn nicht lesen!

Clara

Anzeige