Soziales Die Lüge

mane
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Re: Die Lüge
geschrieben von mane
als Antwort auf Gerdd vom 04.10.2016, 13:11:01
Liebe Mane,

Du hast mit dem thread mal wieder einen Anstoß gegeben etwas nachzudenken.
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Einzelne Gedanken dazu:

Da unsere Erinnerung, je weiter sie zurückgeht, nie das wiedergibt was wirklich passiert ist, „lügen“ wir alle bzw. keiner lügt und da wir die Zukunft nicht kennen können, „lügen“ wir wieder, wenn wir uns dazu äußern oder keiner lügt.

Also, ich lüge immer und ich lüge nie ist in diesem Sinne stimmig.
Vielleicht gibt es Lüge überhaupt nicht!?

Aber wir wurden sozialisiert auf „Lüge“ bzw. „Wahrheit“:
Du lügst, Er/Sie hat gelogen, sag die Wahrheit, ein Lügner, „Wahrheitsfanatiker“, Schwindler, Beichte, Lügendetektor, Sünde, Lügen und Betrügen, ehrlich, verlogen, schlechtes Gewissen, Gott ist die Wahrheit und …, schwindeln, wahre Schönheit, Wahrsager ….....

das alles spielt mit rein und noch vieles mehr ….....

Gerdd


Lieber Gerdd,

du hast recht - unsere Erinnerungen sind trügerisch. Umso mehr, je weiter die Ereignisse zurück liegen. Auch die Zukunft lässt sich nicht mit Bestimmtheit voraussagen.

Glaubt man dem Soziologen Max Weber, so gibt es die Lüge eigentlich gar nicht, da wir, dank unseres "subjektiv gemeinten Sinns", immer über eine plausible Erklärung verfügen, warum wir etwas so erzählen, wie wir es tun. Da kann einem in den Sinn kommen, dass alles Lüge ist. Ein bisschen paradox, nicht wahr?

Jetzt wird es arg philosophisch:

Friedrich Nietzsche hat den Text "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" verfasst und versucht dort zu belegen, dass der Mensch ständig lügt, sich dessen aber nicht bewusst ist.
Für Nietzsche kann der Mensch von keiner Wahrheit ausgehen, da sie auf Sprache basiert. Der Mensch hat sich eine einheitliche Wahrheit festgesetzt mit Hilfe der Sprache und wer sich dagegen äußert, wird von der übrigen Gesellschaft Lügner genannt.

Für Nietzsche kann Sprache keine sichere Wahrheit transportieren, weil sie eine mehrfache Metaphorisierung der Wirklichkeit ist, die nichts mit der Realität gemein hat. Im Video wird darauf noch näher eingegangen.


Liebe Grüße,
Mane
Gerdd
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Re: Die Lüge
geschrieben von Gerdd
Liebe Mane,

Du hast es mal wieder auf den Punkt gebracht bzw. Nietzsche.
Vielen Dank, besonders auch für das Video!
hzl Gerdd
mane
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Re: Die Lüge
geschrieben von mane
als Antwort auf Federstrich vom 03.10.2016, 14:38:42

Ich finde die dicke "black lie", besonders in Politik und Propaganda, mit ihren mitunter langfristigen und tiefgreifenden, ja verheerenden Konsequenzen für viele Menschen am abstoßendsten. Die Geschichte und jüngste Vergangenheit strotzt nur so von Beispielen dafür. Gerade heute sei auf "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." verwiesen. Diese kapitalen Lügen sind sehr schwer zu entlarven, es sei denn, die Umstände entlarven den Lügner relativ schnell, wie bei jenem Spitzbart. Andernfalls braucht man Zeit und Wissen, um solche Lügen zu entlarven.
Gruß, Federstrich


Lieber Federstrich,

auf diesen Abschnitt deines Beitrags bin ich noch nicht eingegangen und hole es hiermit nach.

Warum lügen Politiker?
Tun sie es u.a. zum Machterhalt und um gewählt zu werden oder lügen sie auch, weil wir es hören wollen? Werden wir manchmal nicht auch ganz gerne angelogen, weil es uns beruhigt?
Ich erinnere mich an den viel zitierten Satz des damaligen Arbeitsministers Norbert Blüm, der 1986 tönte: "Die Rente ist sicher." Eine Lüge, wie sich bald herausstellte. Blüm blieb lange bei seiner Aussage - interpretierte sie später nur anders.

Zu dem von dir erwähnten Satz von Walter Ulbricht:
Auf einer Pressekonferenz in Ost-Berlin log er auf die Frage einer Journalistin nach einer Staatsgrenze am Brandenburger Tor, während bereits die ersten Steine für den Mauerbau herangeschafft wurden:


Obwohl nicht direkt nach der Art der Abriegelung gefragt wurde, war Ulbricht selbst der erste, der den Begriff "Mauer" in den Raum stellte. Zwei Monate später begann der Bau der Mauer, um den wachsenden Flüchtlingsstrom zu stoppen.
Gruß Mane

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val
val
Mitglied

Re: Die Lüge
geschrieben von val
als Antwort auf mane vom 04.10.2016, 11:28:54
Hallo Mane,

es wären - nach der Klassifizierung, die Federstrich nennt und die ich nicht kannte, "weisse L¨gen".

Wenn es Menschen sind, die man - wie du schon sagtest - schonen möchte!

Allerdings muss man wissen, ob sie auch geschont werden wollen; d.h. man muss sie kennen.
(Meine Mutter z.B. ahnte meistens, wenn ich 'log' und hat es lächelnd akzeptiert).

Es gibt so viele Varianten: Übertreiben, Ausschmücken, Angeben, Märchen erzählen..

Das macht nachdenklich..

Wenn ich z.B. "keine Zeit habe", aber aus Freundlichkeit? Hilfsbereitschaft? mir die "Zeit nehme", dann habe ich eben doch
Zeit!

Werde eure links studieren!
Gruss Val
Re: Die Lüge
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf mane vom 03.10.2016, 12:02:18
Hallo mane,

da hast du ein vielschichtiges, schwieriges Thema zur Diskussion gebracht. Aber: Kompliment!

Ich kann nicht auf alle Lügenarten, die mir so einfallen, eingehen. Es gibt Menschen, die leben nur mit Lügengebäuden. Ich kenne solche und sie sprechen manchmal mit mir - und tischen mir neue Lügengeschichten auf. Ich sage dazu höchstens ja-ja oder garnichts.

Schummeln bei Spielen finde ich überhaupt nicht schlimm und ich finde auch, dass es mit dem "wirklichen Leben" nichts zu tun hat. Schummeln kann eine Kunst sein!
Wir haben früher oft so gespielt: Heute ist Schummeln erlaubt bzw. heute ist Schummeln nicht erlaubt. Bei erlaubten Schummeln, was allen riesigen Spaß gemacht hat, galt es, wer den/die Schummler als erstes entlarvt. Man sieht dann, wie schön manche schummeln können bzw. wie schwer das Entlarven sein kann

Kleine Komplimente-Lügen mag ich überhaupt nicht und ich selbst mache sie auch nicht. Das fängt schon damit an, wenn jemand fragt, wie alt man ihn denn schätzt? Schreckliche Frage! Da lügt doch jeder bei der Antwort!

Auf wirklich schwerwiegende Lügen mag ich nicht eigehen, das wäre zuviel (auch an Text). Meine Kurzfassung dazu: Sie sind tabu, verboten.
Morrison
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Die Lüge
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 05.10.2016, 12:38:56
"Kleine Komplimente-Lügen mag ich überhaupt nicht und ich selbst mache sie auch nicht. Das fängt schon damit an, wenn jemand fragt, wie alt man ihn denn schätzt? Schreckliche Frage! Da lügt doch jeder bei der Antwort!"

Ich sag zu solchen Fragen immer, da schweigt dann jeder:

Ich seh nur so alt aus, bin aber jünger.

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ingo
ingo
Mitglied

Re: Die Lüge
geschrieben von ingo
als Antwort auf mane vom 03.10.2016, 12:02:18
Ich antworte nur zur "Lüge"; Flunkerei etc. sind nicht mein Thema. Flunkerer sind schnell bekannt und werden einfach nicht ernst genommen. Sie sind in aller Regel auch nicht wichtig.
"Haltet Ihr es für möglich, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen?"

Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, dass ich wieder Vertrauen bekommen könnte, wenn mich jemand angelogen hat. Es gibt in meinem engsten Umfeld zwei Menschen, denen ich immer bedingungslos geglaubt habe. Nachdem sie mich angelogen haben, werde ich ihnen in entscheidenden Situationen nie wieder glauben können.
Federstrich
Federstrich
Mitglied

Re: Die Lüge
geschrieben von Federstrich
als Antwort auf mane vom 05.10.2016, 12:04:52
Liebe mane,

in deiner ersten Antwort schriebst du:

"ging es mir darum, dass Lügen eines nahen Menschen dazu führen können, das Vertrauen in ihn zu verlieren - was kaum noch wieder gutzumachen ist. Wäre das nach deiner Definierung eine sog. graue Lüge?"
geschrieben von mane

Ja, das wäre es tendenziell für mich, aber wir sollten dabei immer bedenken, dass es da wohl Mischformen wegen der unvermeidbaren Überlappungen geben wird.

Warum lügen Politiker?
Tun sie es u.a. zum Machterhalt und um gewählt zu werden oder lügen sie auch, weil wir es hören wollen? Werden wir manchmal nicht auch ganz gerne angelogen, weil es uns beruhigt?
geschrieben von mane

Beides. Die Mauerlüge diente dem puren Machterhalt der Clique um den Spitzbart. Viel häufiger ist aber die zweite, von dir erwähnte Motivlage: Politiker lügen auch "zum Wohle des deutschen Volkes", wie Strauß das mal formuliert hat.
Die Insulaner sagen: it takes two to tango, und recht haben sie. Können wir (die Wähler) die Wahrheit überhaupt ertragen? Alle fordern, erwarten es, aber die Wahlergebnisse sprechen oft eine andere Sprache. Wer keine guten Botschaften hat, wird an der Urne abgestraft. Wer Wohltaten verspricht, wird gewählt. Wolfgang Gerhardt warf den Wählern deshalb mal resignierend vor: „Ihr wollt die Wahrheit hören, aber Ihr goutiert sie nicht, wenn man sie Euch sagt.“

Wenn wir ehrlich sind, hat Gerhardt recht, so wie Nietzsche uns durchschaut hat: das Wahlvolk, die Menschen, brauchen die Illusion, den schönen Schein. Nietzsche hielt den Menschen dabei den Spiegel vor: "Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen und vor sich selbst, kurz das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so sehr die Regel und das Gesetz, daß fast nichts unbegreiflicher ist, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen konnte. Sie sind tief eingetaucht in Illusionen und Traumbilder, ihr Auge gleitet nur auf der Oberfläche der Dinge herum und sieht "Formen", ihre Empfindung führt nirgends in die Wahrheit, sondern begnügt sich, Reize zu empfangen und gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu spielen."
Harte Worte, aber m.E. nicht unberechtigt. Sind die Wähler mit ihren Erwartungen nicht auch allzu oft "mitbeteiligte Täter" beim Lügen? Ist es nicht blauäugig zu glauben, gar zu erwarten, dass Politik für Millionen ohne Lügen funktionieren kann?
Gruß, Federstrich
mane
mane
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Re: Die Lüge
geschrieben von mane
als Antwort auf chris33 vom 04.10.2016, 16:23:57


Weshalb wird gelogen ?
......

Manipulation oder Stolz können Gründe sein.

Chris33


Stolz und Scham können eine Rolle spielen. Nicht jeder steht zu seinen Fehlern und Versäumnissen (vielleicht weil sie sich selbst nicht verzeihen können?) und haben Angst das "Gesicht" zu verlieren.

"Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast." ist ein weit verbreiteter Spruch.
Ob Medikamentenwirksamkeit, Untersuchungen zur Früherkennung, Kriminalitätsrate oder Armutsrate - mit Zahlentricksereien lassen vor allem Unternehmen und Politiker allzu gern ein falsches Weltbild entstehen und manipulieren damit.

Seit 2012 hinterfragen drei Wissenschaftler Statistiken und Berichterstattungen auf ihren Wahrheitsgehalt und bringen oft skurrile, aber auch erschreckende Fehleinschätzungen (z.B. über Brustkrebs- und Prostatakrebsrisiken)zutage.
Unstatistik des Monats

Gruß Mane
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Die Lüge
geschrieben von JuergenS
Lügen haben kurze Beine,
Wahrheiten dagegen keine.

So ein Schmarrn, die liegen beide im gleichen Bett, nur das Auge des Betrachters und die Vermessenheit des eigenen EGO sieht das ganze glorifiziert.

Nicht ich lüge, sondern andere.


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