Forum Kunst und Literatur Sonstiges Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben

Sonstiges Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben

adeline
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Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben
geschrieben von adeline
Theatermacher erliegt Krebsleiden

Der Theaterregisseur und Drehbuchautor Christoph Schlingensief ist tot. Er starb am Samstag nach einem zweieinhalbjährigen Krebsleiden im Alter von 49 Jahren. Schlingensief galt als einer der wichtigsten Theater- und Filmkünstler in Deutschland.

R.I.P.


rollystone
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Re: Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben
geschrieben von rollystone
als Antwort auf adeline vom 21.08.2010, 20:11:58
Ein genialer Regisseur und Mensch hat uns verlassen. Es war abzusehen, nach der schweren Krankheit. Möge er in Frieden ruhen.
miriam
miriam
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Re: Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben
geschrieben von miriam
Christoph Schlingensief ist tot - und es geht wahrscheinlich vielen so wie mir: diesen lebendigen, phantasievollen Künstler, den Menschen in dessen Werk immer auch der Schlag seines großen Herzens zu vernehmen war - den kann man sich gar nicht als tot vorstellen.

Manchmal Provocateur und auch enfant terrible - so schien er einem oft vordergründig - und sah trotzdem hinter dieser Fassade, sein politisches Engagement, sein Credo, seine Menschlichkeit - besser gesagt, seine Menschenliebe.

Im Link eine Bilderserie mit dem Titel "Sterben müssen aber leben wollen"

Miriam

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circe
circe
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Re: Theater: Christoph Schlingensief ist verstorben
geschrieben von circe
als Antwort auf miriam vom 21.08.2010, 22:41:34
ich finde es sehr traurig das es nun doch so arg schnell ging. Ein ganz Großer wäre er eventuell geworden.
miriam
miriam
Mitglied

Re: "Ich hab' keinen Bock auf Himmel" Kommentierte Fragmente aus Schlingensiefs Tagebuch
geschrieben von miriam
"Ich will mein Sterben aushalten!"

Christoph Schlingensief veröffentlicht sein Tagebuch

"Zeige deine Wunde!", das war über Jahrzehnte Christoph Schlingensiefs Appell. Und er hat auf der Bühne oder vor der Kamera immer danach gehandelt, sich nicht geschont. Im Januar 2008 wird bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Als er spürt, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist und er in die Mühlen der Medizin gerät, beginnt er, Tagebuch nicht zu schreiben, sondern zu sprechen.

Schlingensief hat ein Selbstermutigungstalent

Er hadert, mit Gott, vor allem mit der Kirche.
"Lieber Gott, ich würde so gerne sagen, dass ich auf dich und deine Leute scheiße", diktiert Schlingensief.
Er hadert mit seinen Eltern, am meisten mit sich selbst. "Ich bin schon lange tot. Und jetzt bin ich noch töter", so der Regisseur.
Er rettet sich in Lakonie und Galgenhumor: "Ja, Christoph, das bist jetzt du, du löst dich in Wurmscheiße auf!" Schlingensiefs Bericht kann sich schon deswegen niemand entziehen, weil er jeden auf eine sehr drastische Weise an die eigene Sterblichkeit erinnert.
Das Buch ist der Versuch, sich und die Krankheit von außen zu betrachten, dadurch Autonomie zu bewahren. Das macht es lesenswert. Schlingensief hat ein Selbstermutigungstalent, sich immer wieder aus der Depression herauszuziehen - durch seine Art, mit sich und anderen im Gespräch zu bleiben, sich mitzuteilen. Sich trotz Rundum-Versorgung das eigene Denken nicht abnehmen zu lassen, ist ihm wichtig, und gleichzeitig - darin liegt eine Paradoxie - auch eine gewisse Gelassenheit zu lernen.

Immer wieder sucht er nach Gründen für die Krankheit: "Werde ich jetzt für irgendetwas bestraft?" Keine Bedeutung mehr für Andere zu haben, kein Besonderer mehr zu sein, davor hat Schlingensief die größte Angst. "Für uns bist du nix. Das ist der wahre Albtraum", so sein Tagebuch. Er macht sich Gedanken darüber, welches Bild er am Ende seines Lebens abgeben wird: "Eine Hinterlassenschaft ist mir wichtig." Aber er kennt auch seine Lust an der Selbstdarstellung, und fährt sich, wenn er zu verstiegen formuliert, selbst in die Parade: "Mach' mal halblang. Komm runter, komm mal wieder ins Bild." Er überlegt, wie man am besten Kontakt zu Leuten aufnimmt, die schon gestorben sind und wo er am liebsten wiedergeboren werden möchte.

"Ich hab' keinen Bock auf Himmel"

Nach glücklich überstandener Chemotherapie schwadroniert er sich ins Leben zurück:
"Ich hab' keinen Bock auf Himmel, ich habe keinen Bock auf Harfe spielen und singen und irgendwo auf einer Wolke herumgammeln."

Manchmal gelingen dabei imponierend leichte und imponierend kluge Formulierungen:
"Das ist eben das Paradox mit Gott. Da ist einer weg, ist nicht da, aber trozdem ganz nah bei uns. Wenn jemand nicht da ist, dann ist er vielleicht einfach das Ganze. Wenn jemand da ist, dann sieht man, dass sein Haaransatz zurückgeht oder er beim Reden lispelt. Wenn jemand da ist, dann sieht man die Bescherung. Deshalb ist Gott lieber nicht da. Dann kann er alles sein und selbst in seiner Abwesenheit anwesend sein."

Wer so salopp 2000 Jahre Philosophie-Geschichte auf den Punkt bringen kann, der ist hier unverzichtbar.

20.04.2009 / Benedikt Gondolf ("aspekte", ZDF)

Miriam



Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

Re: "Ich hab' keinen Bock auf Himmel" Kommentierte Fragmente aus Schlingensiefs Tagebuch
geschrieben von Der-Waldler
Mit seiner Theaterarbeit konnte ich nichts anfangen, auch mit seinen Filmen nicht. Aber der MENSCH Schlingensief war mir ausserordentlich sympathisch und sein Buch über seinen Kampf mit dem Krebs habe ich tief berührt gelesen, und es hat mir sogar geholfen, eigenen Kummer und eigenes Leid anzunehmen. Ich werde es bald noch einmal lesen, auch im Gedenken an ihn. Er hat seinen Kampf sicherlich nicht "verloren", denn allein dieses Buch hilft anderen sehr.

Möge er seinen Frieden gefunden haben.

DW


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miriam
miriam
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Re: "Ich hab' keinen Bock auf Himmel" Kommentierte Fragmente aus Schlingensiefs Tagebuch
geschrieben von miriam
als Antwort auf Der-Waldler vom 22.08.2010, 10:00:34
Mit seiner Theaterarbeit konnte ich nichts anfangen, auch mit seinen Filmen nicht. Aber der MENSCH Schlingensief war mir ausserordentlich sympathisch und sein Buch über seinen Kampf mit dem Krebs habe ich tief berührt gelesen, und es hat mir sogar geholfen, eigenen Kummer und eigenes Leid anzunehmen. Ich werde es bald noch einmal lesen, auch im Gedenken an ihn. Er hat seinen Kampf sicherlich nicht "verloren", denn allein dieses Buch hilft anderen sehr.

Möge er seinen Frieden gefunden haben.

DW


Dein Beitrag hat mich sehr berührt DW, spontan dachte ich mir: ganz im Sinne Christoph Schliengensiefs geschrieben... Offen gestehend, dass du mit seinem Werk nichts anfangen kannst - und trotzdem diesen außergewöhnlichen Menschen sympathisch findend.

Wer etwas mehr über Christoph Schlingensief wissen möchte - oder wen ein Wiedersehen mit ihm freuen würde:

Heute Abend sendet 3sat ein "Kulturzeit extra zum Tod von Christoph Schlingensief" - um 19h10.

Liebe Grüße

Miriam
luchs35
luchs35
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Re: "Ich hab' keinen Bock auf Himmel" Kommentierte Fragmente aus Schlingensiefs Tagebuch
geschrieben von luchs35
als Antwort auf miriam vom 22.08.2010, 14:34:46
Der charismatische Christoph Schlingensief hat mit allem, was er machte, unglaublich polarisiert. Mit viel Schalk im Nacken packte er die Leute an ihrer Schwachstelle und machte sich manche zum Feind, obwohl ihm kaum einer lange böse sein konnte. Mit seinem jungenhaften Charme zeigte er Seiten, die ihn liebenswert machten.

Ich empfand ihn immer wie ein Stück treibende Hefe im konservativen Kunstteig, nie wusste man, was sein Handeln auslöst. Er machte es einem schwer, ihn zu verstehen. Und trotzdem mochten ihn viele, auch jene, die mit seiner Auffassung von Theaterinszenierungen nicht klar kamen.

War er nur der Zeit voraus oder wäre er zuvor vom Kommerz erdrückt worden?
Wir werden es nie erfahren, aber er hinterlässt eine grosse Lücke.

Luchs

Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

Re: "Ich hab' keinen Bock auf Himmel" Kommentierte Fragmente aus Schlingensiefs Tagebuch
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf miriam vom 22.08.2010, 14:34:46
Hallo, Miriam,

ich glaube, am meisten in seinem Tagebuch über seine Krankheit hat mir sein Ringen um "Gott" imponiert. Erstens hätte man ihm das gar nicht in dieser Form zugetraut (ich jedenfalls nicht) und zweitens ist das auch eines meiner eigenen Lebens-Themen.

Schönen Gruss

DW
miriam
miriam
Mitglied

Re: Achtung heute ab 22:25 - Programmänderung auf 3sat
geschrieben von miriam
Heute 24. August 22:25: Kulturzeit extra: In memoriam Christoph Schlingensief"


Katrin Bauerfeind hat den Theatermacher Ende 2008 getroffen, als er gerade seinen ersten schweren Rückfall hatte. Sie sprachen über sein Leben, sein Werk und die Angst vor dem Tod. Der Theatermacher selbst hatte sich gewünscht, dass das Gespräch auf 3sat in voller Länge gezeigt wird

23:10 Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir
Fluxus-Oratorium von Christoph Schlingensief


RuhrTriennale, Haus der Berliner Festspiele 2009

Mit Margit Carstensen, Angela Winkler, Anne Tismer,
Mira Partecke, Komi Mizrajim Togbonou, Stefan Kolosko,
Karin Witt, Horst Gelonnek, Kerstin Grassmann,
Norbert Müller, Achim von Paczensky und Klaus Beyer
Sängerinnen: Friederike Harmsen, Ulrike Eidinger
Komposition und Schlagzeug: Michael Wertmüller
Korrepetitor und Orgelspieler: Dominik Blum
Bühnenbild: Thomas Goerge
Bühnenbild: Thekla von Mülheim
Kostüme: Aino Laberenz
Regie: Christoph Schlingensief
Fernsehregie: Peter Schönhofer

0:40The African Twintowers

Ein Projekt von Christoph Schlingensief,
Deutschland 2009


mit Irm Hermann, Klaus Beyer, Patti Smith, Robert Stadlober, Dirk Rohde, Stefan Kolosko, Norbert Losch, Karin Witt, Katharina Schlothauer
Schnitt: Kathrin Krottenthaler
Kostüme: Aino Laberenz


Miriam




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