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Plaudereien Sebastian, unser täglicher Gast...

stefan15
stefan15
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Sebastian, unser täglicher Gast...
geschrieben von stefan15

Stundenlang hielt sich der fünfjährige Sebastian jeden Tag auf dem Spielplatz in unserem Wohnviertel auf. Eines Tages brachte ihn unser Sohn Matthias abends mit nach Hause. Von diesem Tag an war Sebastian fast täglicher Gast bei uns.

Es dauerte nicht lange, bis wir die traurige Situation Sebastians kennen lernten. Seine Mutter war bei seiner Geburt erst 14. Weil sie nicht für den Jungen sorgen konnte, wurde der Großmutter das Sorgerecht übertragen. Auch sie lernten wir mit der Zeit kennen. Sie und ihr Mann waren arm und konnten zudem mit Geld nicht umgehen. Ihr Haus war feucht und verwahrlost. Alkohol, Medikamente und Aggressionen verschlimmerten die Situation zunehmend. In dieser Zeit bat uns die Großmutter immer öfter, Sebastian auch über Nacht bei uns zu lassen. Es vergingen Monate, die Sebastian mehr bei uns verbrachte als bei sich zu Hause.

Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf unser Familienleben, zumal gerade in jenen Wochen unser kleiner Andreas auf die Welt gekommen war. Besonders für Matthias war es nicht einfach. Er hat nämlich sozusagen auf einen Schlag zwei Brüder bekommen: Andreas, der viel Aufmerksamkeit verlangte, und Sebastian, der fast noch mehr Liebe suchte, und all das, was er zu Hause vermisste: Harmonie, Fröhlichkeit, respektvollen Umgang miteinander und jemanden, der ihn ernst nimmt.

Nicht nur einmal fragten wir uns in der Familie: Warum tun wir das alles? - Und warum muss diese Familie so leiden? Immer wieder war es der Gedanke an das Wort: "Was ihr einem der Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Deshalb möchten wir nicht vor dem Schmerz fliehen, sondern alles tun, was in unserer Macht steht, um ihn zu lindern.

Nun sind einige Jahre vergangen, mit allen Höhen und Tiefen. Einiges konnten wir erreichen, etwa eine finanzielle Unterstützung für die Familie. Dann gab und gibt es immer wieder Rückschläge: einen Selbstmordversuch der Großmutter, Schwierigkeiten in der Schule, kleine Diebstähle. In all dem versuchen wir, immer die Liebe aufrecht zu erhalten. Wie es ausgehen wird, wissen wir nicht. Doch wir sind fest entschlossen, die Familie mit alle unseren Kräften zu unterstützen. S.P.
ruth
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Re: Sebastian, unser täglicher Gast...
geschrieben von ruth
als Antwort auf stefan15 vom 07.09.2010, 12:38:42
Hallo, lieber Stefan
was Du berichtest weckt Erinnerungen an die Schulzeit meiner Kinder, wo ein ähnliches Problem bestand. Leider war bei dem fraglichen Mädchen, das mit aller Kraft (Frechheit, Diebstahl usw.) versuchte, Aufmerksamkeit und Liebe zu bekommen, der Erfolg eher mässig. Das lag daran, dass in meiner eigenen Familie wenig von Sicherheit und Frieden zu verspüren war, da mein Mann Alkoholiker war.
Trotz aller Mühe und bestimmt auch vieler Fehler meinerseits konnte ich bei meinen eigenen fünf Kindern nicht die Entwicklung beobachten, die man sich als Eltern bzw. Mutter wünscht und auch das "fremde" Kind bereitete grosse Sorgen.
Irgendwann bekam sie dann doch einen Lehrvertrag - ich zog weg und verlor Silvia aus den Augen.
Bis vor ca. einem halben Jahr. Da sprach mich auf der Strasse eine junge Frau an, fiel mir um den Hals und begann zu weinen. Es war Silvia. Entgegen aller Befürchtungen wurde, wenn auch auf Umwegen, eine erfolgreiche Frau und Mutter aus ihr, die mit einem guten Mann und zwei Kindern eine in jeder Hinsicht gute Familie bildet. Was sie mir später sagte, hat mich tief berührt, nämlich: "Was Du mir damals gesagt hast, wollte ich weder hören noch glauben und Du gingst mir tierisch auf die Nerven, wenn Du mit mir religiöse Gespräche führen wolltest. Inzwischen habe ich vieles begriffen und habe beten gelernt. Danke"
Vielleicht gibt Euch diese Erfahrung Mut und Kraft zum Weitermachen, denn aus manchem Samenkorn wird ein Baum.
Ruth

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