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Schwarzes Brett Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung

niederrhein
niederrhein
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Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von niederrhein
Hinweis auf einen Artikel
in der Süddeutschen Zeitung vom 24.04.2009, S. 8.


Woran der Kapitalismus krankt
Die Krise liegt im System. Eigentum muss dem Gemeinwohl dienen. Von Ernst-Wolfgang Böckenförde

Ob man auch ohne ePaper-Abonnement an den Artikel kommt, muß ausprobiert werden.(Hier Informationen zum Autor)
(Sonst: Anfrage nach Volltext mit entsprechenden Betreff/Stichwort unter: [email protected])

Verantwortlich
Die Bertha
vom Niederrhein




Karl
Karl
Administrator

Re: Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von Karl
als Antwort auf niederrhein vom 25.04.2009, 12:57:52
Hallo Bertha,


hier ist der ganze Text lesbar.

Ich denke auch, dass die Systemfehler studiert werden müssen. Zu sagen, die beteiligten Menschen (Banker, Spekulanten etc.) seien raffgierig und egoistisch gewesen und deshalb die Schuldigen, ist zu kurz gesprungen, denn Menschen werden wir nicht ändern können, sehr wohl aber die Rahmenbedingungen unter denen sie arbeiten. Hierauf muss das Schwergewicht der Analyse gelegt werden.

Da bin ich mit Böckenförde einig:

Denn was sich hier herausgebildet hat, über Jahrzehnte erfolgreich, mit viel materiellem Gewinn, aber auch zunehmender Spreizung zwischen Arm und Reich, was mit der weltweiten Globalisierung eine neue Qualität erreichte, den Turbo-Kapitalismus (Helmut Schmidt), bevor es jetzt einen Zusammenbruch hervorrief, ist mit dem Hinweis auf Fehlverhalten einzelner Personen oder auch Gruppen nicht hinreichend gekennzeichnet und erklärt.
geschrieben von Böckenförde


Interessant ist die Feststellung von Böckenförde, dass das System eigendynamisch sei und weiter
Die sozialen Probleme und Ausfälle, die dadurch eintreten, zu kompensieren, liegt außerhalb der eigenen Funktionslogik. Dies ist Aufgabe des Staates aus seiner Gewährleistungsfunktion heraus, der dafür Steuern und Beiträge auferlegen darf, die allerdings ihrerseits wieder als Kostenfaktoren wirken. Solidarität der Menschen mit- und untereinander ist nicht strukturierendes Prinzip. Sie kommt nur als Reparaturbegriff zur Geltung, um die schädlichen und inhumanen Folgen des zu seiner Selbstentfaltung freigesetzten Systems abzufangen und teilweise auszugleichen.
geschrieben von Böckenförde


Für mich durchaus spannend, dass Böckenförde dann Marx zitiert:
Die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft hat, so Marx, "den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien (. . .) werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. (. . .) An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion." Diese Entwicklung reißt, so heißt es weiter, "durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen, alle (. . .) Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Ware sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt (. . .) Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen."
geschrieben von Böckenförde

... und abschließend:
Die Kraft des Nationalstaates reicht angesichts der globalen wirtschaftlichen Verflechtung nicht mehr aus, sie kann von den weltweit agierenden Wirtschaftskräften immer wieder unterlaufen werden. Andererseits lässt sich Staatlichkeit nicht im Weltmaßstab, als Weltstaat, organisieren, sondern nur für und in begrenzten Räumen, die miteinander in Beziehung stehen und kooperieren. Der Aufruf geht also zunächst an Europa. Aber wird es den Willen und die Kraft dazu haben?
geschrieben von Böckenförde

Notwendig ist zumindest eine tabulose Diskussion solcher Thesen.



--
karl
hl
hl
Mitglied

Re: Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von hl
als Antwort auf Karl vom 25.04.2009, 14:12:43
Sehr interessanter Artikel. Danke, für Hinweis und Direktlink.
--
hl

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fritz_the_cat
fritz_the_cat
Mitglied

Paßt vielleicht auch hierher
geschrieben von fritz_the_cat
als Antwort auf niederrhein vom 25.04.2009, 12:57:52
Einfacher zu verstehen ist dieser Trickfilm, der aber 50 Minuten läuft und verständlich macht, warum die Zinspolitik nicht funktionieren kann.
Es geht um
Fabian oder gib mir die Welt und 5 Prozent.
Ich glaube, auch schon in der Bibel steht geschrieben, daß der Zins eine Sünde ist. Durch den Zins vermehrt sich das Geld dessen, der bereits Geld hat, das Geld wird denen genommen, die keines oder wenig haben (sonst bräuchten sie sich nichts zu leihen). Aber stellt am besten ein Glas Rotwein neben den Rechner, Beine hoch und schaut euch das Video nach Möglichkeit mit euren lernwilligen Kindern oder Enkeln an.
--
fritz_the_cat
arno
arno
Mitglied

Re: Paßt vielleicht auch hierher
geschrieben von arno
als Antwort auf fritz_the_cat vom 25.04.2009, 20:01:24
Hallo, fritz_the_cat,

nur unsere Politiker sind gefordert!!!

Ohne eine Korrektur des alt bekannten Fehlers in unserem
Geldsystem geraten wir immer mehr in eine Zwickmühlensituation.
Wir haben die Wahl, entweder ohne Wachstum in den sozialen Kollaps
oder mit Wachtum in den ökologischen Kollaps zu geraten.

Wegen der steigenden und unbezahlbaren Staatsverschuldungen
und wegen der daraus resultierenden Inflation vergrößert sich die
riesige Gefahr, daß unsere Politiker eine Lösung darin sehen,
zur Belebung der Wirtschaft sich in Rüstungsausgaben und Kriege
treiben zu lassen!

Der Selbstvermehrungseffekt über Zinsen in unserem Geldsystem
führt zu den krankhaften Entwicklungen in unserer Wirtschaft.


Das Kapital fordert einen immer größeren Teil des Sozialproduktes!
Es geht nicht um die Abschaffung der Marktwirtschaft,
sondern um ihre Befreiung vom Kapitalismus.

Viele Grüße
--
arno
fritz_the_cat
fritz_the_cat
Mitglied

Du hast das Video also doch geschaut
geschrieben von fritz_the_cat
als Antwort auf arno vom 25.04.2009, 20:55:33
denn das ist im Grunde auch die Botschaft, die ich daraus las.
--
fritz_the_cat

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carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 25.04.2009, 14:12:43
"Für mich durchaus spannend, dass Böckenförde dann Marx zitiert." Karl


Hallo Karl, in meiner Nähe befinden sich immer einige gesammelte Werke von Autoren. So auch die von Marx und Engels, eine vierbändige Studienausgabe. Was soll an der Tatsache, dass B. Marx zitiert, so „spannend“ sein? Die Thesen von Marx und Engels (nicht die von Stalin und der Stalinisten der DDR!) sind schon immer für die Wissenschaft interessante Arbeitshypothesen gewesen. Bedauerlicherweise hat man in ihnen ewige Wahrheiten und endgültige Lösungen gesehen und sie als politische Rezepte missbraucht. Zum Schaden von uns allen. Das wird aber auch künftig so sein.

Wie Marx heute in der Wirtschaftsgeschichte rezipiert wird, zeigt der englische Wirtschaftshistoriker Eric Hobsbawm, ein ausgewiesener „Marxist“. Wer sich das das Kapitle über die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals in Marxens gleichnamigem Werk (‚Das „Kapital“) sparen möchte kann dort eine modernere und etwas besser lesbare Version sich zu Gemüte führen. Wir führten vor einiger Zeit einmal eine Diskussion über Hobsbawm im ST.

"Interessant ist die Feststellung von Böckenförde, dass das System eigendynamisch sei ... ." Karl

Karl, wir sollten nicht immer versuchen das Rad neu zu erfinden. Jedes System unterliegt einer Eigendynamik, das wusste schon Hegel. Engels schreibt im Zusammenhang mit Hegels Philosophie, dass Marx dessen revolutionäre Ideen wieder aufgenommen habe. Der "große Grundgedanke" von Hegel und Marx bestehe darin, dass "die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen" zu fassen, sondern ein Komplex von Prozessen sei, worin die scheinbaren stabilen Dinge ... eine "ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens durchmachen", wobei sich "trotz aller scheinbaren Zufälligkeit schließlich eine fortschreitende, vernünftige Entwicklung" durchsetzt. Alle Entwicklungen unterliegen also einer Vernunft, so auch Marx. Geht man davon aus, so landet man bei der Feststellung, dass alle unsere Erkenntnis notwendig beschränkt ist. "Man ist sich ....ihrer Bedingtheit durch die Umstände, unter denen sie gewonnen wurde, bewusst. Marx entwickelte sein System auf dem Hintergrund des Hegelschen Systems, das er, wie er sagte vom Kopf auf die Füße stellte. So Friedrich Engels.

Marx stützte sich bei seinen Analysen auf die klassische Nationalökonomie der Engländer (u. a. Smith, Ricardo). Die Globalisierung hat er jedoch nicht vorausgesehen, er musste sie nur beschreiben. Diese war erlebbar, besonders in London wo Marx sich im Exil aufhielt. Sie war um 1860 mit dem entwickelten Freihandel bereits ausgebildet. Dass wir uns heutzutage von der Globalisierung überrollt fühlen, liegt an unserem mangelnden historischen Verständnis und fehlenden Geschichtskenntnissen. Die Globalisierung war von 1860 etwa bis 1914 ausgebildet und vorhanden. Sie machte „Pause“ wegen der beiden Weltkriege, der Depression der 30er Jahre und der Spaltung der entwickelten Welt in zwei Blöcke nach dem zweiten Weltkrieg. Durch diese Unterbrechung ging der Blick für die Kontinuität verloren. Erst nach den Umbrüchen von 1990ff trat sie wieder ins Blickfeld und wurde neu wahrgenommen.

Herr Böckenförde. geht nicht nur auf Marx ein, er erwähnt auch die Kritik Papst Johannes Pauls II. (Hinweis: Kapitalismus sei ein „System zum Tode“ o.ä.) und die katholische Soziallehre, das Naturrecht. Ihm schwebt ein Wirtschaftssystem vor, in dem der Leitgedanke weniger der von Adam Smith ins Spiel gebrachte menschliche Egoismus steht, sondern menschliche Solidarität (anders gesagt Brüderlichkeit, Nächstenliebe, menschliche Rücksichtnahme). Widerspricht er sich damit selber? Moral als Leitgedanke für die ökonomische Praxis entspricht nicht einer materialistischen Geschichtsauffassung, ist idealistisch gedacht. Kann überhaupt ein Wirtschaftssystem die Menschen morfalisch machen oder müssen diese vorher bereits moralisch aufgebessert sein?

Smith wird übrigens von den Neoliberalen verkannt. Er sah, soweit ich weiß, Regulationsmechnismen vor.

Grüße von c.
Karl
Karl
Administrator

Re: Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von Karl
als Antwort auf carlos1 vom 26.04.2009, 12:35:40
Hallo carlos1,


vielen Dank für deine Ausführungen, habe sie mit Gewinn gelesen.
--
karl
hafel
hafel
Mitglied

Re: Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung
geschrieben von hafel
als Antwort auf carlos1 vom 26.04.2009, 12:35:40
@ Carlos: "Kann überhaupt ein Wirtschaftssystem die Menschen morfalisch machen oder müssen diese vorher bereits moralisch aufgebessert sein? "

Dazu bedarf es wohl einer "anderen Art" Mensch. Unsere Lebenseinstellung strebt nun mal nach Besitz und Wohlstand------- zum "Konsumismus".
--
hafel
niederrhein
niederrhein
Mitglied

Das ist - so verkürzt - nicht zutreffend.
geschrieben von niederrhein
als Antwort auf hafel vom 26.04.2009, 13:03:20
Das ist - so verkürzt - nicht zutreffend.

@ Carlos: "Kann überhaupt ein Wirtschaftssystem die Menschen morfalisch machen oder müssen diese vorher bereits moralisch aufgebessert sein? "
Dazu bedarf es wohl einer "anderen Art" Mensch. Unsere Lebenseinstellung strebt nun mal nach Besitz und Wohlstand------- zum "Konsumismus". hafel


Über 90 Prozent der biologisch-anthropologischen Existenz des sogenannten modernen Menschen war der Mensch - als animal sociale oder zoon politikon - auf Kooperation angewiesen. Eine Entwicklung des Menschen hätte, würde man das heute proklamierte Bild des absolut egoistischen Menschen als konstituierendes Merkmal des Menschen annehmen, überhaupt nicht stattgefunden. Über neunzig Prozent seiner Entwicklung gehörte der Mensch zu Wildbeuter-Sammler-Sippen, deren Überleben eben von der Kooperation aller Mitglieder abhing, nicht vom Egoismus des einzelnen.
Die Ideologie des egoistischen Menschen dient nur zur Rechtfertigung eines Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, das eben nur wenigen nützt und auf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen basiert.

Primatologen, Anthropologen und Humanbiologen beschäftigen sich seit geraumer Zeit eben bezüglich dieser Frage; eben ob der Mensch mit einer "sozialen Genen" ausgestattet ist.
Der gesunde Menschenverstand - falls es einen solchen geben sollte? - muß sich doch fragen, wer welche These aus welchen Gründen vertritt ...

Die Bertha
vom Niederrhein


In etlichen wissenschaftlichen Publikationen (etwa Spektrum der Wissenschaft), auch in populärwissenschaftlichen Zeitschriften (wie SZ-Wissen, ZEIT-Wissen und in dem gerade erschienenen SPIEGEL-Wissen (Heft 1)) werden diese Fragen behandelt bzw. entsprechende Publikationen rezensiert.

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