Forum Soziales und Lebenshilfe Soziales Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007

Soziales Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007

ingo
ingo
Mitglied

Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von ingo


Am 31. Mai habe ich auf die U-Bahn gewartet und einen Mann gesehen, der die Abfallkörbe durchsuchte. Das kenne ich zwar schon; aber hier war ich zutiefst getroffen, als er einen halb aufgegessenen Apfel rausholte und ihn aufaß. Ich habe anschliessend mit mir gehadert, weil ich mir nicht die Zeit genommen habe, mit ihm noch schnell zum Bäcker zu gehen. Eine Erklärung für sein Verhalten fiel mir dann in der U-Bahn ein: Hartz IV- und Sozialhilfeempfänger bekommen ihr Geld am 1. eines Monats und keine Stunde früher. Mein Fazit: Der Mann (kein Pennertyp!) hatte kein Geld mehr, um sich Essen zu kaufen. Ob die Gründe dafür bei ihm liegen oder nicht, sei einmal dahingestellt.++++Am 1.Juni war ich bei Aldi. Vor mir eine Frau mit einem bis oben gefüllten Einkaufswagen (und ich mit 4 Teilen....bohhhh!). Dann hatte ich Zeit, mir den Einkauf und die Frau näher anzusehen: Im Wagen: Einfache Dauerware zum Essen und Trinken; einzige Ausnahme: eine Flasche Billigsekt. Die Frau: Mitte 30, schlicht aber sauber gekleidet.....Mir fiel der Mann vom Vortag wieder ein, und ich dachte: Heute ist der 1. Diese Frau hat heute Geld bekommen und sofort voll auf Vorrat eingekauft....Die Flasche Sekt? Geburtstag---oder einfach nur so, um sich mal was Gutes zu tun? ..... Für mich war das zweimal stinknormale Armut in Deutschland. Den Skeptikern sage ich noch, dass ich seit 30 Jahren auf der anderen Seite des Schreibtisches von Sozialamt/Hartz IV sitze und die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ich mich irre. Und den Kritikern sage ich: Egal, warum diese Menschen in der Situation sind: Mir ist an diesem beiden Tagen deutlicher als bisher geworden, wie armselig ein Staat ist, wenn er so was nicht vermeiden kann. Damit wir uns recht verstehen: „Vermeiden“ hätte bei mir schon vor 30 Jahren begonnen. Damals hätte ich alle Mittel einsetzen mögen, damit Menschen nicht zu lange ihre Hände in den Schoss legen müssen, weil sie dadurch „arbeitsentwöhnt“ werden und das zu einer Krankheit ausartet. Das, was man heute stolz mit 1-€-Jobs bezeichnet, ist mir schon damals (auf andere Art) eingefallen; nur realisieren konnte ich es als junger Spund nicht. Noch etwas: Ich bin davon überzeugt, dass ich noch viel schlimmere Erlebnisse haben werde.

--
kreuzkampus
eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von eleonore
als Antwort auf ingo vom 13.06.2007, 19:08:33
@kreuzkampus,

diese armut begegnet einem in berlin täglich.
erwachsene und kinder.
es genügt ein besuch bei eine suppenküche oder bei der arche.
ich weiss nicht, warum man sich nicht an der *dänische modell* orientiert.



--
eleonore
Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf eleonore vom 14.06.2007, 06:04:37
eleonore, kreuzkampus,
die Beobachtungen von euch kann ich bestätigen,
so etwas findet in fast allen Großstädten mehr oder weniger statt. Auch hier im Südwesten in Mannheim und in Ludwigshafen, auch das Umland ein sogenannter Speckgürtel ist da einzubeziehen!!
Möglicherweise nicht so ausgeprägt wie in Berlin, ich weiß es nicht, aber es passiert. Suppenküchen und gespendete Lebensmittel bei sogenannten Tafeln haben Hochkonjuktur. Wenn man ab einembesonderen Alter ohne eine besonders gute Ausbildung durch Krankheit oder Kündigung aus dem Arbeitsprozess rausfällt ist es furchtbar schwer wieder Tritt zu fassen.
Gruß Claude

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von eleonore
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.06.2007, 09:42:48
@claude,

es passiert leider auch leuten, die eine gute ausbildung haben, und in unseren, von jugednwahn besselte gesellschaft wegrationalisiert werden.
--
eleonore
hugo
hugo
Mitglied

Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von hugo
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.06.2007, 09:42:48

ja so ists hier auch, die Armut scheint kräftig auf dem Vormarsch zu sein.
Als hier in der Stadt 2002 die Tafel "aufzutafeln" begann, gab es ca 300 ständige Kunden.

Die Stadtväter und Politiker waren der Meinung das es ja bald besser werden wird, die Armut durch die vielen neuen Gesetze und Maßnahmen der Regierung Harz IV usw enorm und erfolgreich bekämpft wird und somit ein relativ kleiner Raum für die Tafel ausreichen sollte.

Aber: heute, nicht mal 5 Jahre später hat sich der Stammkundenkreis auf 500% erhöht.
Also ca 1500 Menschen nehmen diese Tafel in Anspruch,,ein ungeheuerlicher Trend.

Wie soll der gestoppt werden? wer kann das noch verstehen und wir denken Deutschland ist eines der reichsten Länder,,

Da gibts noch viel zu tun,,, Gott sei Dank das das der alte Erich nicht mehr miterleben muss,,,der Karl Eduard hätte Beweise und Stoff für seine Thesen und Sendungen noch und nöcher,,,*g*

hugo
Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf eleonore vom 14.06.2007, 10:41:50
Ja eleonore der Jugendwahn spielt bei den Entscheidungen, egal wie ausgebildet, jemanden zu behalten oder nicht eine große Rolle und das nicht zu knapp, aber viele dieser Menschen konnten sich je nach Branche in den Ruhestand retten oder mußten schlechtere Arbeitbedingungen akzeptieren, das heißt schlechteren Status und weniger Geld. Oftmals schamhaft verschwiegen versucht man eine Normalität aufrecht zu erhalten.
Aber die meisten die auf der Strecke bleiben sind schlecht ausgebildete Menschen die wenn noch jung gar nicht erst irgendwo unterkommen oder wenn schon älter wegrationalisiert werden.
Gruß Claude

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eleonore
eleonore
Mitglied

Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von eleonore
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.06.2007, 13:44:40
@claude,

du hast vergessen zu erwähnen, wieviele frauen auf die strecke bleiben.
es fängt schon damit an, das berufs rückkehrer, nach erziehungs jahre, unheimlich schwer gemacht wird, in beruf wieder fuss zu fassen.
es ist ein sehr große anzahl frauen vorhanden, die am rande der existenz minimum leben.
--
eleonore
hugo
hugo
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Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von hugo
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 14.06.2007, 13:44:40

claude: "Aber die meisten die auf der Strecke bleiben sind schlecht ausgebildete Menschen die wenn noch jung gar nicht erst irgendwo unterkommen oder wenn schon älter wegrationalisiert werden.

Darüber hab ich schon öfter mal nachgedacht und mich gefragt warum das so ist. Warum fallen schlecht ausgebildete und mit wenig fachlicher Erfahrung versehene Menschen in Deutschland schnell mal aus der gut versorgten Masse heraus ?

Ein Grund könnte sein das sie -im Gegensatz zu den gut ausgebildeten, den Bessergestellten- weitaus mehr Konkurrenz an die Seite gestellt bekommen.

Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand, keinen besonderen Berufs-, oder Fachausbildungen werden -wenn sie aus dem Ausland kommen- liebend gerne hier beschäftigt, sogar illegal. In Fleischereien, in der Gastronomie in der Landwirtschaft,,,

Menschen mit besserer Qualifikation die hier Beschäftigung suchen haben es viel schwerer. Ein Menge Gesetzes Hürden sind da aufgebaut. Da muss extra ein Gesetz: Beschäftigungsverfahrensverordnung beachtet werden, Ausländische Ingenieure werden nach Limit und nur zeitweise eingestellt,,, rechtliche und steuerliche Grundlagen für Geschäftstätigkeit in Deutschland behindern eine Arbeitsaufnahme,,

Also wird die Konkurrenz für qualifizierte Menschen zurückgedrängt und die für die weniger qualifizierten viel leichter hereingelassen.

Ich denke das ein Mindestlohn einiges an diesen Zuständen ändern würde.

hugo
schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von schorsch
als Antwort auf hugo vom 16.06.2007, 09:02:11
Gut Ausgebildete haben noch weitere Vorteile, z.B. werden sie mit offenen Armen in anderen Ländern - auch in der Schweiz - willkommen geheissen.

Am Beispiel der Schweiz ist nun auch sichtbar geworden, was mit der Zurückhaltung betr. Ausbildung versäumt wurde: Es fehlen laufend Spezialisten, während jene, die eine Lehre absolvieren wollten, aber keine Lehrstelle fanden, nun den grossen Haufen der "Ungebildeten" noch grösser machen.
--
schorsch
Re: Zwei Armutsbeobachtungen am 31.Mai und am 1.Juni 2007
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf hugo vom 16.06.2007, 09:02:11
Hugo, selten aber wahr!!!!! Lache
Ich bin absolut deiner Meinung.
Der Mindestlohn muss kommen und er wird kommen die Vorteile sind größer als die Nachteile. Das gegeneinander ausspielen der schlecht ausgebildeten Menschen kann damit besser unterbunden werden als noch so viele Appelle an Vernunft und Fairness.
Ich denke es werden weitaus weniger Jobs durch den Mindestlohn verschwinden als die Cassandrarufe vermuten lassen, es geht ja in erster Linie um Dienstleistungen und die werden in aller Regel im Land erbracht.
Weiterhin wird man nicht darum herumkommen Geld in die Hand nehmen zu müssen um möglichst viele Menschen so weit das möglich ist, auszubilden, generell muss Bildung eines der Hauptziele in der Zukunft sein. Das immer ein Rest überbleibt bei dem das nicht möglich sein wird ist klar, aber die gab es schon immer!
Wir sind auf dem Marsch daran führt kein Weg vorbei, in die Dienstleistungsgesellschaft, es werden in Deutschland in absehbarer Zeit keine mp3-Player oder Bügeleisen mehr montiert werden. Ich denke das Gutverdienende Menschen Dienstleistungen kaufen von denen die nicht sooo gut ausgebildet sind und dafür auch angemessen bezahlen müssen/sollten. Es müssen Mindestlöhne gezahlt werden!!!
freundlicher Gruß Claude
--


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