Religionen-Weltanschauungen 'Religion für Atheisten'?

qilin
qilin
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'Religion für Atheisten'?
geschrieben von qilin
Gestern hat mich mein Bruder auf dieses Interview mit Alain de Botton, Autor von 'Religion für Atheisten: Vom Nutzen der Religion für das Leben' aufmerksam gemacht - er hatte eine Wiederholung im Schweizer TV gesehen und war recht angetan davon. Es geht darum, dass de Botton, selbst überzeugter Atheist, die Meinung vertritt, von manchen religiösen Zugängen würden auch definitiv Ungläubige profitieren können. Ich bin nicht in Allem seiner Meinung, aber grundsätzlich scheint mir seine Haltung nicht nur sympathischer, sondern auch rational besser begründet als die von 'Hardcore-Atheisten' à la Schmidt-Salomon...

() qilin
Mareike
Mareike
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Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von Mareike
als Antwort auf qilin vom 07.11.2013, 17:18:02
Danke für dieses Interview!

Da die Bruder Klaus Kapelle von Peter Zumthor genannt wurde, stelle ich zur Ergänzung folgendes Video ein.



Ein magischer Raum.

Mareike
Karl
Karl
Administrator

Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von Karl
als Antwort auf qilin vom 07.11.2013, 17:18:02
Hallo Qilin,

herzlichen Dank. Tolles Interview, ich habe es genossen - das heißt, bin gerade noch dabei

Karl



P.S.: Jetzt ist die Stunde vorbei. Das war sehr sinnvoll verbrachte Zeit. Es geht mir wie Dir Qilin. Ich finde Herrn de Botton prima.

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mane
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Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von mane
als Antwort auf Karl vom 07.11.2013, 20:34:19
Prima fand auch die die Dame ihren Interviewpartner zum Schluss, während sie am Anfang sehr kritisch und manchmal belustigt wirkte.

Religionen beeinflussen uns, auch wenn wir Atheisten sind. Der Faszination, die von prächtigen Kirchen ausgeht, kann man sich kaum entziehen. Warum nicht die Riten und Gebräuche der Religionen auch für Atheisten nutzbar machen? Sie wie ein Buffet betrachten und sich das Brauchbare, wie "Rosinen" herauspicken.
Ja, es gibt, wie Alain de Botton sagt, viele Bedürfnisse, für deren Befriedigung die Menschen früher in die Kirche gingen - und diese haben sie immer noch.

Vieles von dem Gesagten kann ich nachvollziehen, z.B. wenn er von dem "Gut sein" der Empathie, Verständnis, Großzügigkeit spricht - Tugenden, die Gläubige und Atheisten gut finden. Befremdlich wirkte für mich aber seine Werbecampagne für dieses "Gut sein", damit die Botschaft bei den Menschen ankommt.

Dann möchte er das Menschenbild der Religionen wiederbeleben, welches von schwachen, sündigen und hilfsbedürftigen Menschen ausgeht und wendet sich gegen das optimistische Menschenbild der heutigen Zeit. (?)

Alles in allem viele interessante und überraschende Einsichten, über die es sich nachzudenken lohnt.
qilin
qilin
Mitglied

Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von qilin
als Antwort auf mane vom 07.11.2013, 23:11:41
Da solche Gespräche meist nicht wirklich ohne Vorbereitung ad hoc stattfinden, vermute ich dass auch die 'Wandlung' der Interviewerin irgendwie gesteuert war - das erhöht die Spannung und wirkt überzeugender...

Das optimistische Menschenbild der heutigen Zeit scheint mir allerdings auch hinterfragenswert - uns wird immer wieder eine Machbarkeitsphilosophie suggeriert, die letztlich unrealistisch ist - "Man braucht ja nur ..., dann kann man ..." - und das ist einfach nicht so (oder 'nicht so einfach' ). Da sehe ich das Bild des schwachen und hilfsbedürftigen Menschen in den Religionen im Prinzip als realistischer - was ich diesen ankreide ist die nahtlose Fortsetzung "... und bei uns werden Sie geholfen - jetzt und für alle Ewigkeit! [Und wehe, wenn Sie das ablehnen...]" - als ob sie das in der Tasche hätten

() qilin
Mareike
Mareike
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Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von Mareike
als Antwort auf qilin vom 08.11.2013, 07:38:55
Karl hat auf Bottons Buch verwiesen. Religion für Atheisten: Vom Nutzen der Religion für das Leben

Wegen der Fülle der diskussionswürdigen Aspekten, greife ich (aus Zeitnot und auch Bequemlichkeit) mal einige Anmerkungen aus den Rezensionen auf:

"Die zahlreichen Beispiele des Autors zeigen, wie hilfreich und nützlich der Glaube früher war. Dieses Potential für die heutige Zeit wieder fruchtbar zu machen, ist sicher ein sinnvoller Versuch. So betrachtet ist das Buch sehr anregend. Es zeigt aber mehr die seelischen Nöte des Einzelnen und die Mängel im Zusammenleben heute auf. Brauchbare Hilfen für die Gegenwart enthält das Buch aus meiner Sicht nur wenige."

Anmerkung von mir: Religion ist eben nicht nur Privatsache, sondern auch gesellschaftsrelevant.

"Die Weisheit der Religionen gehört der gesamten Menschheit, auch den Rationalisten unter uns, und sie hat es verdient, auch von den größten Gegnern alles Übernatürlichen selektiv neu aufgegriffen zu werden. Religionen sind insgesamt gesehen zu nützlich, effektiv und intelligent, um sie allein den Gläubigen zu überlassen."

"Nach der Lektüre des interessanten Buches fragt man sich freilich, wie es zu erklären ist, dass ein Mensch so positiv, offen und vorurteilsfrei auf das Thema Religion zu geht und sich dann doch an der entscheidenden Stelle kategorisch verschließt. Warum jemand – um das Bild vom Büfett noch einmal aufzugreifen – alle kulinarischen Genüsse und Köstlichkeiten der Welt vor sich aufgetürmt sieht und sich dann doch mit Toast und O-Saft, Nudelsalat und Weintrauben zufrieden gibt.

Man kann Psalmen, Propheten und Evangelien; Franziskus, Kierkegaard und Pascal als Poesie und Lebensweisheit lesen und davon sehr profitieren, doch ist das wenig im Vgl. zu dem Reichtum, der sich auftut, wenn man die dort enthaltenen transzendenten Dimensionen entdeckt, es einem so ergeht wie Blaise Pascal, dem unbestechlichen Realisten, der nicht glauben konnte bis zu jenem Abend eines Novembertages im Jahr 1654: „Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht – Feuer - "Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs", nicht der Philosophen und Gelehrten. - Gewissheit, Gewissheit ... Freude, Friede.“


Was wäre es schön, wenn wir uns, ohne Häme und Spott befürchten zu müssen, darüber austauschen könnten: Religiöse wie Nichtreligiöse (Humanisten, Atheisten, Agnostiker etc.

Mareike

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Karl
Karl
Administrator

Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von Karl
als Antwort auf Mareike vom 08.11.2013, 09:02:17
@ Mareike,

ich bin dabei. Ich finde mich in der Anschauung von de Botton ziemlich gut wieder. Natürlich decken die Religionen grundlegende humane Bedürfnisse ab, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Der virtuelle Überbau ist dabei eine Schöpfung der menschlichen Fantasie. Das zu erkennen halte ich allerdings auch für wichtig.

Karl
Mitglied_bed8151
Mitglied_bed8151
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Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben, oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Societät. Dieser Staat, diese Societät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Compendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'honneur (Ehrgefühl), ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.

Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.

Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.

aus... Karl Marx: Einleitung zur Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie; in... Deutsch-Französische Jahrbücher 1844, S. 71 f, zitiert nach MEW, Bd. 1, S. 378-379

---
w.
Elisabet
Elisabet
Mitglied

Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von Elisabet
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.11.2013, 09:55:02
Solange wir Menschen nur von Religion sprechen und deren Grundelemente nicht erfüllen,gibt es in der Welt Gegensätze.Wären die Menschen e i n e r effektiven religiösen Gesinnung, dann hätten sie e i n e n gemeinsamen Weg. Wie dieser aussehen würde, das müssen wir wohl vorerst dahingestellt sein lassen.
In unserer Welt heißt unter anderem eine Lebensregel: Gegensätze ziehen sich an.Es stellt sich die Frage,ob sich Gegensätze tatsächlich anziehen oder sich letztlich doch gleiche Interessen begegnen,die nicht sogleich offenbar sein müssen.Außerdem kommt es wohl darauf an was wir daraus machen.Gegensätze prallen dann nicht aufeinander, wenn Gesprächspartner die unterschiedlicher Meinung sind,sich in beiderseitiger Toleranz begegnen indem jeder jedem den freien Willen zur freien Entscheidung läßt.
qilin
qilin
Mitglied

Re: 'Religion für Atheisten'?
geschrieben von qilin
als Antwort auf Mareike vom 08.11.2013, 09:02:17
"Nach der Lektüre des interessanten Buches fragt man sich freilich, wie es zu erklären ist, dass ein Mensch so positiv, offen und vorurteilsfrei auf das Thema Religion zu geht und sich dann doch an der entscheidenden Stelle kategorisch verschließt. Warum jemand – um das Bild vom Büfett noch einmal aufzugreifen – alle kulinarischen Genüsse und Köstlichkeiten der Welt vor sich aufgetürmt sieht und sich dann doch mit Toast und O-Saft, Nudelsalat und Weintrauben zufrieden gibt."

Die Frage ist nicht so schwierig zu beantworten, denke ich - um beim Beispiel zu bleiben: wenn ich in dem Buffet aus Hummer, Kaviar, Selchstelzen, Milchrahmstrudel, Sachertorte, Cannabiskeksen, Kaldaunen, Schnepfendreck, Stopfleber, Sushi, Champagner, Absinth, Sauermilch, Vitamingetränken, Grüntee etc. auswählen soll (und bei den meisten davon angemerkt ist, dass alle anderen vergiftet sind) - dann werde ich vermutlich sehr vorsichtig in meiner Wahl sein und mich hauptsächlich auf den eigenen Verstand verlassen...
Und der Autor hat sich ja nur an drei Religionen orientiert - die Auswahl ist ja noch viel größer

() qilin

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