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Religionen-Weltanschauungen Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.

miriam
miriam
Mitglied

Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von miriam
Es wird Zeit für mich kurz aus dem Nistkasten der Turmfalken auszubrechen - und vielleicht weit weg von Muttenz, mich nach anderen Existenzformen umzusehen.
Noch genauer: nach so viel Vogelwelt, möchte ich auch einen kurzen Exkurs zurück in die Welt der Menschen, versuchen.

Ich stelle dabei fest, dass die letzten Wochen mit Bianca und Bernhard mich doch etwas geprägt haben: besonders neugierig bin ich zurzeit nicht auf die erste Welt, auf ihrem Lärm und ihren Disharmonien, auf die Nachrichten die uns gefiltert erreichen - und mich all zu oft veranlassen mir die Frage zu stellen: und was ist eigentlich die Wahrheit hinter dieser Legende?

Rein zufällig stieß ich die Tage auf die Pirahae - und bei dieser Gelegenheit auch auf einem Mann, der den Mut besaß, dieses Volk näher kennen zu lernen, mit anderen Worten: ihr Leben zu teilen.

Doch erst zu den Pirahae - wer sind sie?

Dazu zitiere ich Wiki:


Pirahae ist der Name einer vom gleichnamigen Stamm im Amazonasgebiet Brasiliens gesprochenen Sprache, die als die einzige heute noch gesprochene Sprache der Mura-Sprachfamilie gilt.
Pirahae hat seit 2005 eine große Debatte unter Linguisten ausgelöst, die auch ein beträchtliches Echo in den Medien erfahren hat. Grund dafür ist, dass Daniel L. Everett, der Linguist, der hauptsächlich mit der Sprache gearbeitet hat, behauptet, dass die Sprache in zahlreichen Punkten extrem ungewöhnlich ist und strukturell massiv von anderen, auch ,,exotischen", Sprachen abweicht.


Zitat Ende.

Was mich dabei fasziniert: für mich, die gar nicht vom Fach bin, leuchtet mir in diesem Fall ein, wie sehr die Sprache die Lebensart widerspiegelt - doch auch umgekehrt: wie stark unsere Sprachen die Lebensgewohnheiten beeinflussen und - fast möchte man sagen - festschreiben.

Wohl bemerkt: ich habe nicht vor, zu den kleinen Indianerstamm der Pirahae
zu ziehen - über was ich aber nachdenke, ist diese Sprache die nur drei Vokale und sieben Konsonanten kennt.
Und jetzt das was mich beeindruckt: diese Sprache hat keine Wörter für Zahlen, und kennt auch nicht das Gestern oder das Heute..

Da sie sich weigern Portugiesisch zu sprechen, können Elemente die ihrer Lebensweise fremd sind, auch nicht ausgeliehen werden.

Daniel Everett, der inzwischen durch seine Studien über die Pirahae sehr bekannte Linguist erklärt, dass diese Sprache von einer ganz spezifischen Denkweise zeugt: Zahlen sind da nicht bekannt, weil sie einfach überflüssig sind.
Die Pirahaes kennen in diesem Bereich nur eine oder viele, dazu schreibt Everett sinngemäß: Alles was über das Genug hinausgehen würde, erscheint den Pirahae als überflüssig - also muss auch keine Möglichkeit bestehen es genau zu erfassen.

Von ihrem Selbstbewusstsein, zeugt auch die Tatsache, dass sie keine Zeitbegriffe kennen - genau ausgedrückt: es gibt keine Form für die Vergangenheit bzw. für die Zukunft.
Dazu Daniel Everett: "Sie wissen schon, was Vergangenheit ist, aber sie reden eben nicht darüber. Vergangenes, Geschichte, hat keine Bedeutung mehr, ist unwichtig für ihr Selbstbild. Das Einzige, was zählt ist, im Heute zu leben."
Eigentlich war Daniel Everett als Missionar zu den Pirahaes gekommen - das musste er aber aufgeben, denn er konnte keine Beweise erbringen.
Als er über Jesus sprach, fragten ihn die Pirahaes, wie Jesus aussieht. Als er ihnen antwortete, dass er ihn nie gesehen habe, war die nächste Frage, ob sein Vater Jesus gesehen hätte - oder vielleicht irgendein Freund. Everett antwortete darauf, dass ihn niemand gesehen hätte.

Darauf war die Antwort der Pirahae: "Warum willst du dann dass wir an ihm glauben?"
Daniel Everett wechselte seinen Beruf - er ist kein Missionar mehr, sondern Sprachwissenschaftler.
Sein Interessengebiet: der Zusammenhang von Sprache und Kultur, von Sprache und Glück.

Miriam
Karl
Karl
Administrator

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von Karl
als Antwort auf miriam vom 19.04.2010, 13:07:26
Hallo Miriam,


ich musste das Sonderzeichen im Namen ändern, weil ich seltsamerweise sonst nicht antworten konnte.

Danke, dass Du dieses spannende Thema eingestellt hast . Ich habe neulich darüber auch einen Spiegel Artikel gelesen.

Beste Grüße, Karl
olivenzweig
olivenzweig
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von olivenzweig
als Antwort auf Karl vom 19.04.2010, 15:07:34

Ein Freund schrieb mir ueber diesen Indianerstamm, woraufhin ich mir das Buch von Daniel Everett besorgte.

"Don't Sleep, There are Snakes. Life and Language in the Amazonian Jungle."

"Das Gluecklichste Volk" erschienen in der: Deutsche Verlags-Anstalt
Sieben Jahre bei den Pirahae- Indianern am Amazonas

Olivenzweig

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Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
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Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf olivenzweig vom 19.04.2010, 17:10:22
Vor kurzem war im Geo ein Artikel, der auch etwas den grundlegenden Linguistenstreit zwischen Everett und N.Chomsky , den die Interpretation von E. über die Sprachstrukturen dieses kleinen Volkes,auslöste.

Der Spiegelartikel ist hier abrufbar.
eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von eleonore
als Antwort auf miriam vom 19.04.2010, 13:07:26
sehr spannend liebe miriam.

auf arte kommen öfters sendungen, die völker vorstellen, die nicht so bekannt sind.

so sah ich mit großem interesse mal filme über der Republik Mari El, und über die Kalash.
den kalash wird nachgesagt,sie stammen von ein general und dessen soldaten von Alexander der große ab.
als Alexander starb, ging eine seine generäle nach Ägypten und gründete der dynastie der Ptolemäer, (Cleopatra), der andere verschlug es in Hindukus.

in mein heimat in Budapest befindet sich in Natukunde Museum eine der größte sammlung über die Ainu, der in norden Japans leben, und dessen sprache mit kein asiatische sprache verwandt ist.

ich setze ein paar links ein zu diese völker.

Ainu

Im Tal der Kalash
clara
clara
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von clara
Es gibt nur noch gut 350 Mitglieder dieses Völkchens, da müssen sich die Forscher beeilen, wenn sie die Merkwürdigkeiten dieser Sprache richtig deuten wollen. Sie soll ja einmalig sein.

Wenn ich recht überlege, hat dieses nur in der Gegenwart Leben und Denken durchaus etwas Verlockendes. Belastende Dinge wie Reue, Gewissensbisse, anhaltende Trauer über Verluste, also Vergangenheitsbewältigung bleiben den P. erspart. Zukunftsängste (Jobverlust, Krankheit, Tod) sind auch unbekannt.

Trotzdem würde mir ein Leben so ganz ohne Kunst, wie den P. nachgesagt wird, nicht gefallen. Ob man deshalb wirklich von einer Kultur dieses Minivolkes reden kann, ich weiß nicht...

Clara

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crystal
crystal
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von crystal
als Antwort auf miriam vom 19.04.2010, 13:07:26
Eine interessante Geschichte, danke für die Einstellung des Themas und auch danke für die Links. Zeigt es doch, dass die Sprache, die wir sprechen, die Worte die wir dafür haben, auch von Bedeutung sind. Letztendlich aber das Tun, das Handeln einem das Leben erhält.

crystalline Grüße
adam
adam
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von adam
als Antwort auf miriam vom 19.04.2010, 13:07:26
Hallo miriam,

ich kann mir nur schwer vorstellen, daß die Theorie von Daniel Everett zutrifft und der Zusammenhang von Sprache und Denken so einfach umgekehrt werden kann. Am Beispiel der Pirahae würde das bedeuten, ihnen wenigstens teilweise das kognitive Denken abzusprechen. Hier sind wohl noch weitreichende Forschungen notwendig, z.B. müßte das Genom dieser Menschen genau untersucht werden.

Das Verhalten der Pirahae erinnert mich in Manchem an eine Überlebensstrategie, die durchaus gebräuchlich ist. Sie könnten tiefstapeln, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Bewußtes Ignorieren und seines Weges gehen, kann im Lebensraum der Pirahae vielleicht sehr hilfreich gewesen sein, um zu überleben. Das wird ja, z.B. im Großstadtdschungel der Zivilisation, auch praktiziert. So würden sich die Pirahae von uns nicht unterscheiden. Aber wie gesagt: Es könnte so sein.

--

adam


miriam
miriam
Mitglied

Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von miriam
als Antwort auf adam vom 22.04.2010, 10:56:22
Lieber Adam,

da ich mich in dieser Materie nicht auskenne, sind mir alle Theorien eigentlich willkommen, sie geben uns Anlass über dieses Gebiet nachzudenken.

Was ich aber spannend finde, ist die Tatsache, dass Everett dadurch vom Missionaren zum Sprachforscher geworden ist.
Wer lässt sich schon überzeugen, dass Beweise einen gewissen Stellenwert haben?

Gerne würde ich mich mehr mit dieser Materie befassen - kann zurzeit nicht, da ich fast schon bei meinen Freunden, Bianca und Börni, wohne.

Bald werde ich auch mitbrüten...

Miriam (Eure Turmfalkenoma)

Wir haben heute das dritte Ei gelegt!
clara
clara
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Re: Die Pirahae - für mich bis vor kurzem ein unbekanntes Volk.
geschrieben von clara
als Antwort auf adam vom 22.04.2010, 10:56:22
...ihnen wenigstens teilweise das kognitive Denken abzusprechen.

Mir sind auch Zweifel ähnlicher Art aufgekommen. Es wird ja auch berichtet, dass Keiner dieses Volkes auch nach langem und aufrichtigem Bemühen in der Lage war, auch nur die einfachsten mathematischen Aufgaben zu lösen.
Da sich dieses Volk aber, wie gesagt wurde, mit umliegenden anderen Bewohnern allmählich vermischt, reicht vielleicht die Zeit nicht, den Zusammenhang von Denken, Sprache, Kultur heraus zu finden.

Clara

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