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Schwarzes Brett Hinweis auf einen palästinensischen Dichter

hl
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Hinweis auf einen palästinensischen Dichter
geschrieben von hl
Machmud Darwisch gilt als der bedeutendste palästinensische Dichter der Gegenwart.[..]
In seinem Prosawerk "Ein Gedächtnis für das Vergessen" schildert Machmud Darwisch in einer dichten, poetischen, mitunter auch zynischen Sprache einen Tag im August 1982 in Beitrut während der israelischen Belagerung, die die Vertreibung der Palästinenser aus der libanesischen Metropole zum Ziel hatte. [..] (Aus dem Klappentext)

Auszug, Seite 10 und 11:

August? Ja, wir haben August. Der Krieg hat sich in eine Belagerung verwandelt. Ich drehe am Radio, meiner dritten Hand mittlerweile, und will wissen, was gerade vor sich geht, doch finde weder einen Bericht noch eine Meldung. Das Radio schläft noch.
Ich habe es aufgegeben zu fragen, wann das Stahlmeergeheul verstummt. Ich wohne in der achten Etage eines Hauses, das jeder Schütze gern aufs Korn nehmen würde, ganz zu schweigen von der Kriegsflotte, die dabei ist, das Meer in einen Höllenquell zu verwandeln. Die Nordseite des Gebäudes, fast ganz aus Glas, bot einst den Bewohnern eine schöne Aussicht auf das gekräuselte Meeresdach. Heute allerdings steht sie nackt dem Tode gegenüber. Warum bin ich eigentlich hier eingezogen? Welch dumme Frage! Das viele Glas hat mich doch die ganzen zehn Jahre, die ich hier wohne, nie gestört.

Wie komme ich freilich in die Küche?
Ich will den Duft von Kaffee. Will bloss den Duft von Kaffee. Will vom Leben nichts weiter als den Duft von Kaffee. Den Duft von Kaffee, um bei Kräften zu bleiben, um mich auf den Beinen zu halten, um mich vom Kriechtier wieder in ein menschliches Wesen zu verwandeln, damit sich mein Anteil an dieser Morgendämmerung auf den Beinen halten kann und wir - das Tageslicht und ich - gemeinsam auf die Straße gehen, um einen besseren Ort zu suchen.

Wie soll ich bloss den Kaffeduft durch meine Zellen strömen lassen, während die Granaten vom Meer auf das Küchenfenster zugerast kommen und die Luft nach Pulver riecht, ja nach Tod schmeckt? Habe die Zeitspanne zwischen zwei Bomben gestoppt: eine Sekunde. Eine Sekunde, kürzer als der Augenblick zwischen zwei Atemseufzern, kürzer als der Augenblick zwischen zwei Herzschlägen. Eine Sekunde reicht nicht, um sich an den Gasherd direkt unter dem meerseitigen Fenster zu stellen. Eine Sekunde reicht nicht, um eine Flasche zu öffnen. Eine Sekunde reicht nicht, um das Wasser in den Kessel zu giessen. Eine Sekunde reicht nicht, um ein Streichholz anzuzünden. Aber eine Sekunde reicht, um in Flammen aufzugehen.

Ich schalte das Radio aus, frage mich nicht, ob die Wand des schmalen Flurs mich wirklich vor dem Bombenregen schützt. Wichtig ist nur, dass da eine Wand ist, mich abzuschirmen vor der bleigeschmolzenen Luft, die das menschliche Fleisch auf einen Schlag vernichtet, zerfetzt, unter sich erstickt. Ein solcher undurchsichtiger Vorhang kann in derartigen Situationen einen vermeintlichen Schutz bieten.
Tot bist du erst, wenn du den Tod erblickst.




Mahmud Darwisch - "Ein Gedächtnis für das Vergessen"
Lenos Verlag, Basel, ISBN 3857873167
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hl
lotte
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dazu....
geschrieben von lotte
als Antwort auf hl vom 06.02.2009, 20:36:31

ich las vor ein paar Wochen von Rafik Schami
Die dunkle Seite der Liebe


Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.11.2004

Trotz der stattlichen 900 Seiten, die sein neuer Roman "Die dunkle Seite der Liebe" auf die Waage bringt, gelingt es Rafik Schami, beim Leser den Eindruck zu hinterlassen, er habe ihn keine Zeit gekostet, sondern ihm Zeit geschenkt, so die angetane Rezensentin Angelika Overath. Eines hat Overath bei der Lektüre überrascht, und zwar wie "leicht zu lesen" Schamis arabische Variante von Romeo und Julia ist, und wie schwer nachvollziehbar sie dennoch bleibt. Es könne daher nicht von Zufall die Rede sein, wenn der Roman schließt mit der Figur des alten und weisen Meisters der Kalligrafie, dessen eigentliche Leidenschaft jedoch dem Mosaikbauen gilt. Hier meint die Rezensentin zugleich den Autor selbst und das Strukturprinzip seines Romans zu erkennen. Die Bruchstellen des Mosaiks verlaufen jedoch in Damaskus und in Arabien ganz anders als in der abendländischen Welt des Lesers: Der "Sinn des Geschehens" ist nicht durch den Einzelnen, sondern durch das "tradierte Gesetz der Sippe" vorgegeben, erklärt sie. Dies gelte gleichermaßen im privaten wie auch im öffentlichen Leben. So erfährt der Leser viel über "den Geist arabischer Despotien" und über die "soziokulturellen Brüche und Neuansätze in der arabischen Welt", lobt Overath. Mit seinem "modernen arabischen Sitten-Tableau", so das Fazit der Rezensentin, hat Schami einen Roman geschrieben, "der so unpolitisch und politisch ist wie die Liebe".


ich habe dieses Buch verschlungen .... ich erlebte hautnah sowohl archaische Vorstellungen als auch moderne Versionen von Liebe und Politik
hl
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Re: dazu....
geschrieben von hl
als Antwort auf lotte vom 08.02.2009, 18:31:52
Ja, ich las einmal sein Buch "gesammelte Olivenkerne".


Das Buch von Machmud Darwisch kann man allerdings nicht in wenigen Stunden "verschlingen".

Es beschreibt in eindringlicher Sprache das ganze Grauen einer Bombardierung. Die bildreiche, poetische Sprache verhindert nicht, dass die Angst, das Entsetzen, sich in dir festsetzt und dich mitten hinein führt in das realistische Morden und Sterben.

"Nur" ein Tag im August 1982 in Beirut - in einem Hochhaus, in einer Stadt, die gerade von den Israelis bombardiert wird. So beginnt das Buch.


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hl
lotte
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Re: dazu....
geschrieben von lotte
als Antwort auf hl vom 08.02.2009, 19:34:49

ich schrieb nichts von wenigen Stunden, liebe hl ..... einige Tage --- das Buch hat an die 1 000 Seiten ...
und dazu las ich viele Informationen über Sachthemen, die der Autor anklingen lässt: z.B. über die Lage der Christen in Syrien , über Damaskus, über die Geographie Syriens usw....


ich liebe arabische Literatur ... vor allem auch Nagib Machfus ....

Das Arabeske - das Erzählen innerhalb der Erzähung - eben die breite Epik .....

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