Sonstiges "Giselle" ist tot

angelottchen
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"Giselle" ist tot ---
geschrieben von angelottchen
Klassisches Ballett gehört wohl zu den künstlerischen Darbietungen, mit denen im speziellen Männer nur sehr wenig anfangen können - da geht die Frau dann meist mit der Freundin, wenn Ballett im Abo-Programm steht und im TV schalten Männer schnell weg bei tanzenden Männern in engen Strumpfhosen und Frauen im Tutu .... einzig bei Reisen nach Russlandreisen war es - zu mindest bis vor einiger Zeit - quasi Pflichtprogramm, das Bolschoibalett zu besuchen - manchmal nur eine Probe, weil es billiger war - meist aber eine ganze Vorstellung und nicht wenige Russlandbesucher, die in den 60ern bis Anfang der 90er so einen Besuch absolviert haben, werden das ausserordentliche Glück gehabt haben, die wunderbare Natalja Bessmertnova zu erleben - die Primaballerina des Bolschoi-Theaters verstarb am Dienstag mit nur 65 Jahren nach langer, schwerer Krankheit in einem Moskauer Krankenhaus.
Die Deutsche Welle schreibt in einem Nachruf über sie:
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Als unübertroffen gilt ihre "Giselle" in dem gleichnamigen Ballett in der Choreografie von Juri Grigorowitsch, mit dem Bessmertnowa verheiratet war.

"Ihre schöpferische Ausdruckskraft hat viele meisterhafte Künstler beeinflusst", sagte eine Sprecherin des Bolschoi, dessen Repertoire die Ballerina über Jahrzehnte prägte. Bessmertnowa wurde am 19. Juli 1941 in Moskau geboren. Die Kritik lobte ihre Ausnahmebegabung. Die Ballerina habe es auf einzigartige Weise verstanden, musikalische Stimmungen in Tanzbewegungen zu übersetzen.

Die Tänzerin starb am Dienstag in einem Moskauer Krankenhaus. Im Atrium des Bolschoi-Theaters können Weggefährten und Fans an diesem Freitag am Sarg der Ballerina Abschied nehmen.

Als Bessmertnowa 1961 die Ballettschule des Bolschoi-Theater verließ, konnte sie mit einem "A+" die beste Note in der Geschichte der Einrichtung vorweisen. Ihre Ausbildung begann sie im Alter von elf Jahren an der Moskauer Ballettschule. In Anspielung auf ihren Namen, der übersetzt so viel wie die Unsterbliche heißt, kommentierten Medien ihren Tod mit den Worten, für ihre Fans bleibe Bessmertnowa nun in der Erinnerung unsterblich.
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Nun sind Balletttänzerinnen eigentlich immer sehr zierlich - aber bei ihr war es eine feenhafte, zerbrechliche und doch sehr kraftvolle und sehr weibliche Art, die ihre Zuschauer verzauberte und was sie aus der eigentlich durchgeknallten, hysterischen jungen Frau "Giselle", die sich aus Liebeskummer zu Tode tanzt um dann schon bald in nebulösen Nächten zusammen mit anderen blutleeren Geschöpfen Männer in den dunklen Wald lockt und zu Tode tanzt .... soweit eine Kurzbeschreibung des Inhalts von Giselle ...Männer mögen das seinerzeit romantisch gefunden haben, aber die geschichte an sich ist furchtbar kitschig - dann aber kommt die Choreografie von Juri Grigorowitsch ins Spiel, mit dem Natalja übrigens verheiratet war - er zaubert aus der Geschichte ein wirklich romantisches Märchen und die Bessmertnowa gab jener hysterischen jungen Frau eine liebenswerte, hingebungsvolle Gestalt, die jeder lieben musste.

Wie schade, dass Ballett- Tänzer und Tänzerinnen - nur noch für wenige Liebhaber im Mittelpunkt stehen. Wie schade, dass ihre Karrieresteigerungen und Niederungen nicht so aufmerksam verfolgt werden wie die so mancher Opernstars .... so will ich an dieser Stelle wenigstens an diese wunderbare, kleine grosse Frau erinnen, denn mit ihr ist eine Ballettlegende gestorben. Giselle ist tot ...

Unten ein Link zu einem Video, dass ein wenig von ihrer grossen Kunst wiederspiegelt ...

R.I.P. Natalja Bessmertnova ...
Erde, werd´ ihr nicht zu schwer, sie war so leicht für Dich ...
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angelottchen
silhouette
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Re:
geschrieben von silhouette
als Antwort auf angelottchen vom 22.02.2008, 21:31:19
Nanu, eine ganz neue Seite von dir.
Es ist mir ein Rätsel, weshalb das Ballett in der Klassischen Kultur hierzulande einen eher randständigen Stellenwert hat, nur das Interesse einer Elite oder besonderen Kennern findet, nicht aber der breiten kunstinsteressierten Bevölkerung. Liegt es vielleicht an der pietistischen Prägung mit ihrer latenten Körperfeindlichkeit?

Dabei hatte und hat Deutschland keinen Grund, sich zu verstecken. Dank großartiger Choreographen hat es Ballettzentren von Weltgeltung, Hamburg, Stuttgart, Wuppertal. Das Marijnski (ex Kirov) kommt regelmäßig komplett nach Baden-Baden, das ist bei mir um die Ecke. Aber für Rentenbezieher kaum erschwinglich, nur für die russischen Neureichen, die sich dort niedergelassen haben.

Ich selber habe eine ähnliche Trauer empfunden beim Tod von Nurejev und Maurice Béjart.
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silhouette
angelottchen
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Re:
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf silhouette vom 22.02.2008, 22:13:01
tja...Du kennst mich eben nicht
Ich habe schon häufiger hier über Ballett geschrieben und zB die Schwanenseeinstzenierung vorgestellt, die nur von Männern getanzt wird ....über Nurejev und meinen Besuch an seinem Grab und einiges mehr ..
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angelottchen

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silhouette
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Re:
geschrieben von silhouette
als Antwort auf angelottchen vom 22.02.2008, 22:35:43
Zurück zu der Frage: warum ist bei uns Ballet so wenig populär? In Brüssel in den 60er und 70er Jahren war Maurice Béjart mit seinen Inszenierungen der neue Halbgott. Und dass er als Musik nur Konserve spielen ließ, war überhaupt nicht wichtig.
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navallo
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Re:
geschrieben von navallo
als Antwort auf silhouette vom 22.02.2008, 23:18:52
Ich weiß nicht, warum Ballett mich langweilt. Kann nichts dagegen machen. Zahlreiche weibliche Korrekturversuche sind fehlgeschlagen. Inzwischen wurden sie aufgegeben.

Wäre dankbar, wenn mir das einer erklären könnte.

Liegt's vielleicht am Y-Chromosom? Oder ist es ein merkwürdiges Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom? Sind meine Eltern oder die Lehrer schuld? Selbst wenn ich wüßte, woran es liegt, könnte das nach so langer Zeit noch was ändern?
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navallo
silhouette
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Re:
geschrieben von silhouette
als Antwort auf navallo vom 23.02.2008, 12:21:25
Also 2 Stunden Schwanensee, am Schluss eine wogende große Plastikfolie, in der einer ertrinken geht wie weiland der bayrische Ludwig, das langweilt mich auch.

Kommt dagegen die Truppe von Pina Bausch und ein Opern-Ensemble zusammen (die Sänger agieren am Bühnenrand und in den vorderen Seitenlogen), dann wird das eine ganz spannende Sache.

Geschmacksache ist es aber dann immer noch. Man muss genau hinschauen und eine Fantasie haben, die sich anregen lässt. Sonst ist es ein ewig gleiches Gehüpfe.
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angelottchen
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Re:
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf navallo vom 23.02.2008, 12:21:25
Hallo navallo - ich denke, es liegt tatsächlich daran, dass man sich beim Ballett sehr konzentrieren muss, wenn mansich auf die Handlung einlässt - und Männer lesen da leider vorher kaum mal ein Libretto

Warum Ballett in Deutschland nicht mehr so beliebt ist - nun, es steht und fällt wahrscheinlich mit herausragenden Choreographen und Balletttruppen und den Solisten. die damit im Land bleiben oder ins Land kommen. Die begeisterung, die es gab als John Cranko noch in Stuttgart das Ballett leitete und alte Balletts aus dem Dornröschenschlaf holte, als grossartige Tänzer und Tänzerinnen wie die wunderbare Marcia Haydée oder Egon Madsen oder Richard Cragun die Stars waren und als die Massen nicht in sensations- und effektgeladene Musicals rannten, die weniger durch künstlerische Leistunfg einzelner und grossartige Musik als eben nur im Gesamtpaket bestechen - wenn überhaupt ..

Ob Cranko noch länger in Stuttgart gelieben wär? (er erstickte in einem Flugzeug an einem Bissen, der offenbar in die Luftröhre kam). Auf der Website tanznet.de fand ich dazu folgendes:

Als Cranko 1973 starb, war die deutsche Ballettszene in einem grossen Umbruch begriffen – in der Folge der politischen Ereignisse von 1968. Damals schickte sich das Tanztheater im Gefolge der Pina Bausch und Johann Kresnik gerade an, die deutschen Theater zu erobern. Wie hätte er darauf reagiert, der bereits 1972, ein Jahr bevor Bausch Chefin in Wuppertal wurde, sein Tanztheaterstück „Présence“ über Molly Bloom, Roi Ubu und Don Quixote choreografiert hatte (und der in seiner letzten Arbeit, „Spuren“, sehr zur Verstörung seiner Stuttgarter Fans, weit von seinen vertrauten choreografischen Pfaden abgewichen war)? Hätte er, mit seinen weltstädtisch-kosmopolitischen Erfahrungen und Ambitionen, es überhaupt noch weitere dreissig Jahre in der behäbigen Schwabenmetropole ausgehalten? Wäre er nach 1989 womöglich nach Berlin gegangen und hätte dort der neu aufblühenden Hauptstadt zu dem Ballettboom verholfen, den Berlin aus eigener Kraft nicht zu bewirken imstande ist? John Cranko als Ballettintendant der Deutschen Staatsoper zugleich Leiter des Deutschen Nationalballetts – eine Ikone wie Balanchine für Amerika und Ashton in England? Seien wir dankbar, dass wir ihn immerhin ein knappes Dutzend Jahre in Stuttgart gehabt haben, dass er hier die Fundamente für eine Ballettarbeit gelegt hat, die immerhin bereits dreissig Jahre lang ohne die mindesten Anzeichen von Materialermüdung oder Abnutzungserscheinungen gehalten haben.
geschrieben von tanznetz.de


Wer sich über die Entwicklung und das Geschehen der Tanzszene in Deutschland informieren will, dem sei das Portal TANZNETZ empfohlen. Persönlich habe ich den Eindruck, dass man zwar in Sachen Innovation und Umbruch im klassischen Tanu an einem Strang zu ziehen scheint - aber doch irgendwie alle in eine andere Richtung. Persönlich gefällt mir die Choreografin und Chefin des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch und natürlich ihre Truppe ganz ausgezeichnet. Grossartige Balletts entstanden unter ihrer Leitung mit Musikpotpurees von Gershwin und Gluck bis hin zu Schlagern und Kinderliedern. Muss man aber mögen.

Es ist vielleicht hier im Lande eine Übersättigung - eine Überflutung durch E-medien und wie schon bei den Musicals beschrieben durch Effektehascherei, die wirkliche Begeisterung für "Körper unplugged" nicht mehr zulässt?

Da hat das Ballett es schwer - wer weiss schon die körperlichen Anstrengungen der Tänzer zu würdigen, die nunmal nicht im hohen Bogen durch die Luft fliegen, herumballern und auch noch jeden Tag in der Yellowpress stehen und leider (zum Glück) muss auch kein russischer Tänzer mal eben bei einem Auslandsengagement um Asyl bitten und die westliche welt begeistern ...


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angelottchen
paulachen
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Re:
geschrieben von paulachen
als Antwort auf silhouette vom 23.02.2008, 12:42:30
....sehe gerade diesen Thread...

Ich bin ein Fan, nein süchtig, nach modernem Tanztheater und besonders nach Pina Bausch. "Orpheus und Eurydike" ist gerade in Paris ein Erfolg und meiner Meinung nach großartig...Schaut mal...
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paulachen
silhouette
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Re:
geschrieben von silhouette
als Antwort auf paulachen vom 26.02.2008, 00:05:12
An genau diese Inszenierung habe ich gedacht. Ich habe sie 1996 im Rahmen des Edinburgh Festivals gesehen, mit echten Sängern am Rand der Bühne und in den Proszeniumlogen. Und das Schönste: es war nach deutschen Maßstäbe noch bezahlbar!
Gruß von S
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