Forum Politik und Gesellschaft Religionen-Weltanschauungen Mennoniten - pazifistische Christen

Religionen-Weltanschauungen Mennoniten - pazifistische Christen

yankee
yankee
Mitglied

Re: Mennoniten - pazifistische Christen
geschrieben von yankee
als Antwort auf angelottchen vom 05.11.2007, 20:18:00
Die Ungerechtigkeit an den Indiovölkern hat Ihren Ursprung bekanntlich viel früher. Die Mennoniten dafür verantwortlich zu machen halte ich für nicht angebracht und ungerechtfertigt. Die Landverteilung ist ungerecht gegenüber der Landbevölkerung insgesamt, da gebe ich dir Recht. Es sind nicht nur einheimische reiche Familienclans sondern auch viele Deutsche, Amerikaner, Franzosen, Schweizer, Österreicher usw., also Geschäftsleute, die ihre Schwarzgelder vor der Steuer
in Sicherheit gebracht haben unter dem Deckmäntelchen Entwicklungshilfe. Es gibt in Paraguay eine ganze Reihe grosser Estanzias, die von einheimischen Arbeitern verwaltet und bewirtschaftet werden und im Besitz von z.B. deutschen Geschäftsleuten sind. Ebenso gibt es auch brasilianische Grossgrundbesitzer, die in Paraguay in grossem Stil Land aufkaufen und Viehwirtschaft aufbauen. All dies natürlich mit der Genehmigung der politischen und militärischen Machthaber in Paraguay.
Die Mennoniten haben aber keine Schuld an dieser Entwicklung. Sie leben und arbeiten mit den dort ansässigen Indiostämmen zusammen. Sie unterstützen die Indios im Chaco indem Sie Ihnen Arbeit geben, Schulen und Krankenhäuser bauen, Projekte für die Ansiedlungen von Indiostämmen durchführen usw. Gegenüber den Verhaltensweisen der Grossgrundbesitzer in Brasilien und der dortigen Regierung, werden die Indios in Paraguay nicht verfolgt sondern im Gegenteil gefördert. Und dies schon unter Strössner seit den 60er Jahren.
Ein Beispiel: Das Jagdverbot im Chaco besagt, dass die Schonzeiten einzuhalten sind. Dies gilt aber nicht für die ansässigen Indiostämme wie z.B. die Lenguas, Tschulupi, Adjureus. Da diese Menschen von der Jagd leben gelten für die Indios keine Schonzeiten in Sachen Jagd. Es gibt mehrere Beispiele, in denen Indios eine gesonderte Stellung einnehmen bzw. indem versucht wird, auf die Indios Rücksicht zu nehmen. Zu verdanken ist diese Einstellung des Staates vor allem den Mennoniten, die seit vielen Jahrzehnten eng mit den Indios zusammenleben und auch viel von den Indios gelernt haben, was für das Überleben in den 30er und vierziger Jahren besonders wichtig waren.
Die Mennonitenkolonien im Chaco Paraguay sind sehr aufgeschlossene und gut ausgebildete Menschen und bilden die grosse Mehrheit der Mennoniten in Paraguay. Ihr Glaubensbild und Riten ist der evangelischen Kirche bei uns sehr ähnlich. Die allgemein bekannten amischen Mennoniten sind in nur sehr kleiner Anzahl im Osten Paraguays vertreten und lehnen noch heute alles moderne ab wie z.B. Knöpfe, Taschen, Gummireifen, Elektrizität, Motorisierung etc.
Ich hoffe, ich konnte dieses Thema etwas erhellen.
--
yankee
longtime
longtime
Mitglied

Re: Mennoniten - pazifistische Christen
geschrieben von longtime
als Antwort auf yankee vom 06.11.2007, 14:31:57
{b]Dank an Angelottchen und besonders yahoo![/b]

So viel wusste ich bisher gar nicht von der realen, materiellen Entwicklungsarbeit, die heute Mennoniten leisten.

Über das Mennoniten-Thema bin ich zu Fontane gekommen (von dem ich es gar nicht erwartet hatte; aber hatte generell große Bedenken gegen machtversessene, doktrinäre Kirchen-Theologien und bevorzugte als Protestant kleine, überschaubare, undogmatische Kirchenformen):

Hier & heute:
Nachricht von einer Mennoniten-Gemeinde, in der der Flüchtling Menz (ein zum Mörder gewordener Wilderer aus Schlesien) Zuflucht und durch Hilfe nach einem Unfall ein gnädigen Abschluss seines Lebens gefunden hatte:

Theodor Fontane: Aus dem 36. Kapitel des Romans "Quitt":

„Um dieselbe Nachmittagsstunde aber (…), saß Obadja Hornbostel [Leiter der Mennoniten-Gemeinde in Nogat-Ehre in „Indian Territories“] an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift:

An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien (Prussia).

Der Brief selbst aber lautete:
»Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekanntzugeben.
Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Über sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demut und Bescheidenheit (wohl erst durch den Gang seines Lehens erworben), vor allem aber seine gute Sitte, machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet hatte, war ihm zugesprochen. Alles ließ eine glückliche Zukunft erwarten. Als er mir aber auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine gefährliche Lage geratenen Sohn erhalten wollte, war es ihm, nach Gottes unerforschlichem Ratschluß, vorherbestimmt, diese neue Liebestat mit seinem Leben zu bezahlen. Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart (der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk), daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu finden. Und in Einsamkeit ist er dort oben gestorben, nicht ohne daß sich zu seinem körperlichen Schmerz auch noch der Schmerz des Gewissens gesellt hätte, wie seine letzten Worte mit aller Bestimmtheit bezeugen. Wir fanden ihn den zweiten Tag, hoch auf dem Kamm des Gebirges, tot, mit einem in die Brusttasche gesteckten Zettel, auf den er, nachdem er sich eigens die Hand mit seinem Messer geritzt, all das mit Blut niedergeschrieben, was ihm in seiner letzten schweren Stunde das Herz bewegt hatte. Das Holzstäbchen, das ihm dabei gedient, hielt er noch in seiner Rechten. Die niedergeschriebenen Worte aber lauten: ›Vater unser, der du bist im Himmel ... Und vergib uns unsere Schuld ... Und du, Sohn und Heiland, der du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich ... Und vergib uns unsere Schuld ... Ich hoffe: quitt.‹ Mir aber, der ich, neben der Meldung vom Tode des Lehnert Menz, auch diese seine letzten Worte zu Ihrer Kenntnis zu bringen; hatte, sei es gestattet, hinzuzufügen, daß ich der Überzeugung lebe, seine Buße habe seine Schuld gesühnt: ›Hoffnung läßt nicht zuschanden werden.‹
Eines verehrlichen Kirchen- und Gemeinde Vorstandes zu Wolfshau (Krummhübel) ganz ergebenster Obadja Hornbostel, Prediger und Vorstand der Mennonitengemeinde zu Nogat-Ehre, Indian-Territory. U. St.«

**

Anmerkungen:
Der Ort "Nogat-Ehre" (in „Quitt“. K.17-36) ist eine deutsche Mennoniten-Siedlung in Nordamerika, „südlich vom Staate Kansas in den sogenannten 'Indian-Territories’ (K. 17), also im heutigen Oklahoma, unter der Leitung des westpreußischen Mennoniten-Anführers Hornbostel, in der Menz den letzten Teil seines Leben verdringt und die er als „Friedensstätte“ empfindet.

Das friedliche Zusammenleben der merkwürdigsten Menschen erinnert Menz an einen Schaukasten in San Franzisko, in dem allerlei Getier einschließlich einer Schlange unter dem Namen ‚A happy family’ (K. 21) eingesperrt ist.

Eine giftige Schlange, die prompt in N.-E. auftaucht, ist nicht so friedlich. Sie beißt die 16-jährige Tochter Ruth Hornbostel, einen Unschulds-Engel, den der geflohene Delinquent Menz retten darf.

„Nogat-Ehre“ ist als Teil des freien Amerika patriarchalisch-demokratischem Gegenbild zum ständisch-militaristischen Preußen, aus dem Menz fliehen mußte.
Es bildet eine „blinkende, langgestreckte, nur hie und da von hohen Pappeln überragte Häuserreihe“ (K. 18) an „einem breiten, mit jungen Akazien besetzten Weg, an dessen anderer Seite „ein von den Bergen kommender Bach schäumte“ (K. 19).

In der Ferne sieht man einen Gebirgskamm mit dem Mittagsstein, an dem der Flüchtling aus Schlesien, Menz verunglückt. In der Nähe liegen die Indianerlager, wo die Mennoniten missionieren. Die Szenerie fußt bis hin zu den Namen der Missionare auf tatsächlichen Vorlagen aus mennonitischer Literatur.

Fontane in einem Privatbrief dazu:

»In dem Roman ‚Quitt’ lege ich den Hauptakzent auf das friedliche Leben in einer von mir als „a happy family“ bezeichneten Mennonitenkolonie [...,], wo ich, neben allem möglichen dorthin verschlagenen Volke, namentlich auch einen atheistischen Franzosen und einen Märker [...] gegenüberstelle. Diese Gegenüberstellung ist mein besonderer Stolz..“
(Th. F.. an Frau von Bredow-Landin, 6. Dezember 1890; D 408.)

--
longtime

Anzeige