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Plaudereien Missionar aufs Arbeitsamt

EmilWachkopp
EmilWachkopp
Mitglied

Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von EmilWachkopp
Mein erster Kunde um acht Uhr morgens war der Egon … Nein, Erwin hieß er und war Maurer. Für mich heißen alle Maurer Egon, aber mir ist jetzt – wo ich schon büschen reifer in Kopp bin – klar geworden, dass das ein Vorurteil sein muss. Jedenfalls hieß er Erwin und nicht Egon, aber war trotzdem Maurer.

Maurer ist ein Beruf, den es heute wahrscheinlich gar nicht mehr gibt, wo alles in Beton gegossen ist und selbst Hochhäuser so gut wie fertig geliefert werden. Aber früher legte man noch Stein auf Stein. Und zu der Zeit war ich auf dem Arbeitsamt tätig. Das Arbeitsamt gibt es allerdings auch nicht mehr, weil man heute der Ansicht ist, dass „Arbeit“ einen so miserablen Klang hat, dass man damit kein Schwei…, niemand mehr vom Ofen weglocken kann. Heute heißt das Arbeitsamt „Agentur für libidinöse entlohnte Selbstbefriedigung.“ Jedenfalls so ähnlich. Aber damals war es noch das Arbeitsamt; und da war ich tätig. Jedoch nicht als gewöhnlicher Arbeitsvermittler, der – den Berufsberatern gleich – den Kunden immerzu irgendwelchen Müll anzudrehen pflegte. Nein, ich war Missionar.

Kein religiöser Missionar in erster Linie. Sondern ehrer so einer, der den Kunden den panischen Schrecken vor der Arbeit zu nehmen versuchte. Meine pädagogischen Möglichkeiten waren natürlich stark reduziert, weil meine Tätigkeit nicht so viel kosten durfte. Der Staat war doch damals schon so knauserig. Darum bediente ich mich sehr einfacher Methoden. Sag mal, jemand hat Angst vor Schlangen. Denn lass ich sie oder ihn erst Mal ein Regenwurmbaby streicheln, danach einen erwachsenen Regenwurm. Und denn immer längere Viecher. Wenn sich jemand von der Bauarbeit überwältigt fühlte, ließ ich ihn oder sie zuerst einmal wochenlang mit Legosteinen experimentieren, bis die Lust zur Konstruktion geweckt war. In der nächsten Entwicklungsphase durften sie Pfefferkuchenhäuser bauen und danach selber auffuttern, um oral konzentrierte libidinöse Energie mit dem Gedanken an konstruktive Arbeit zu verbinden. Wenn man es genau nimmt, war ich damals eigentlich schon viel progressiver als unsere heutigen Pädagogen. Aber – wie immer – wird Emil auch in diesem Fall um seine einzigartige historische Bedeutung betrogen.

Aber Erwin war ein komischer Fall, mit dem ich zuerst gar nichts anzufangen wusste. Er wollte die Bauarbeit aufgeben, weil er jeden Morgen verkatert erwachte. „Mein Dassel ist ganz geschwollen und rot wie eine Tomate“, erklärte er mir.

Na, ich sag nichts. Aber mehr unkomplizierte Charaktere würden in so einem Fall wahrscheinlich das Picheln aufgeben. Aber der Erwin doch nicht! Nein, der wollte eine Arbeit haben, die sich mit seiner Kübelei besser vereinbaren lässt, d.h. nicht so starke physische Anforderungen stellt. „Nach dem dritten Stein geht mir schon der Atem aus und ich muss nach Luft japsen“, veranschaulichte er sein Problem. „Erst kurz vor Feierabend komm ich wieder einigermaßen in Form.“

Na, im Prinzip würde man Erwin heute Recht geben, denn eine Arbeit, die einer sinnvollen Freizeitgestaltung so enge Schranken setzt, empfinden wir modernen Menschen als unzumutbar, ja unerträglich. Aber das Problem war jetzt: Welche Arbeit sollte ich Erwin empfehlen ohne ihn zu degradieren und damit zu kränken? Da kam mir eine Idee in den Kopf: „Ich könnte Sie als Aufsichtsrat vermitteln.“ „Was?“ sagte er und konnte vor Staunen den Mund gar nicht mehr schließen. „Gleich so ein hohes Tier? Kann ich denn das?“ „Da bin ich mir sicher.“ „Was muss ich denn als Aufsichtsrat tun?“ „Sie sitzen in einem kleinen Büro mit lauter Fenstern und geben darauf Acht, dass in der Fabrik auch tüchtig gearbeitet wird. Wenn jemand trödelt, faulenzt oder einpennt, klopfen Sie kräftig an die Fensterscheibe.“ "Und wenn ich mal einpenne?" "Dann klopft der Oberaufsichtsrat, der Sie bewacht, kräftig an Ihre Fenster." „Und das ist alles?" „Nun ...., nicht ganz. Es ist auch unerlässlich, dass Sie an jeder Frühstücks- Mittags- und Nachmittagspause teilnehmen." „Ist gebongt!“ jubelte Erwin. Er wurde und blieb „Aufsichtsrat“ bis er in Rente ging. Er schickte mir sogar einen Blumenstrauß zum Arbeitsamt.
hema
hema
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Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von hema
als Antwort auf EmilWachkopp vom 03.04.2011, 22:13:34
Hallo Emil!

Schön, dass du uns wieder mit einem Beitrag beehrst.


Deine Geschichte könnte treffender nicht geschrieben werden. Man sieht ja fast täglich wie sich unsere Gesellschaft in diese Richtung entwickelt.


Danke für die Wahrheit!


EmilWachkopp
EmilWachkopp
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Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von EmilWachkopp
als Antwort auf hema vom 04.04.2011, 19:02:04
Ich danke Dir sehr für Deine lieben Worte. Aber ich darf mich nicht besser machen als ich bin. Treffe ich mal die Wahrheit, so ist es meist ein Zufall. Ich folge nämlich immer einer Intuition, die mich manchmal auf fruchtbare Wege, manchmal auf Abwege führt. Deswegen soll auch keine Leserin, kein Leser jemals böse werden, sollte ich einmal (sehr selten, na, eigentlich so gut wie nie) Müll schreiben. Sagt Euch einfach: Jetzt ist Emil einer abwegigen Intuition gefolgt.

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hema
hema
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Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von hema
als Antwort auf EmilWachkopp vom 05.04.2011, 17:27:49
Lieber Emil!

Ich hoffe noch auf viele Intuitionen von dir.


Mit lieben Grüßen
Hema

Gillian
Gillian
Mitglied

Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von Gillian
Lieber Emil,
deine neueste Geschichte, die ich diesmal nicht oberflächlich, sondern sehr aufmerksam gelesen habe, finde ich ganz köstlich. Du hast sie mit so viel hintergründigem Witz geschrieben, dass ich auf dem besten Wege bin, auch ein Fan von Dir zu werden.
Allerdings vermisse ich seit einer Woche Deine bisherigen treuen Fans, denn nur eine hat Dir geantwortet, so dass Deine lesenswerte Geschichte auf den 12. Platz der Plaudereien rutschte.
Durch meine öffentliche Zuschrift an Dich (meine PN vom 5.4. hast Du nicht abgerufen) möchte ich den Arbeitsamt-Missionar wieder auf einen höheren Platz heben, damit ihn keiner mehr übersehen kann!
Mit herzlichen Grüßen
Gillian
Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Gillian vom 10.04.2011, 00:18:12


weisste gillian, die treuen fans von emilwachkopp kopieren sich die geschichten. denn die werden gesammelt. ausserdem kennt emil seine pappenheimer sehr genau.

Gillian
Gillian
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Re: Missionar aufs Arbeitsamt
geschrieben von Gillian
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 10.04.2011, 05:36:10
Aber er würde sich auch über ein Echo freuen, wie seine Antwort an Hema zeigt.
G.

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