Forum Politik und Gesellschaft Religionen-Weltanschauungen Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers

Religionen-Weltanschauungen Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers

Sirona
Sirona
Mitglied

Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von Sirona
Die Antwort auf die Frage: wie würde Bonhoeffer heute zur Kirche stehen? ist reine Spekulation. Doch sein aufrichtiger und geradliniger Charakter lässt nicht daran zweifeln, dass er an seinen „Visionen“ und der Vorstellung von einer Kirche im Sinne Jesu festgehalten und keine Mühe oder Kritik gescheut hätte, dieses Vorhaben umzusetzen.

Im Internet las ich folgendes:
Dietrich Bonhoeffer hatte seine Wahl in voller individueller Verantwortung getroffen, weil die Kirche seiner Zeit nicht zu einem rechtzeitigen Widerstand bereit und fähig gewesen war. In seinen Gefängnisbriefen entwarf er die Vision einer zukünftigen Kirchengestalt ohne staatliche Privilegien an der Seite der Armen und Verfolgten.

Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.
Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum den Notleidenden schenken.
Die Pfarrer müssen ausschließlich von freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, eventuell einen weltlichen Beruf ausüben.
Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend.
Sie muss den Menschen aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt für andere dazusein.
Unsere Kirche wird von Maß, Echtheit, Vertrauen, Treue, Stetigkeit, Geduld, Zucht, Demut, Bescheidenheit und Genügsamkeit sprechen müssen. Sie wird die Bedeutung des menschlichen „Vorbildes“ nicht unterschätzen dürfen, nicht durch Begriffe, sondern durch Vorbild bekommt ihr Wort Nachdruck und Kraft.
Ich hoffe damit, für die Zukunft der Kirche einen Dienst tun zu können.
(aus Widerstand und Ergebung – Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft – D. Bonhoeffer)


Während diese Vision in Deutschland und Mitteleuropa weithin unbeachtet blieb, ist sie in den Armuts- und Befreiungsbewegungen der Ökumene außerhalb Europas aufgegriffen und teilweise umgesetzt worden: etwa in Südafrika noch während des Apartheidregimes oder den Basisgemeinden Brasiliens und Mittelamerikas.

Wahrscheinlich würde Bonhoeffer Europa enttäuscht den Rücken gekehrt haben (hätte er den Krieg überlebt) und in einem der Länder bzw. Gemeinden tätig geworden sein, die seine Vorstellungen von der wahren Kirche Christi aufgegriffen und realisiert hätten. Dies tat er bereits 1933 „Er verließ Deutschland verzweifelt über die Feigheit seiner Kirche“ und ging nach London. Doch später im April 1935 kehrte Bonhoeffer nach Deutschland zurück, wo die Bekennende Kirche unter wachsendem Druck durch die Gestapo stand. Schon lehnten einige Kirchenführer, darunter auch einige in der Bekennenden Kirche, nicht nur ab offen gegen das Nazi-Regime zu handeln, sondern kritisierten ihre Kollegen, die dies taten.

Nur der rückhaltlose Gewaltverzicht aller Christen weltweit könne die Regierungen zum Einlenken bringen. Sie könnten ihre Waffen unmöglich gegeneinander richten. (D. Bonhoeffer)

Diese von Bonhoeffer geäußerten Worte kann ich nur unterstützen, auch ich habe mir oft die Frage gestellt, was könnten Herrscher ausrichten, wenn alle die sich Christen nennen, d.h. Mitglieder der großen Kirchen sind, die Beteiligung am Krieg abgelehnt und das brutale Vorgehen gegen jüdische Mitmenschen verhindert hätten? Es ist so erbärmlich, dass sog. Christen (Familienväter) sogar Frauen und unschuldige Kinder kaltblütig reihenweise erschossen und ermordet haben. Wo war der warnende Ruf der Kirchen? In Krisensituationen stellt es sich erst heraus, wer der wahre Christ ist. Die Führung der großen Kirchen hat jämmerlich versagt wie auch schon in den vergangenen Jahrhunderten. Jesus würde zu ihnen sagen: „Geht von mir weg ihr Heuchler, was missbraucht ihr meinen Namen!“

Sirona
justus39
justus39
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von justus39
als Antwort auf Sirona vom 09.04.2015, 08:48:30
Von guten Mächten wunderbar geborgen
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
geschrieben von Dietrich Bonhoeffer

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von Sirona
als Antwort auf justus39 vom 09.04.2015, 09:29:49
Hallo Justus, danke für die Ergänzung und das informative Video zu meinem Beitrag. Das von Dir eingegebene Gedicht bzw. Lied schrieb Bonhoeffer Ende 1944 im Kellergefängnis der Prinz-Albrecht-Strasse in Berlin.

Am 28.12.1944 schrieb Bonhoeffer einen letzten Brief an seine Eltern bzw. an seine Mutter. Darin äußerte er die Hoffnung, dass das neue Jahr (1945) wenigstens einen Lichtblick bringen würde und dass sie sich noch einmal zusammen freuen könnten.

In einem 1943 geschriebenen Brief an einen Freund drückte er die Hoffnung aus dass er ein paar Tage Urlaub bekommen würde, „denn bei dem Quatsch, den sie mir anhängen, müssen sie mich beim Termin herauslassen“.
Wie sehr hat Bonhoeffer doch die Nazis zu dem Zeitpunkt noch unterschätzt.

Seine letzten Worte an seine Mitgefangenen vor der Hinrichtung waren:
"Das ist das Ende. Für mich aber der Beginn des Lebens".
Welch’ unerschütterlicher Glaube kommt hier zum Ausdruck!

Wer mehr über diesen bemerkenswerten Menschen und Christen erfahren möchte, dem könnte ich das Buch „Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft“ empfehlen.

LG Sirona

Anzeige

justus39
justus39
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von justus39
als Antwort auf Sirona vom 09.04.2015, 10:23:00
Dass sich Dietrich Bonhoeffer im Jahr 1945 wenigstens einen Lichtblick erhoffte, war ja nicht ganz falsch, nur hat er ihn nicht mehr erlebt.

Wer den Nazibarbaren hilflos ausgeliefert ist und sich dabei von guten Mächten wunderbar geborgen fühlt, der wurde mit einem Gottvertrauen gesegnet um das ich ihn nur beneiden kann.
Vor solchen standhaften Menschen musste sogar ein Hitler solche Angst haben, dass er ihn ermorden ließ.
Hitler hatte die Macht, Dietrich Bonhoeffer zu töten, aber besiegen konnte er ihn nicht.
Der große Diktator fand seinen schmachvollen Tod nur drei Wochen später.

Danke für den Buchtip, ich werde es mir besorgen.

justus
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von Sirona
als Antwort auf justus39 vom 09.04.2015, 11:12:24
Dass Bonhoeffer kein „Übermensch“ oder ein heiliger Kauz war, und genau wie andere Menschen auch Sehnsüchte und Bedürfnisse kannte, wird aus diesem Ausschnitt eines Briefes deutlich, den er an seinen Freund Eberhard Bethge geschrieben hatte.

...... Und schließlich könnte ich ja nicht anders als mit Dir auch von Maria zu sprechen. Nun sind wir fast 1 Jahr verlobt und haben uns noch nie 1 Stunde allein gesehen! Ist das nicht ein Wahnsinn? Alles, was sonst zur Verlobungszeit gehört, das Sinnlich-erotische müssen wir bewusst verdrängen, unseren ersten Kuss haben wir uns vor Roeders Augen geben müssen. Wir müssen uns über Dinge unterhalten und schreiben, die uns beiden im Grunde nicht die wichtigsten sind, wir sitzen alle Monate eine Stunde brav wie auf der Schulbank nebeneinander und werden wieder auseinandergerissen, wir wissen so gut wie nichts voneinander, haben nichts miteinander erlebt, denn auch diese Monate erleben wir ja getrennt. Maria hält mich für einen Ausbund von Tugend, Musterhaftigkeit und Christlichkeit und ich muss, um ihr Beruhigung zu verschaffen, Briefe schreiben wie ein alter Märtyrer und ihr Bild von mir wird dadurch immer falscher. Ist das nicht für sie eine unmögliche Situation? (....) manchmal denke ich, ich hätte nun eigentlich mein Leben mehr oder weniger hinter mir und müsste nur noch meine Ethik fertigmachen. Aber weißt Du, in solchen Augenblicken fasst mich ein mit nichts anderem zu vergleichendes Verlangen danach, ein Kind zu haben und nicht spurlos abzutreten – wohl auch eher ein alttestamentlicher als neutestamentlicher Wunsch. ......

(D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft)
olga64
olga64
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von olga64
als Antwort auf justus39 vom 09.04.2015, 11:12:24
Diesen Mann habe ich immer sehr, sehr bewundert. Insbesondere seine Vita: er war zuletzt ja in den USA (nach Aufenthalten in Italien und Spanien) und kam freiwillig in das Nazi-Mörder-Reich zurück, weil er dachte, er müsse und könne helfen. Dies hat er dann mit dem Leben bezahlt kurz vor dem Untergang der Nazi-Zeit.
Soviel ich weiss, bestehen verwandtschaftliche Beziehungen zu Dohnanyi, dem früheren Bürgermeister von Hamburg? Olga

Anzeige

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Vielen Dank, Sirona, für deine Würdigung dieses großartigen Menschen.
Bonhoeffer war auch für mich ein Held im ganz und gar positiven Sinne, und er war so vorbildhaft, dass auch Nichtchristen ihn eigentlich nur bewundern können.

Ich habe gerade vor kurzem eine sehr interessante Biographie über ihn gelesen von Ferdinand Schlingensiepen, sehr gut und ausführlich geschrieben, hier ein Link mit Kritiken dazu: Schlingensiepen, Bonhoeffer.

Seine Verbindung mit Dohnany, Olga, besteht darin, dass Bonhoeffer zusammen mit dem Vater Dohnanys (er war nicht nur der Vater des Politikers, sondern auch des Dirigenten Christoph v. Dohnany) im Widerstand gearbeitet hat. Auch Dohnany wurde hingerichtet,zusammen mit mehren anderen, die in dieser Widerstandsgruppe unter Wilhelm Canaris mitgearbeitet haben.
Ich wundere mich immer darüber, dass nur Stauffenberg gewürdigt wird, diese tapferen Leute, die auch ihr Leben gegeben haben im Widerstand, sind zumindest von offizieller Seite mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden.

Edit. (hatte eben nicht mehr dran gedacht):
Hans von Dohnany war nicht nur mit Bonhoeffer gemeinsam im Widerstand. Er war auch mit Bonhoeffers Schwester verheiratet, also sein Schwager.
Du hast also völlig recht, Olga, wenn du von "verwandtschaftlichen Beziehungen" schreibst.
justus39
justus39
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von justus39
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 09.04.2015, 17:50:23

Ich wundere mich immer darüber, dass nur Stauffenberg gewürdigt wird, diese tapferen Leute, die auch ihr Leben gegeben haben im Widerstand, sind zumindest von offizieller Seite mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden.

Den Stauffenberg hat man aus der Versenkung geholt um für Bundeswehrsoldaten eine heldenhafte Vorbildfigur präsentieren zu können.

Hans von Dohnany, der ebenfalls heute vor 70 Jahren hingerichtet wurde, ist mir wie Dietrich Bonhoeffer und unzählige andere Opfer der Hitlerdiktatur, die aus Gewissensgründen und Überzeugung gegen Hitler kämpften, wesentlich sympathischer als ein Offizier der es aus persönlichen Machtinteressen tat.

justus
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von Sirona
als Antwort auf olga64 vom 09.04.2015, 15:47:59
Hallo olga,

Bonhoeffers Schwester war mit Hans Dohnanyi verheiratet. Hier einige Informationen über diese beiden Männer.

http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article119990319/So-fanden-Bonhoeffer-und-Dohnanyi-zum-Widerstand.html

LG Sirona
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Zum 70. Todesjahr Dietrich Bonhoeffers
geschrieben von Sirona
als Antwort auf justus39 vom 09.04.2015, 18:27:51
Schon 1936 hatte er in einem Brief an eine Freundin notiert:
"Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte schon viel von der Kirche gesehen – und war noch kein Christ geworden."

Mehr unter:
http://www.zeit.de/2015/15/dietrich-bonhoeffer-todestag-protestantismus-widerstand

Auch sein Bruder Klaus wurde von den Nazis ermordet, er hinterließ Frau und drei Kinder.
Am 2. Februar 1945 wird er, stark gezeichnet von Folter, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Auf einer Zettelnotiz von ihm sagt er dazu: „Ich fürchte mich nicht vor dem Erhängtwerden, aber ich möchte diese Gesichter nie mehr sehen… dieses Maß an Verkommenheit… Ich möchte überhaupt lieber sterben, als diese Gesichter noch mal zu sehen. Ich habe den Teufel gesehen, das werde ich nicht los.“

http://sunday-news.wider-des-vergessens.de/?p=3093
Erschütternd der Abschiedsbrief an seine Kinder.

Bonhoeffer und Mitglieder seiner Familie sind auch heute noch ein großes Vorbild für Mut, Standhaftigkeit selbst angesichts des Todes und unerschütterlichen Glauben.

LG Sirona

Anzeige