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Plaudereien Mein lebensbedrohliches Leiden.....

gerry
gerry
Mitglied

Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von gerry

Beim Bau unseres Kaminschornsteins war mir ein großer Stein auf den Fuß gefallen. Ziemlich schmerzhaft und nur mit Turnschuhen.
Das Laufen fiel mir schwer, irgendwie wurde der Schuh zu eng.
Meine Frau hatte - in weiser Vorraussicht - den Notarzt verständigt, der auch schnell kam, sich den Schaden ansah und einen Krankenwagen rief.
Mein letztes Stündlein schien gekommen.
Dann endlich ab ins Krankenhaus, in die Notaufnahme.
Die Sanitäter setzten mich in einen Rollstuhl und ließen mich - immerhin mit guten Wünschen - allein auf dem Flur zurück.
Schwestern und Ärzte eilten an mir vorüber, übersahen mich aber, würdigten mich keines Blick's.
Bei anderen Gelegenheiten hatte ich schon beobachtet, wie salopp - um nicht zu sagen: unsensibel - viele Ärzte mit alten Leuten umgehen.
Sicher denken sie: Die haben ihr Leben gelebt, da kommt nicht mehr viel. Warum sollen sie der Gesellschaft weiterhin zur Last fallen?
Eine verdeckte Abwrackprämie würde mich nicht mehr wundern, gezahlt von Rentenversicherern an Ärzte, die die Restlaufzeit alter Menschen ebenso behutsam wie fachmännisch verkürzen.
Also ließ man mich warten, zog sogar andere Patienten vor, sogenannte "Notfälle".
Dabei war ich mit "Leuchtreklame und Musik" - Blaulicht und Martinhorn - eingeliefert worden. Vielleicht mußte der Fuß amputiert werden? Nicht auszudenken, in meinem Alter!
Aber hierlassen würde ich ihn nicht. Auf keinen Fall! Ich würde ihn in Formalin einlegen, schmücken und in die Schrankwand stellen.
Wer mich über 75 Jahre durch's Leben getragen hat, verdient einen Ehrenplatz und landet nicht auf einer Müllkippe.
Irgendwann wurde dann doch "Hämatom Digitus primus" ins Behandlungszimmer gerollt. Das hörte sich ja kreuzgefährlich an, der arme Patient tat mir leid.
Das war ich!
Ich war gemeint...Bluterguß im großen Zeh!
Das hört sich vielleicht nicht so spektakulär an, aber, wer kennt die Schmerzen, nennt die Qualen?
Und der Doktor vermehrte sie noch!
Anscheinend glauben auch Mediziner, alte Leute seien nicht nur verlangsamt in ihren Bewegungen und im Denken, sondern auch gedämpft in ihrem Schmerzempfinden.
Der junge Arzt bohrte mir jedenfalls gnadenlos Löcher in den Zehnagel, daß das Blut nur so spritzte - na gut - tröpfelte.
Obwohl ich mein Gesicht aufs schmerzlichste verzerrte und mit lautem Stöhnen auf mein Leiden aufmerksam machen wollte, fand sich keine hübsche, junge Schwester, die sich zwischen Doktor und meinem Zehennagel warf ("Bitte Doktor, sehen Sie nicht, daß der arme, alte Mann leidet, fast im Sterben liegt?
Tun Sie ihm doch nicht noch unnötig weh.")
Aber es geschah nichts dergleichen. Die Welt ist eben kalt geworden.
Aber, ich habe es überlebt!
Die wichtigste Lehre aus meiner Endzeit-Erfahrung: Man muß vorbereitet sein!
Bisher hatte ich nichts geregelt.
Weder meine verfänglichen CD's oder USB-Sticks versteckt oder sehr freie und eindeutig-zweideutige "Mails" verschiedener Internet-Flirts vom PC gelöscht noch meine Münzsammlung geordnet.
Mein Testament bedarf ganz dringend einer Überarbeitung, schon wegen der Rechtschreibreform.
Da bin ich korrekt bis zum Letzten, eben sturer Ostpreuße.
Natürlich wäre es für einen guten Abgang auch schön, ein paar originelle letzte Worte zu haben, die man der Familie, oder besser noch, der ganzen Menschheit hinterlassen kann.
Wieso fragt mich der Arzt nicht, ob ich nicht einen letzten Wunsch habe?
In der letzten Stunde fällt mir unter Garantie nichts mehr ein.
Die Sprüche berühmter Persönlichkeiten bieten mir auch nicht die richtige Orientierung.
Bei den heutigen Energiepreisen hätte Goethe wohl kaum "Mehr Licht" gefordert.
Ich persönlich neige eher dem Ausspruch zu, den der letzte sächsische König bei seinem erzwungenen Abschied aus Dresden seinem Volk zugerufen hatte: "Macht doch eiern Dregg alleene."
Nun merke ich aber, es ist noch nicht soweit, noch längst nicht soweit.
Der Zehennagel hat sich prächtig erholt.
Ich brauch das schwer verletzte Bein nicht mal mehr hochlagern.
Einen Gehgips hatte der Arzt von vornherein abgelehnt.
Der sieht mich hoffentlich nieee wieder!
Mir geht es schon viel besser. Richtig gut sogar!
Hoffentlich läßt mich die Schweinegrippe aus...
Wo ist die eigentlich abgeblieben??? War wohl eher eine Erfindung der Pharma-Konzerne? Oder doch nicht?
Es spricht aber kein Mensch mehr davon!
Wenn ich mir vorstelle, ich mit 'nem Kringelschwänzchen.
Nee, das stelle ich mir ganz abscheulich vor, bloß nicht dran denken...
Nun überlege ich, ob dieser Tinnef überhaupt lesenswert ist, schließlich beschreibt er mein Leiden.
Doch jetzt, wo ich diesen ganzen Mist eingetippt habe, schicke ich ihn auch ab.

Einen schönen Tag
wünscht Gerry


Manni_b
Manni_b
Mitglied

Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von Manni_b
als Antwort auf gerry vom 27.05.2010, 16:48:33
Und da sage noch einer: Männer können nichts ab.
Hut ab vor deiner Tapferkeit - durchgehalten bis zum Schluss.
So sind wir Männer eben - hart wie Kruppstahl.

Schön geschrieben. Gibt es mehr?
omasigi
omasigi
Mitglied

Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von omasigi
Lieber Gerry,
ich hab Deinen ganzen Leidensweg mit angehaltenem Atem hier verfolgt. Meine Guete was Du da mitmachen musstest.

Bin nun aber ganz erleichtert, ja ich kann sagen mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, dass es bei Dir inzwischen wieder aufwaerts geht.

Ich kann Dir nur zurufen, mach weiter so.
ein grussle
omasigi

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margrit
margrit
Mitglied

Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von margrit
als Antwort auf gerry vom 27.05.2010, 16:48:33
Lieber Gerry,
Deine Geschichte ist köstlich. Ich mußte beim
Lesen unentwegt grinsen.
Obwohl Dein Leiden ja für Dich nicht so schön
war, ist diese Leidensgeschichte köstlich zu lesen.
Vielen Dank dafür
M.f.G
Margrit
habwei
habwei
Mitglied

Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von habwei
als Antwort auf gerry vom 27.05.2010, 16:48:33


H e r r l i c h finde ich deine lebensbedrohliche Geschichte.
Ich bin ja heilfroh, dass du alles so gut überstanden hast und uns diese Schilderung geben konntest.

Ich habe mir deine Situation bildlich vorgestellt und war ja fast geneigt, dich zu bedauern.

Alles in allem eine schöne Geschichte, sehr spannend geschrieben ... und ... etwas für die Aufmunterung der ST-ler getan - danke.

-habwei-



sonja47
sonja47
Mitglied

Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von sonja47
als Antwort auf gerry vom 27.05.2010, 16:48:33
Ach Gerry

Einfach schrecklich wie Du leiden musstest und sooooh Menschen unwürdig dass Du als junggebliebener Mann im besten Alter auf dem Flur keine Aumerksamkeit, der sicher dort bereits betagten Ärzte und Schwestern gefunden hast!

Zu Deiner Absicherung eine Bitte von mir an Dich:

Da Du bereits wieder besser gehen kannst, suche Dir Krankenhäuser in denen nur junge und hübsche Pflegerinnen arbeiten aus, schreibe all die Spitäler mit den jungen Pflegerinnen in Deinen Patientenpass und lasse ihn vom Gesundheitsamt unterschreiben!

Damit Du, sollte Dir was ähnliches wieder mal geschehen, nur noch in solche Kliniken eingeliefert wirst!
Ja bitte, Ablenkung bei so sehr starken Schmerzen soll Dir gegönnt sein!

Ich bin bereits soweit dass ich beim lesen von Deinem Namen, schon zu lachen beginne, ja ja so gemein bin ich!
Grüss Dich
Sonja

Mach weiter so!
Helga1402
Helga1402
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Re: Mein lebensbedrohliches Leiden.....
geschrieben von Helga1402
als Antwort auf gerry vom 27.05.2010, 16:48:33
Ich bin noch nicht lange im Seniorentreff, die Geschichten von Gerry lese ich immer gerne.Die sind so anschaulich geschrieben als hätte man es selbst erlebt.Freue mich schon auf die nächste Geschichte.Viele Grüße Helga1402.

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