Forum Politik und Gesellschaft Religionen-Weltanschauungen Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)

Religionen-Weltanschauungen Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)

Sirona
Sirona
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Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von Sirona
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An diesem Morgen war Konrad, der Schuster, schon sehr früh aufgestanden, hatte seine Werkstatt aufgeräumt, den Ofen angezündet und den Tisch gedeckt. Heute wollte er nicht arbeiten, denn er erwartete einen hohen Gast. Den höchsten, den man sich denken kann. Er erwartete Gott selbst. In der vorigen Nacht hatte Gott ihn im Traum wissen lassen, daß er ihn besuchen werde.
Nun saß Konrad also in der warmen Stube und wartete. Sein Herz war voller Freude. Da hörte er draußén Schritte, und schon klopfte es an die Tür. Das ist er, dachte Konrad, sprang auf und riß die Tür auf. Aber es war nur der Briefträger, der von der Kälte ganz blau gefrorene Finger hatte und sehnsüchtig nach dem heißen Tee auf dem Ofen schielte. Konrad ließ ihn herein, gab ihm eine Tasse Tee und ließ ihn sich aufwärmen. "Danke", sagte der Briefträger, "das hat mir gut getan", und er stampfte wieder in die Kälte hinaus.
Sobald er das Haus verlassen hatte, räumte Konrad schnell das Geschirr ab und stellte saubere Tassen auf den Tisch. Dann setzte er sich wieder ans Fenster und wartete. Es wurde Mittag, aber von Gott war nichts zu sehen.
Plötzlich erblickte er einen kleinen Jungen, und als er genauer hinsah, bemerkte er, daß dem Kleinen die Tränen über die Wangen liefen. Konrad rief ihn zu sich. Das Kind hatte im Gedränge der Stadt seine Mutter verloren und fand nicht mehr nach Hause zurück. Konrad legte einen Zettel auf den Tisch und schrieb darauf: "Bitte, warte auf mich. Ich bin gleich zurück." Er ließ seine Tür einen Spalt offen, nahm den Jungen an der Hand und brachte ihn heim. Aber der Weg war weiter, als er gedacht hatte, und so kam er erst heim, als es schon dunkelte. Als er von ferne sah, daß jemand in seinem Zimmer am Fenster stand, erschrak er sehr. Aber dann klopfte sein Herz vor Freude. Nun war Gott doch zu ihm gekommen.
Doch dann erkannte er die Frau. Sie wohnte oben im gleichen Haus. Seit ihr Mann verunglückt war, lebte sie allein mit ihrem Jungen. Sie sah müde und traurig aus. Konrad erfuhr, daß sie drei Nächte lang nicht mehr geschlafen hatte, weil ihr Sohn Petja so krank war. Er lag still da, und das Fieber stieg immer höher. Die Frau tat Konrad leid. Und so ging er mit. Gemeinsam wickelten sie Petja in feuchte Tücher. Konrad blieb am Bett des kranken Kindes, während die Frau sich ein wenig ausruhte.
Als er endlich wieder in seine Stube zurückkehrte, war es weit nach Mitternacht. Müde und enttäuscht legte Konrad sich schlafen. Der Tag war vorüber. Gott war nicht gekommen.
Plötzlich hörte er eine Stimme. "Danke", sagte die Stimme, "danke, daß ich mich bei dir aufwärmen durfte - danke, daß du mir den Weg nach Hause gezeigt hast - danke für den
Trost und die Hilfe, die du mir gegeben hast. - Ich danke dir, Konrad, daß ich heute bei dir sein durfte."
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Diese Erzählung erinnert an das was Jesus einst zu seinen Jüngern sagte:
Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. - Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan (nachzulesen in Matth. 25,31–46).
 
Es kommt demnach gar nicht darauf an wie fromm man sich gibt, wie oft man einen Gottesdienst besucht oder ob man die Bibel gelesen hat, sondern lediglich darauf wie man sich um seine Mitmenschen kümmert.

Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes Jahr 2020!
Liebe Grüße Sirona





 

 
 
Kettwiger
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RE: Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von Kettwiger
als Antwort auf Sirona vom 22.12.2019, 09:43:41

Jedenfalls ein schönes Bild Sirona. Mein Großvater (mütterliche Seite) war auch Schuhmacher, und wenn man "Schuster" sagte, wurde er fuchsteufelswild. Aber sonst war er mein liebster Opa, wir spielten uns immer gegenseitig Streiche. Einem Hungernden auch mal ein Butterbrot machen oder ein Kotelette braten ist ja wohl Ehrensache, dazu braucht man keine Bibel.

schorsch
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RE: Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von schorsch

In jedem von uns steckt "Gott"; wir sollten darum nicht krampfhaft versuchen, ihn mit gen Himmel gerichtetem Kopf in den Wolken zu finden!


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Kettwiger
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RE: Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von Kettwiger
als Antwort auf schorsch vom 16.02.2020, 11:00:28

Gefällt mir sehr !!! Die ganze Natur ist Gott, die muss man auch nicht mit einer nicht existenten völlig frei erfundenen Vaterfigur aufhübschen und dafür auch noch reichlich "Kasse" machen, um immer mehr Einfluss und Macht zu erlangen.

schorsch
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RE: Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Kettwiger vom 16.02.2020, 11:53:56
Gefällt mir sehr !!! Die ganze Natur ist Gott, die muss man auch nicht mit einer nicht existenten völlig frei erfundenen Vaterfigur aufhübschen und dafür auch noch reichlich "Kasse" machen, um immer mehr Einfluss und Macht zu erlangen.
Ja, wem sagst du das! Leider gibt es seit Urzeiten - und sogar bei den "wilden" Urvölkern im dichtesten Urwald Schläulinge, die es verstehen, mit der Angst Kapital (und sei es nur Essen, Trinken und Jungfrauen ((wahlweise auch Buben))) zu schlagen. Die Männer in weissen, braunen und schwarzen Kutten und Sultanen haben es einfach zur Perfektion getrieben.
Kettwiger
Kettwiger
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RE: Schuster Konrad erwartet den lieben Gott (russ. Legende)
geschrieben von Kettwiger
als Antwort auf schorsch vom 16.02.2020, 16:25:15

Gut zu wissen dass es auch noch unverblendete Menschen gibt. Ich stimme deinen Worten voll und ganz zu Schorsch. Chapeau !


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